Hamburg. Fußballspektakel startet im Juni. In Hamburg werden Zehntausende Fans erwartet. Das Abendblatt war bei den Vorbereitungen der Polizei dabei.

Die WM ist die Messlatte. Deutschland 2006: ein Land in einem friedlichen schwarz-rot-goldenen Rausch. Ein Sommer wie ein Märchen. Eine Fußballnationalmannschaft, mit der sich die Menschen in Ost wie in West identifizieren. Die Messlatte liegt seit 2006 hoch. Deutschland 2024: Tumber Nationalismus hat an vielen Orten den unverkrampften Patriotismus von vor 18 Jahren ersetzt. In Europa tobt ein Krieg, die Terrorgefahr ist zurück. In diese Gemengelage fällt die Fußballeuropameisterschaft.

Für die Hamburger Polizei werden die vier Wochen der EM zum Großeinsatz.. Seit Herbst schon bereitet ein zwölfköpfiges Spezialistenteam das Großereignis vor. Es ist die erste EM nach Corona und seit Jahren das erste große Fußballereignis in der Mitte Europas, das damit für Hunderttausende Fans wieder leicht erreichbar ist. Das Hamburger Abendblatt hat als erste Zeitung die EM-Planer der Polizei getroffen, die die Sicherheit gewährleisten sollen. Ihre Geschichte.

Die Fußball-EM mit fünf Spielen im Volkspark und Zehntausenden anreisenden Fans wird für die Hamburger Polizei zum vierwöchigen Großereignis.
Die Fußball-EM mit fünf Spielen im Volkspark und Zehntausenden anreisenden Fans wird für die Hamburger Polizei zum vierwöchigen Großereignis. © imago/Matthias Koch | Matthias Koch

EM 2024 in Hamburg: Die Macher der Polizei für Uefa-Großevent

Julia Erdmann und Claus Reuter sind spät dran an diesem Mittwoch. Die Gespräche mit der Abordnung der holländischen Botschaft dauern länger als geplant. Die Polizei erwartet viele Zehntausend Fans in Hamburg. Allein aus den Niederlanden dürften um die 40.000 kommen. Hamburg ist eine der zehn sogenannten Host Cities. So nennt die Uefa die Gastgeberstädte. Vom 14. Juni bis zum 14. Juli wird um den EM-Titel im Westen (Gelsenkirchen, Dortmund, Köln, Düsseldorf und Frankfurt), im Osten (Leipzig und Berlin), im Süden (München und Stuttgart) und in Hamburg gespielt. Die Holländer wollen im Norden ihr großes Fan-Camp aufschlagen. Im Volkspark treffen Polen und die Niederlande (16. Juni), Kroatien und Albanien (19.6.), Georgien und Tschechien (22.6.) sowie die Türkei und Tschechien (26.6.) aufeinander. Anfang Juli folgt noch ein Viertelfinalspiel. Jedes Land, das im Volkspark spielt, bekommt 10.000 Tickets. Die waren sofort ausverkauft.

Claus Reuter, der Polizeidirektor, und Julia Erdmann, die Erste Polizeihauptkommissarin, sind mit ihrem Team in einem der alten Alsterdorfer Kasernengebäude untergekommen. Der Holzboden im schmucklosen Großraum knarzt, nur die bunten Fähnchen der EM-Teilnehmer an den Monitoren bringen etwas Farbe in den Raum. Reuter und Erdmann sind stolz auf ihr Team: „Die Vorbereitungen stehen auf Grün. Inzwischen sind wir bei den Detailfragen angelangt“, sagt der Polizeidirektor.

Sie leiten gemeinsam den Vorbereitungsstab der Polizei für die EM 2024: Julia Erdmann und Claus Reuter.
Sie leiten gemeinsam den Vorbereitungsstab der Polizei für die EM 2024: Julia Erdmann und Claus Reuter. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Jeder bei der Polizei weiß jetzt, was von ihr oder ihm in vier Wochen erwartet wird. Was sind die Aufgaben? Was kommt auf sie oder ihn zu? „Zumindest die Führungskräfte haben eine klare Auftragslage vorliegen. Sie kennen die wesentlichen Rahmenbedingungen“, sagt Reuter. Sein Team hat die Stadt in 17 polizeiliche Abschnitte aufgeteilt. Darunter fällt beispielsweise die Umgebung des Volksparkstadions, der Kiez, die Innenstadt oder das Fanfest mit Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld – „Fan Zone“ im Uefa-Sprech genannt.

Eine der großen Unbekannten für die EM-Planer ist, wie stark sich die Begeisterung in der Stadt entwickelt. Bei der WM 2006 hat sich die Euphorie von Tag zu Tag gesteigert. Reuters Team spielt die Einsätze in diesen 17 Abschnitten in verschiedenen Szenarien durch. „Ein Beispiel: Was passiert, wenn der Zulauf zur Fan Zone zu groß wäre. Wo bringen wir die Leute dann hin? Wie leiten wir sie? Müssen wir mehr S- und U-Bahnen einsetzen? Oder: Wie läuft es ab, wenn wir evakuieren müssen? Dabei setzen wir auch ein Simulationsprogramm ein“, sagt der Polizeidirektor. Die Planung geht bis ins Detail. Wie lange kann ein Hubschrauber in der Luft bleiben? Wo positionieren sie die Drohnenabwehr? „Diese Szenarienplanung haben wir aus Alsterdorf heraus gemacht und vor Ort überprüft“, sagt Erdmann. So wurde die Drohnenabwehr bei HSV-Spielen getestet.

Zurück zu den holländischen Fans: Deren Fußballverband plant einen groß angelegten Fanmarsch in der Nähe des Heiligengeistfelds. Es wird auch ein gigantisches holländisches Camp geben – aber nicht wie ursprünglich angedacht auf der Horner Rennbahn, sondern außerhalb Hamburgs. Das wird so was wie ein Wacken-Festival für Fußballfans, organisiert vom holländischen Verband.

EM 2024: Polizei Hamburg verhängt Urlaubssperre für vierwöchige Spielzeit

2500 Polizisten, vier Hubschrauber („fliegende Augen“), 36 Sprengstoffspürhunde aus mehreren Bundesländern, Überwachungsdrohnen, das SEK und weitere Einheiten in Bereitschaft – das sind die Zahlen vom Fest zur deutschen Einheit, das Hamburg im vergangenen Oktober ausgerichtet hat. In etwa mit dieser Größenordnung plant die Polizei auch für die EM. Details behält sie für sich. Feststeht: Sie wird in diesen vier Wochen nahezu komplett im Einsatz sein, dann greift eine umfassende Urlaubssperre für die geschlossenen Einheiten aus der Bereitschaftspolizei, für Spezialkräfte, Aufklärer, Entschärfer und die Kripo.

Die Alarmhundertschaften, bestehend aus Personal der Polizeireviere, werden aufgerufen. Wer an der Wache verbleibt, muss Zwölfstundenschichten schieben. „Alle sind an Bord. Wir werden trotzdem nicht ganz ohne Kräfte von außerhalb auskommen. So bekommen wir Spürhundtrupps zur Unterstützung, unter anderem, um das Stadion auf Sprengstoff zu durchsuchen. Im Anschluss wird dort für die nächsten Wochen eine Sicherheitszone eingerichtet“, sagt Reuter. „Den maximalen Schutz zu ermöglichen ist eine große Herausforderung.“

EM-Ticketing unterstützt Polizei Hamburg bei Einsatz gegen Hooligans

Um die Hooligan-Gewalt besser in den Griff zu bekommen, haben die Bundesländer schon vor Jahren die gemeinsame Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) eingerichtet und bei der Polizei in NRW angedockt. Während des Ligabetriebs läuft über die ZIS der Informationsaustausch über Fans, Reisegruppen und Gefahren. Auf den sogenannten Risikofans liegt der polizeiliche Fokus – im Ligabetrieb wie bei der EM. Die ZIS fasst alle Informationen zusammen und stellt sie den 16 Bundesländern zur Verfügung. „Sie übernimmt diese Aufgabe auch für die EM. Sie richtet ein International Police Cooperation Center (IPCC) ein. Mehr als 200 szenekundige Polizisten, sogenannte Spotter, aus allen Teilnehmerstaaten werden dort arbeiten. Wenn Holland im Volkspark gegen Polen spielt, fordern wir die niederländischen Polizeiexperten aus dem IPCC an und bitten sie, uns in Hamburg zu unterstützen. Sie werden in unseren Einsatz integriert“, erläutert Reuter das Vorgehen.

Was der Polizei die Arbeit erleichtert, ist die Art des Ticketings. Jede Eintrittskarte ist personalisiert. „Das wünschen wir uns seit Jahren für den Ligabetrieb. Wir wissen bei der EM, wer im Stadion ist. Wir wissen, ob Einzelpersonen gebucht haben oder Gruppen“, sagt EM-Planer Reuter. Gruppen – das könnte ein Indiz auf problematische Fans sein. Käme es zur Gewalt im Stadion, könnte die Polizei nachvollziehen, wer wo gesessen hat.

Jedes europäische Land habe in seiner Liga Probleme mit Hooligans, so Reuter. Aber die seien meist auf einen Club fokussiert. Die Polizei setzt darauf, dass die Fanszene der Nationalmannschaften eine andere, eine friedlichere ist. Trotzdem wird sie die Fangruppen strikt trennen, um Ausschreitungen im oder vor dem Stadion zu verhindern. Das fängt bei der Anreise an. Eine Fangruppe wird über den Bahnhof Othmarschen zum Volkspark kommen, die andere über Stellingen, sagt Erdmann. „Beide werden dann jeweils von uns ins Stadion begleitet. Das kennen wir schon von Risikospielen. Um die Sicherheit aller zu gewährleisten, halten wir die Fantrennung aber auch während des Spiels und danach konsequent aufrecht.“

Auch wenn es gelingt, die Fangruppen zu trennen, Probleme bleiben. Das Abbrennen von Pyrotechnik im Stadion ist eins davon. Die Zehntausenden von Fans, die in der Stadt sind, ohne eine Chance auf ein Ticket, sind das andere. Die Polizei weiß nicht, wo sie sich das Spiel anschauen. In der Kneipe? Auf der Fan Zone? Auf der Reeperbahn? Im Portugiesenviertel? Treffen hier gewaltbereite Fans aufeinander?

EM 2024 in Hamburg: Die Terrorgefahr durch den „Islamischen Staat“

Wer reist überhaupt an? Wie viele Hooligans sind darunter? Wo kommen die Risikofans unter? Sickern Terroristen nach Deutschland ein? Aktuell saugt die Polizei jede Information auf, verzahnt sich mit anderen Sicherheitsbehörden, wertet jede Quelle aus, die sie finden kann. Um nicht überrascht zu werden, setzt sie während der EM auf Masse. „Die Polizeidichte ist hoch, die Reaktionsfähigkeit groß“, sagt Reuter und spricht von hohen Sicherheitsstandards. „Das gesamte Gelände von Fan Zone und Public Viewing wird beispielsweise umzäunt und auch mit ‚Pollern‘ gesichert sein“, sagt er.

Jeder, der auf dem Fanfest oder am Stadion arbeiten will, und das sind immerhin mehr als 25.000 Menschen, muss sich vorher akkreditiert haben. Die Polizei überprüft jeden Einzelnen. Ist dieser Mensch vorbestraft? Könnte von ihm eine Gefahr ausgehen? Wer bei der Überprüfung durchfällt, fliegt bitte raus, lautet die Empfehlung der Polizei beispielsweise an den Veranstalter des Fanfestes. „Hamburg hat damit hohe Maßstäbe gesetzt“, ist Reuter überzeugt.

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Mehr als eine Million Euro hat die Polizei zudem investiert, um die Abwehr von Drohnen zu gewährleisten. Während des Turniers werden für „neuralgische Punkte“ Flugverbotszonen ausgerufen. Sollten dennoch unbekannte Drohnen in diesen Luftraum eindringen, dürfte die Polizei sie vermutlich zum Absturz bringen. Wie genau, auch das behält sie für sich. „Es greifen sofort verschiedene technische Abwehrmaßnahmen. Weitere Details müssen aus Sicherheitsgründen jedoch geheim bleiben“, sagt Reuter.

Erst vor wenigen Tagen hat die Terrormiliz „Islamischer Staat“ erneut zu Anschlägen rund um die EM aufgerufen. Laut BKA ist Deutschland einer abstrakt hohen Gefahr ausgesetzt. „Eine konkrete Gefährdung für Hamburg und auch die hier ausgetragenen Veranstaltungen lässt sich nach der derzeitigen Einschätzung der Sicherheitsbehörden daraus nicht ableiten“, sagt Reuter.

Ausschließen kann niemand einen Anschlag. Sorgen bereiten den Sicherheitsbehörden vor allem potenzielle Einzeltäter. Attentäter, die keiner kennt, die sich nicht vernetzen, die unter dem Radar fliegen, sind vorab kaum zu ermitteln. Lastwagen als Waffen wie in Nizza oder Berlin lassen sich ohne große Vorbereitung besorgen. Und so müssen Reuter, Erdmann und ihr Team sich vorsorglich auch auf mögliche Anschlagsszenarien vorbereiten. „Es gilt, ein solches Risiko durch unsere Maßnahmen bestmöglich zu reduzieren. Zur Wahrheit gehört: Auch den Fall der Fälle müssen wir mitdenken. Wie ist die Versorgung? Wie schnell sind die Einsatzkräfte vor Ort?“, so Reuter.

Die Lehren aus dem G20-Gipfel von 2017 in Hamburg

Brennende Barrikaden, Plünderungen von Läden, Angriffe mit Steinplatten – diese verstörenden Bilder gingen 2017 vom Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Hamburg um die Welt. Das Schanzenviertel wurde zum Trümmerfeld – weil die Polizei nicht auf dieses Ausmaß der Gewalt vorbereitet war und weil sie erst umständlich und zeitaufwendig Spezialkräfte heranziehen musste. Stundenlang regierte der Mob.

Nach G20 hat sich die Polizei im operativen Bereich besser aufgestellt. So wurde die Sondereinheit USE bei der Bereitschaftspolizei aufgesetzt, die „Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen“. Das sind speziell ausgebildete und ausgestattete Polizisten für besonders robuste Einsätze. Die USE war die Einheit, die beim Amoklauf bei den Zeugen Jehovas an der Deelböge den Schützen stellte, in die Enge und vermutlich in den Selbstmord trieb und damit mutmaßliche weitere Opfer rettete. Nach G20 wurden auch die Pläne für Kräfteverschiebungen und die interne Kommunikation bei der Polizei verbessert. Von diesen Veränderungen soll die EM profitieren.

Anreise für EM-Spiele in Hamburg: Parkplätze rund um Volksparkstadion werden gesperrt

Zumindest der Autoverkehr rund ums Stadion dürfte die Polizei in den vier Wochen im Juni und Juli vor keine größeren Verkehrsprobleme stellen: Die Uefa, Deutschland und die Städte, in denen gespielt wird, haben sich auf eine nachhaltige Europameisterschaft geeinigt. Das Mobilitätskonzept sieht keine Anreise mit dem Auto vor. „Die Besucher sollen mit Bus und Bahn, dem Fahrrad oder E-Scooter anreisen. Alle Parkplätze rund ums Stadion werden deshalb gesperrt“, kündigt Reuter an.

Auch nach der EM arbeiten er und sein Team übrigens nahtlos weiter in derselben Konstellation. Sie organisieren den Nachhaltigkeitskongress im Oktober. Staats- und Regierungschefs wie Scholz, Macron oder Sunak werden im Herbst in Hamburg erwartet. Dann steht die Polizei vor dem nächsten Ausnahmezustand.