Wien. Johannes Bitter hatte bereits mit dem Nationalteam abgeschlossen. Bei der Handball-EM erlebt der 37-Jährige einen zweiten Frühling.

Sie haben ihn schon so vieles genannt. Von „Jogi Löw“ wurde in Fernsehinterviews gesprochen, der Name „Joachim Bitter“ fiel auch immer wieder. Die eigenen Teamkollegen haben ihm beim Aufwärmtraining Fußbälle ins Gesicht geschossen, die Spanier haben ihm in der Vorrunde die Handbälle um die Ohren gepfeffert. Johannes Bitter aber blieb immer cool, er lächelte über alles hinweg. Er, der erfahrene Routinier im deutschen Handball-Nationalteam, einer der letzten noch aktiven Weltmeister von 2007.

Ungewöhnliche Gefühlsregungen bei Johannes Bitter

Am Montagabend aber zeigte selbst der sonst so coole Bitter Gefühlsregungen, als die Deutschen ihr vorletztes Hauptrundenspiel der EM in der Wiener Stadthalle beendet hatten und das Publikum in den Schlussminuten immer wieder laut „Jogi, Jogi“ skandierte. „Das war wunderschön“, sagte der 37-Jährige nach dem 34:22, sein Gesicht strahlte, seine Stimmlage ließ echte Rührung heraushören. „Sprechchöre höre ich nicht so oft. Das ist jetzt schon der Höhepunkt der EM für mich.“

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Der Montagabend war der Abend des Johannes Bitter. Er wies am Ende 15 Paraden auf, kassierte lediglich 13 Gegentore, seine Fangquote lag bei enormen 54 Prozent. Immer wieder hatte er zudem für Gegenstöße gesorgt, hatte Torerfolge des blitzschnellen Rechtsaußen Timo Kastening mit weiten Pässen eingeleitet. Bitter und Kastening waren in jenen Minuten das dynamische Duo. Sie waren Batman und Robin, Bonnie und Clyde, sie waren Jogi und Timo und so umarmten sie sich innig nach dem Spiel. „Das fühlt sich alles toll an und könnte noch ewig so weitergehen“, sagte Bitter.

Bitter könnte seinen zweiten Frühling im Nationalteam noch lange ausdehnen

Das könnte es wirklich. Zumindest noch eine kleine Ewigkeit, denn am Mittwoch steht das letzte Hauptrundenspiel gegen Tschechien auf dem Programm (20.30 Uhr/ZDF), am Samstag geht es in Stockholm/Schweden in die Partie um den fünften Platz (16 Uhr). Dann die Olympia-Qualifikation am 17. April in Berlin, im Juli geht es im besten Fall nach Tokio/Japan. Bitter könnte seinen zweiten Frühling im Nationalteam noch lange ausdehnen und damit ein Kapitel verlängern, mit dem er bereits vor Jahren abgeschlossen hatte. Wenn ihm in den vergangenen Jahren jemand prophezeit hätte, dass er 2020 mit 37 Jahren noch einmal ein Großturnier für die Nationalmannschaft spielen würde, „hätte ich nur müde gelächelt. Ich habe 2011 einen Schnitt gemacht, ich hatte das zehn Jahre lang gemacht und kleine Kinder zu Hause, da musste ich Zeit für die Familie haben“, sagte Bitter, zumal der „Bundestrainer in all den Jahren immer hervorragende Torhüter hatte. Da sah ich keine Notwendigkeit, wieder anzugreifen.“

Bitter nimmt den Bundestrainer vor Kritikern in Schutz

Allerdings lieferte Bitter in der Bundesliga im Tor des TVB Stuttgart in dieser Saison derart gute Leistungen ab, dass Bundestrainer Christian Prokop ihn dem langjährigen Keeper Silvio Heinevetter und dem in Testspielen eingesetzten Dario Quenstedt vorzog. Eine Überraschung, die aber auch in Sachen Mannschaftszusammenstellung Sinn macht. „Er hat in jeder Mannschaftssitzung seine Meinung gesagt, gibt den jungen Spielern Rückhalt, steckt neue Ziele“, lobte Prokop.

Auch Bitter lobte Prokop nach dem Österreich-Spiel und nahm ihn nach der zwischenzeitlich aufgekommenen Trainerdebatte in Schutz: „Wer nach den Spielen hier irgendwas infrage stellt, der hat den Handball nicht verstanden“, meinte Bitter. Über die öffentlichen Trainer-Diskussionen hätten im Team „alle nur müde gelächelt, weil für uns steht das überhaupt nicht infrage.“ Auch Prokop bewertete die Diskussion als „völlig überflüssig, wenn ich das ehrlich sagen darf“.

Handballverband stellt sich hinter den Bundestrainer

Axel Kromer, Sportvorstand des Deutschen Handballbunds, sah sich trotzdem genötigt, einen Schlussstrich zu ziehen: „Wir als Verbandsführung wollen klarstellen, dass es intern nie eine Diskussion darüber gab, mit welchem Trainer wir künftig die Nationalmannschaft prägen wollen. Wir werden mit Christian in Richtung Olympia gehen.“ Was auch gut für Bitter ist, dessen Olympiatraum so noch wahr werden könnte: „Viele Vorbereitungsmöglichkeiten auf Olympia gibt es nicht mehr“, meinte Prokop. „Diese Mannschaft, die hier spielt, hat sich gefunden.“