Am 30. Januar 1959 sank die dänische “Hans Hedtoft“ auf ihrer Jungfernfahrt vor Grönland. 95 Menschen, darunter Frauen und Kinder, starben in der eisigen See. Viele Schiffe hörten die letzten Notrufe über Funk, keines konnte helfen. Der Hamburger Funkoffizier Hans-Martin Neumann fuhr damals auf der “Cap Castillo“ und wurde Zeuge der Katastrophe.

Der alte Herr mit dem weißen Schopf und dem marineblauen Pullover sieht hinaus auf den Strom. Langsam kommt die Erinnerung. Für den Besucher hat er eine chromblitzende, halbautomatische Morsetaste aus dem Jahr 1959 aus dem Regal geholt und demonstriert, wie es damals klang - kurze und lange Zeichen vermischen sich für das ungeübte Ohr zu einem unverständlichen Geräusch. Für Hans-Martin Neumann ist es immer noch eine eigene Sprache, so vertraut und klar wie die Muttersprache.

"Das vergißt man nie", sagt er mit einem Blick auf die Taste und tippt ein präzises Stakkato. Die grauenvollen letzten Stunden des dänischen Staatsschiffes erscheinen ihm dagegen in der Rückschau wie lange Tage. "Die Einzelheiten verschwimmen, aber nicht das Gefühl", sagt er. Das Gefühl, wenn man plötzlich auf der Seenotfrequenz hört: "Wir sind mit einem Eisberg zusammengestoßen. Ausgedehntes Leck. Maschinenraum füllt sich mit Wasser."

21.36 Uhr: "Wir sinken langsam"

Das war am Freitag, 30. Januar 1959, um 17.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit. "Wir waren damals mit Stückgut und Langusten von Santos aus nach New York unterwegs", erinnert Neumann. Der Funkoffizier konnte die Gefahr, in der sich die "Hans Hedtoft" befand, nur allzugut nachempfinden, war er doch selbst 15 Monate zuvor nur knapp dem Hurrikan entronnen, der am 21. September 1957 der "Pamir" zum Verhängnis wurde.

18.14 Uhr kam der nächste Hilfeschrei von der "Hans Hedtoft: "Wir benötigen dringend Hilfe!" 18.52 Uhr: "Maschinenraum füllt sich mit Wasser." 19.22 Uhr: "Wir haben viel Wasser im Maschinenraum." 21.36 Uhr: "Wir sinken langsam. Brauchen sofortige Hilfe von allen Schiffen in der Nachbarschaft." Um 22. 06 Uhr dann der letzte Notruf: "Wir sinken."

Die "Hans Hedtoft" gehörte der Königlichen Dänischen Handelsgesellschaft und war am 7. Januar zu ihrer Jungfernfahrt nach Grönland gestartet. Der Kombifrachter galt als ein Wunderwerk der Technik, ausgerüstet mit der damals höchsten Eisklasse, mit modernstem Navigationsgerät, Schotten, doppeltem Boden und genügend Rettungsmitteln.

Am 29. Januar trat das Schiff mit 40 Mann Besatzung und 55 Passagieren an Bord, darunter 19 Frauen und sechs Kindern, in den Luken eine Ladung Fisch und Stückgut, die Rückfahrt nach Dänemark an. Ein Eiswintersturm toste.

Die Rekonstruktion des Dramas liest sich wie das Schicksal der "Titanic": In Dunkelheit, Schneetreiben und sechs Meter hohen Wellen muß die "Hans Hedtoft" seitwärts mit voller Wucht auf die stahlharte Kante eines Eisbergs geschleudert und aufgeschlitzt worden sein. Ausgerechnet dort, wo das Schiff seine schwächste Stelle hatte, am Maschinenraum. Ungebremst drang das Wasser in den Rumpf. Die dänische Reederei hielt diese Version nach langen Ermittlungen für die wahrscheinlichste. Das Schiff, so der Reeder Hans Christiansen später in einem Interview, habe sich vermutlich nach dem großen Wassereinbruch auf die Seite gelegt und sei dann innerhalb weniger Minuten gesunken. Das erkläre auch den langsam verebbenden A-2-Ton, der noch drei Minuten lang auf der Seenotfrequenz zu hören war. Als ob ein Mensch in letzter Verzweiflung ununterbrochen auf die Taste des Telegraphen drücken würde. Dann Funkstille.

Auch Hans-Martin Neumann hat ihn gehört. Und dazu die verzweifelten Versuche der Schiffe, die in der Nähe der "Hans Hedtoft" fuhren. Das Schiff, das am nächsten an der Unglücksstelle lag, war der deutsche Fischdampfer "Johannes Krüss". Sofort fuhr er in Richtung der angegebenen Position des Havaristen. Beide Schiffe, der Fischdampfer und die sinkende "Hans Hedtoft", standen bis zum Untergang in ständigem Funkkontakt.

"Wir kommen, wir müßten Sie schon sehen", funkte die "Johannes Krüss" gegen 18 Uhr. "Wir sinken, kein Licht mehr, alles dunkel", antwortete der Funker der "Hans Hedtoft" verzweifelt. "Es war furchtbar, dieses alles mitanzuhören", sagt Neumann.

Das Drama: Obwohl die "Johannes Krüss" immer näher kommt, ist von der "Hans Hedtoft" nichts zu sehen. Die Lichtkegel der Suchscheinwerfer schneiden durch Schneetreiben und Dunkelheit, nach dem Stromausfall schießt die "Hans Hedtoft" Leuchtraketen ab. Vergeblich. Die Schiffe finden sich nicht, der Sturm vereitelt alle Rettungsversuche.

Die Lage der Menschen an Bord ist grauenhaft: Rettungs-Boote und -Flöße können wegen des Sturms und der Schlagseite nicht zu Wasser gelassen werden. Halb wahnsinnig vor Angst und Kälte müssen Männer, Frauen und Kinder an Deck ausgeharrt haben, immer noch mit der Hoffnung, rechtzeitig gefunden zu werden.

Noch sieben Tage lang suchen das deutsche Fischereischutzboot "Poseidon", der amerikanische Seenotrettungskreuzer "Campbell" und drei dänische Schiffe in der gefährlichen Eiszone nach Überlebenden, Rettungsbooten oder Wrackteilen. Sie hatten keine Chance: Unweit der Unglücksstelle meldete die "Campbell" ein 60 Kilometer langes Packeisfeld. Das Wetter, so der Kapitän, sei schlimmer als alles, was er im Zweiten Weltkrieg erlebt habe.

Das Unglück hatte ein politisches Nachspiel: Viele Experten hatten schon seit Jahren davor gewarnt, Passagiere während der Wintermonate in der Grönlandfahrt mitzunehmen.

Auch der grönländische Abgeordnete Augo Lynge gehörte dazu. Er fuhr auf dieser Jungfernfahrt mit, um sich selbst noch einmal von der Gefahr zu überzeugen und verlor sein Leben.

"Frachtfahrten im Winter nach Grönland sind wegen des Handels und der Versorgung notwendig. Es fragt sich jedoch, ob es zu verantworten ist, in dieser Zeit Passagiere mitzunehmen", hatte er im Parlament gemahnt. Auch nach dem Unglück zweifelte niemand an der technischen Ausstattung des Schiffes, auch nicht am Können des damals 58 Jahre alten Kapitäns P. L. Rasmussen - er galt als einer der erfahrensten Grönland-Fahrer.