SPD und Grüne im Bezirk Hamburg-Nord fordern Tempo 30 zwischen 22 und 6 Uhr auch auf Hauptverkehrsstraßen. Das Ziel: weniger Lärm.

Hamburg. Je später der Abend, desto schneller die Autofahrer. Was viele immer schon ahnten, hat der Jenaer Wissenschaftler Professor Bruno Spessert bei einem Forschungsprojekt in Thüringen bestätigen können. Nur jeder zehnte Autofahrer hält sich demnach an die vorgeschriebene Geschwindigkeit - in der Stadt also in der Regel an Tempo 50.

Allerdings war der Jenaer Forscher bei seinem Feldversuch etwas anderem auf der Spur: Wie verändert sich der Lärmpegel, wenn Fahrzeuge in der Nacht nur 30 statt 50 Kilometer pro Stunde fahren? Auch hier war das Ergebnis eindeutig: Spessert zufolge gibt es eine "nennenswerte und subjektiv gut wahrnehmbare Lärmverringerung" durch "Tempo 30 nachts".

Für die Verkehrsexperten von SPD und Grünen im Bezirk Nord, Jörg W. Lewin und Martin Bill, sind solche Forschungsergebnisse Wasser auf ihre Mühlen. "Ich hielte es für eine vernünftige und sinnvolle Maßnahme, die Höchstgeschwindigkeit in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr auf 30 km/h festzulegen", sagt Lewin. Der Sozialdemokrat bezieht dabei ausdrücklich die Hauptverkehrsstraßen mit ein.

"Gefühlt reduziert sich der Lärm bei so einer Geschwindigkeitsbeschränkung um etwa die Hälfte", sagt Martin Bill. Für Anwohner von Hauptverkehrsstraßen würde das nachts eine große Verbesserung bedeuten. Aus seiner Sicht ist es vor allem das Rollen der Räder auf der Fahrbahn, das Lärm bei geringen Geschwindigkeiten erzeugt.

+++ "Lärm macht krank": Tempo 30 am Winterhuder Marktplatz? +++

Den beiden Bezirkspolitikern ist bewusst, wie aktuell das Thema ist. Erst am Wochenende hatten SPD und Grüne auf Bundesebene erklärt, sie würden im Falle eines Sieges bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr innerorts generell Tempo 30 einführen. Die Hamburger Wirtschaftsbehörde wiederum prüft derzeit auf Antrag der Bezirksversammlung Nord, ob der Krohnstieg, die Saarlandstraße und die Straßen am Winterhuder Marktplatz nachts für Tempo 30 infrage kämen.

Die Wirtschaftsbehörde hat hier mitzureden, weil bei ihr die Zuständigkeit für Haupt- und Durchgangsstraßen liegt. Der Bezirk darf hingegen lediglich bei Neben- und Wohnstraßen entscheiden. Auf 56 Prozent der insgesamt 4000 Straßenkilometer gilt in Hamburg bereits Tempo 30. Hauptstraßen sind dabei bislang jedoch ausgenommen. Einzige Ausnahme: die Stresemannstraße, auf der Autos teilweise nur mit 30 km/h fahren dürfen.

Zwar gehörte Hamburg in den 80er-Jahren mit zu den ersten Städten, in denen Tempo-30-Zonen eingeführt wurden. In anderen Städten ist ihr Anteil am gesamten Straßennetz inzwischen jedoch zum Teil deutlich höher. So gibt es in München (76 Prozent), Berlin (72 Prozent) und Köln (70 Prozent) bis zu einem Viertel mehr Tempo-30-Zonen. Nach den Worten von Michael Hoyer, Leiter der Abteilung Infrastrukturentwicklung in der Wirtschaftsbehörde, sind Tempo-30-Zonen kein Allheilmittel. Bei einer Veranstaltung im Rahmen des "Konvents für Baukultur", sagte Hoyer mit Blick auf Forderungen, die Lange Reihe in St. Georg zu einer Tempo-30-Zone umzuwandeln: "Damit würden dort die Probleme nicht gelöst." Der Beamte hält in diesem Fall "Shared Spaces", Gemeinschaftsstraßen, die ähnlich wie Spielstraßen funktionieren, für geeigneter.

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Grundsätzlich will die Politik für Hamburg eine weitere Verkehrsberuhigung. Die Einrichtung zusätzlicher Tempo-30-Zonen ist mit den Bezirken schon in der vergangenen Legislaturperiode verabredet worden. Wie die im April veröffentlichte Antwort des Senats auf eine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Klaus-Peter Hesse jedoch ergab, gibt es dort Verzögerungen. Probleme haben vor allem die Bezirke Mitte und Eimsbüttel.

"Zu wenig Personal und arg teuer", begründen die Bezirke diese Verzögerungen. Ein Verkehrsschild beispielsweise kostet 100 Euro, und pro Zone sind mindestens vier Exemplare notwendig. Hinzu kommen oftmals teure bauliche Veränderungen. Im Bezirk Nord beispielsweise soll die Gertigstraße zur Tempo-30-Zone werden. Bislang aber ist dort nichts zu sehen.

Die Hamburgerinnen und Hamburger argumentieren in der Debatte differenziert. Alireza Hossein, 22, fürchtet, dass zusätzliche Tempo-30-Regelungen "zu mehr Stau" führen würden. Außerdem fragt er: "Wer würde sich daran denn halten?" Alexandra Korenitz, 35, die ein Kind hat, würde es gut finden, "wenn es mehr Spielstraßen gäbe". Für Stadtkinder gebe es ohnehin zu wenig Spielmöglichkeiten.

Amelie Ziechnowitz wohnt an der Rennbahnstraße und fürchtet, dass Autos bei Tempo 30 eher länger brauchen würden. "Was aber die Sicherheit für Fußgänger angeht, wäre es sicher sinnvoll", sagt die 21-Jährige. Sophie Paul, 19 - sie wohnt im Rübenkamp in einer 30er-Zone -, glaubt, dass es auf den Straßen leiser zugehen würde. Joachim Stadler, 47, lehnt weitere Tempo-30-Zonen ab. "Die Lärmbelästigung wäre nicht geringer." Stattdessen drohten vermehrt Staus im Berufsverkehr, glaubt er. Der Automobilklub ADAC sieht das ähnlich. Es gehe darum, den Verkehr "am Fließen" zu halten, sagt Matthias Schmitting, Sprecher des ADAC Hansa. Für Hamburg komme erschwerend hinzu, dass es keinen geschlossenen Autobahnring um die Stadt gebe. Dadurch werde der Innenstadtverkehr nicht in dem Maße entlastet wie anderswo. Zudem ist Schmitting überzeugt, dass bei modernen Fahrzeugen eine reduzierte Geschwindigkeit kaum etwas für den Lärmschutz bringe.

Dem widersprechen die Erkenntnisse des Jenaer Wissenschaftlers Spessert. Diese hätten gezeigt, dass es "die Reduktion der zulässigen Höchstgeschwindigkeit" sei, die dazu führe, dass der Geräuschpegel um etwa drei Dezibel niedriger liege, schreibt Spessert. Der Grund: Geräusche von Autos würden bei niedrigeren Geschwindigkeiten "weitgehend durch das Reifen-Fahrbahngeräusch bestimmt".