Wilhelmsburg. Dieses Abenteuer hat es in sich: 23-Jährige plant Solo-Expedition in die Antarktis – zu Fuß. Was sie dort zu erledigen hat.

  • Eine Expedition an den Südpol ist eine mentale und körperliche Herausforderung
  • Eine 23 Jahre alte Hamburgerin will die Strapazen dieser Tour freiwillig auf sich nehmen
  • Wie kann man sich auf ein solches Extremereignis vorbereiten?

Lilith van Amerongen möchte zum Südpol laufen. Und zwar nicht etwa mithilfe von Virtual Reality oder umgeben von einer optimal ausgerüsteten Gruppe, die sie im Notfall unterstützt. Die 23-jährige Wilhelmsburgerin plant, ihre Expedition allein durchzuführen. Sie möchte einer der jüngsten Menschen in der Geschichte sein, die den Südpol allein bereist haben – um Aufmerksamkeit für den Klimawandel zu erzeugen.

Abenteuer Antarktis: Rund 150.000 Euro kostet die Solo-Expedition an den Südppol

Außerdem will sie auf dem antarktischen Plateau Schneeproben sammeln, die dem Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig bei der Entwicklung von Klimamodellen helfen könnten. Ihren Entschluss hat sie schon vor einer Weile gefasst, nun rückt ihr Vorhaben immer näher. In etwas mehr als sieben Monaten soll es losgehen. Was noch fehlt: Das entsprechende Guthaben, das die Reise möglich macht. Rund 150.000 Euro kostet die Aktion, eventuelle Notfälle sind einkalkuliert.

Trainiert bereits seit Monaten für die große Expedition: Lilith van Amerongen.
Trainiert bereits seit Monaten für die große Expedition: Lilith van Amerongen. © Helena Davenport | Helena Davenport

Zwölf Grad misst das Thermometer an diesem Mittwochmorgen im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Die Sonne lukt hinter ein paar dicken, grauen Wolken hervor und Lilith van Amerongen kommt mit geöffneter Strickjacke zum Interviewtermin. „Es fühlt sich hier an wie im Sommer“, sagt sie strahlend – und stellt damit alle Wollmäntel- und Wollmützenträgerinnen und -träger aus der Umgebung in ihren Schatten.

Der Schlitten ist mit einer Art Geschirr an ihrem Oberkörper befestigt

Die 23-Jährige ist gestern aus Norwegen zurückgekommen. Dort war sie acht Tage lang auf Nordeuropas größtem Bergplateau unterwegs, um für ihr großes Abenteuer im kommenden Winter zu trainieren. Den Eiswüsten an den Polen sei die Landschaft dort am ähnlichsten, erklärt sie. Die Temperaturen, die sie gerade erlebt hat, zwischen minus 2 und minus 20 Grad Celsius, hätten sie allerdings ein wenig erschreckt, sie seien zu hoch für die aktuelle Jahreszeit.

Das Eis schmilzt: Spektakuläre neue Bilder vom derzeit größten Eisberg in der Antarktis zeigen, wie Erosion riesige Bögen und höhlenartige Vertiefungen in den Koloss gemeißelt hat.
Das Eis schmilzt: Spektakuläre neue Bilder vom derzeit größten Eisberg in der Antarktis zeigen, wie Erosion riesige Bögen und höhlenartige Vertiefungen in den Koloss gemeißelt hat. © dpa | RICHARD SIDEY

Auch in Norwegen war sie allein auf Skiern mit ihrem bootsähnlichen Schlitten, einem Pulka, unterwegs. Letzteren zieht sie selbst, er ist mit einer Art Geschirr an ihrem Oberkörper befestigt. In den Händen hält sie Skistöcke, mit deren Hilfe sie sich durch den Schnee vorarbeitet. In Norwegen hatte ihr Schlitten ein Gewicht von zirka 40 Kilogramm, in der Antarktis wird er mehr als das Doppelte wiegen.

Minus 45 Grad Celsius muss van Amerongen aushalten

Und da wären noch zwei weitere Unterschiede: Am Südpol wird sie wesentlich länger, nämlich 45 Tage lang, allein sein. Und es wird auch wesentlich kälter sein: zwischen minus 15 und minus 45 Grad Celsius. Der Wind werde das Kältegefühl noch verschärfen, sagt sie, bei konstantem Gegenwind werde sie auch viele Strecken bergauf laufen müssen.

Dabei muss die gebürtige Neuwiedenthalerin viele Regeln berücksichtigen, eine enorme Disziplin an den Tag legen und wachsam sein, vor allem, was den eigenen Körper betrifft. Um bewältigen zu können, was sie bewältigen will, wird sie nach einer Stunde Marsch je fünf Minuten Pause machen müssen. Schweiß könnte zum Auskühlen führen.

Vor Eisbären müsse sie sich aber nicht in Acht nehmen, platzt es aus ihr heraus. Diese Frage werde ihr am häufigsten gestellt, sagt van Amerongen und lacht. Den Wenigsten sei bewusst, dass Eisbären nur am anderen Pol, in der Arktis, vorkommen. Sie freue sich aber schon sehr auf die Pinguine und Albatrosse.

Voriges Jahr traf sie sich zum ersten Mal mit Heike Wex vom Leibniz-Institut. Die Wissenschaftlerin forscht an Aerosolen, die für die Schneebildung zuständig sind. Lilith van Amerongen wird für sie Schneeproben an Orten sammeln, an denen zuvor noch kein Mensch war. Diese könnten Auskunft über den Schnellfall geben. Anhand der gesammelten Daten könnten Klimamodelle verbessert werden, das künftige Klima könnte besser vorausgesagt werden.

Via Crowdfunding erhofft sich van Amerongen 25.000 Euro einzunehmen

Wenn Lilith van Amerongen von ihrem Vorhaben erzählt, leuchten ihre Augen. Dabei wirkt sie gefasst – als wäre es das Normalste der Welt, sich in lebensbedrohliche Situationen zu begeben. Sie ist sich ihrer Sache sicher und das auf eine Weise, die auch in Anbetracht ihres Alters bewundernswert ist. „Es ist auch lebensgefährlich, Auto zu fahren, und vor allem, nichts gegen den Klimawandel zu tun“, sagt sie. Sie habe sich entschieden, dass es die Sache wert ist, dass es fahrlässig wäre, den Plan nicht durchzuführen.

Eine Kolonie von Adeliepinguinen in der Nähe der Küste der Bransfield-Straße in der Antarktis.
Eine Kolonie von Adeliepinguinen in der Nähe der Küste der Bransfield-Straße in der Antarktis. © dpa | Jorge Saenz

„Leider ist das Vorhaben unglaublich kostspielig“, sagt van Amerongen. Deswegen ist sie aktuell noch auf der Suche nach Sponsorinnen und Sponsoren. Mit einigen sei sie schon im Gespräch, doch bevor ihr der finanzielle Support nicht sicher ist, möchte sie auch keine Namen nennen. Über einen Spendenaufruf via „gofundme“ hat sie bereits knapp 1000 Euro eingenommen, mehr als 25.000 Euro erhofft sie sich hier allerdings nicht.

Sie will Proben an Orten sammeln, an denen zuvor noch niemand war

Van Amerongen plant jeden Schritt, jede Eventualität zieht sie in Betracht. Ihre Vorbereitungen hätten eigentlich schon vor rund drei Jahren begonnen, sagt sie, wobei ihr die Idee mit der Expedition erst viel später kam. Die Neuwiedenthalerin hatte in Schweden Development Studies studiert, zu deutsch Entwicklungsforschung. Allerdings wurde ihr das Studium schnell zu trocken und sie absolvierte stattdessen eine zweijährige Ausbildung zum Nordic Nature Guide. Heute verdient sie so ihr Geld, sie nimmt Skandinavien-Touristen auf Touren durch den Schnee mit.

Lilith van Amerongen müsste auf ihrer Tour mindestens 25 Kilometer pro Tag zurücklegen.
Lilith van Amerongen müsste auf ihrer Tour mindestens 25 Kilometer pro Tag zurücklegen. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Vor ein paar Jahren habe sie ihre persönliche Klimakrise durchlitten. Sie habe sich vorgestellt, dass ihre zukünftigen Kinder sie einmal fragen würden, was sie denn gegen den Klimawandel getan hätte. „Dann habe ich überlegt, wie ich das, was ich kann, am sinnvollsten einsetzen könnte“, erinnert sie sich.

Van Amerongen: „In der Kälte vergisst man zu trinken“

Aktuell hat sich van Amerongen noch nicht auf eine Route festgelegt, die wahrscheinlichste ist 1130 Kilometer lang. Die Wilhelmsburgerin müsste also mindestens 25 Kilometer pro Tag zurücklegen. Um dies zu schaffen, hat sie sich am Institut für Sport- und Bewegungsmedizin an der Universität Hamburg einen Trainingsplan erstellen lassen. Die Nahrungszufuhr ist ebenso wichtig wie die Fitness: Rund 4500 Kalorien wird die 23-Jährige während ihrer Expedition pro Tag zu sich nehmen müssen.

Morgens esse sie beispielsweise Haferbrei mit Erdnussbutter und Proteinpulver, dann über den Tag verteilt viele Riegel und Nüsse. Wichtig sei auch, auf die Flüssigkeitszufuhr zu achten: „In der Kälte vergisst man zu trinken.“ Doch bevor sie am Morgen ihr Frühstück einnimmt, muss sie zunächst die Eiskristalle, die ihr Atem während des Schlafs an der Innenwand ihres Zeltes produziert hat, sorgfältig abbürsten, da das Schmelzwasser ihre Sachen nass werden lassen könnte.

Mehr zum Thema

Wie sich 45 Tage in Einsamkeit anfühlen, kann van Amerongen nur erahnen

Man habe leider kaum Forschungsergebnisse dazu, wie der weibliche Körper auf die Strapazen reagiert, sagt van Amerongen. In Notfällen könne sie einen Notruf an die Amundsen-Scott-Südpolstation absetzen, hier erhalte sie dann auch Anweisungen zum Einsatz ihrer Notfallapotheke – möglicherweise aus einer Entfernung von 565 Kilometern. Gegen die Einsamkeit in der eisigen Wüste gibt es jedoch kein Rezept. Jede Verbindung ist teuer, eine Satellitentelefonminute kostet 39 Euro.

„Man muss sich selbst gut aushalten können“, sagt van Amerongen. Ihre jüngste Expedition sollte hierfür ein Test sein, die acht Tage mit sich selbst habe sie sogar richtig genossen. Wobei die negative Gedankenspirale, wie sie sie nennt, sie einmal im Griff hatte: Bei einer Flussüberquerung hatte sie plötzlich Angst vor offenem Wasser. „Man muss dann rational alle Möglichkeiten durchgehen“, beschreibt die 23-Jährige. Wie sich 45 Tage anfühlen werden, kann Lilith van Amerongen nur erahnen. Sie bereitet sich sorgfältig vor, ist mutig und entschlossen.