Hamburg. Bilder werden in Klassenchats & Co. weitergeleitet. 2023 deutlich mehr Fälle als im Vorjahr. Auch gut meinende Eltern geraten ins Visier.

Kinderpornografie ist nicht nur eine abscheuliche Straftat von Erwachsenen. Auch die Zahl der Kinder, gegen die in Hamburg von der Polizei wegen Besitzes, Verbreitung oder Herstellung von Kinderpornografie ermittelt wurde, ist deutlich gestiegen. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 80 Minderjährige unter 14 Jahren, die im Zusammenhang mit Kinderpornografie auffällig wurden. Das ist eine Steigerung von knapp 57 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt waren in Hamburg knapp 49 Prozent der im Zusammenhang mit Kinderpornografie ermittelten Tatverdächtigen unter 21 Jahre alt.

Gegen 80 Kinder wurde in Hamburg wegen Kinderpornografie ermittelt

Es sind vor allem Jungen, die wegen Kinderpornografie mit dem Gesetz in Konflikt kommen. So waren lediglich 18 der ermittelten 80 Kinder Mädchen. Die Zahl der Jugendlichen, die im vergangenen Jahr in Hamburg wegen Kinderpornografie mit der Polizei zu tun hatten, ging dagegen auf 103 zurück. 2022 war noch gegen 115 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren deswegen ermittelt worden. Auffallend: Heranwachsende im Alter von 18 bis 20 Jahren wurden im vergangenen Jahr lediglich in 44 Fällen als Tatverdächtige von der Polizei ermittelt.

Es handelt sich oft um Nacktbilder oder andere unangemessene Fotos, die Jugendliche und eben auch Kinder einander schicken oder die dann weitergeleitet werden. Sei es als Anreiz oder auch, um Gleichaltrige gegen deren Willen durch die Verbreitung der Fotos bloßzustellen, beispielsweise im Klassenchat. Wichtig zu wissen: Die Weiterleitung solcher Inhalte, aus welchen Gründen auch immer, ist strafbar.

Auch Eltern oder Lehrer können sich schnell strafbar machen

„Die hohe Zahl der Kinder, die im Zusammenhang mit Kinderpornografie ermittelt werden, zeigt die Unbedarftheit, mit der heute mit solchen Bildern umgegangen wird, die dann meistens über Chatgruppen untereinander geteilt werden“, sagt Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Seit 2021 ist so eine Tat ein Verbrechenstatbestand und soll nicht mit unter einem Jahr Haft bestraft werden. Kinder dagegen sind strafunmündig. Trotzdem wird zunächst gegen sie ermittelt. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden wird in Hamburg in der Regel das Jugendstrafrecht angewandt.

Bei den Ermittlungen können auch schnell Eltern mit ins Visier der Polizei geraten, wenn sie bei ihrem Nachwuchs Kinderpornografie auf dem Handy entdecken und im Glauben, beispielsweise den Lehrer darauf hinweisen zu müssen, die Bilder weiterleiten. Auch ein Lehrer würde sich strafbar machen, wenn er kinderpornografische Inhalte nicht sofort löscht oder sie sogar selbst weiterleitet – und sei es in bester Absicht.

BDK bezeichnet 2021 eingeführte Strafverschärfung als „schlecht gemachtes Gesetz“

Für Reinecke ist das ein Paradebeispiel für ein schlecht gemachtes, realitätsfernes Gesetz. „Hier werden in nicht unerheblicher Zahl Personen kriminalisiert, die ich nicht als klassische Pädokriminelle sehe, gegen welche ein hartes Vorgehen gerechtfertigt und nötig ist“, so Reinecke. Zudem binden die Ermittlungen bei der Kripo personelle Ressourcen, die besser im Kampf gegen die wirklich pädophilen Täter eingesetzt wären.

Dass es so viele Fälle gibt, liegt am National Center for Missing & Exploited Children, kurz NCMEC, einer 1984 gegründeten halbstaatlichen Einrichtung in der USA, die mithilfe von Google & Co. – dazu gehören auch die Anbieter von Messengerdiensten ebenso wie Dropbox, iCloud oder Gmail – das Internet und Chats nach Kinderpornografie durchstöbern und Fälle dokumentieren. Dabei geht es nicht nur um Fotos und Videos. Auch Chatverläufe, in denen Kinder zu sexuellen Handlungen aufgefordert werden, werden gemeldet. Die Suche nach solchen Inhalten geschieht völlig verdachtsunabhängig.

Fälle werden aus den USA den deutschen Sicherheitsbehörden gemeldet

Wird ein strafbarer Inhalt gefunden, der von einem Computer in Deutschland stammt, wird NCMEC informiert. Von dort wird das Bundeskriminalamt eingeschaltet, was die Fälle wiederum an die jeweils zuständigen Landeskriminalämter weitergibt. Bei der Suche nach den Bildern kommt bei den großen Anbietern von sozialen Medien auch Künstliche Intelligenz zum Einsatz.

Dabei sind es nicht nur Kinder, die durch ihr unbedarftes Handeln ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten. „Auch die Oma, die an der Ostsee am Strand ihren Enkel nackt beim Planschen fotografiert und in den Familienchat stellt, kann so eine Beschuldigte werden“, sagt Reinecke. Den Ermittlungsbehörden und der Justiz seien auch in solchen Fällen durch die gesetzliche Vorgabe die Hände gebunden. Auch hier würde ein Verfahren wegen eines Verbrechenstatbestands eingeleitet.

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Welchen Boom der Bereich Kinderpornografie bei der Polizei erlebt hat, zeigt ein Vergleich. Zehn Jahre zuvor waren die Zahlen in dem Bereich deutlich niedriger. 2014 wurden in Hamburg 112 Tatverdächtige im Zusammenhang mit Kinderpornografie ermittelt. In drei Fällen waren es Kinder, in sechs Fällen Jugendliche.

„Wir als BDK haben deswegen schon lange eine Anpassung des Gesetzes gefordert, damit ein minderschwerer Fall zulässig ist“, so Reinecke. Das hat auch die Bundesregierung begriffen. Dort wird an einer Entschärfung des Gesetzes gearbeitet. Es könnte bald in Kraft treten.