Teheran schickte kampferprobte Schiitenmiliz zur Unterstützung des Regimes nach Syrien. Für die brachte das mehr Nachteile

Der Bürgerkrieg in Syrien hat in dramatischer Weise die jahrhundertealte Spaltung der Region in Sunniten und Schiiten verstärkt. Das islamische Schisma, das nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahre 632 in der Frage um seine Nachfolge entstand, spielt auch in Syrien eine erhebliche Rolle. Während gut 70 Prozent der Syrer sunnitische Muslime sind, gehören etwa zwölf Prozent der Geheimreligion der Alawiten an, die den Schiiten nahestehen. Hinzu kommen zwei Prozent Schiiten und rund zehn Prozent Christen. Der mächtige Familienclan um Staatschef Baschar al-Assad ist alawitisch, obwohl die Alawiten nur eine kleine Minderheit in Syrien darstellen.

Das hat historisch folgende Ursache: Die Alawiten waren einst zu arm, um sich vom Militärdienst freizukaufen, weshalb sie überproportional in der Armee repräsentiert waren. Als das Militär zum entscheidenden Machtfaktor aufstieg, bedeutete das auch den Aufstieg der Alawiten. Die Konfliktlinien in Syrien verlaufen also nicht allein zwischen Regime und Opposition, sondern auch zwischen Sunniten und Alawiten. Da aber der schiitische Iran auf Syrien als Verbündeten nicht verzichten kann, hat Teheran nicht nur Kämpfer seines eigenen Militärs in den syrischen Bürgerkrieg entsandt, sondern auch die hochgerüstete und kampferfahrene Schiitenmiliz Hisbollah.

Deren Kämpfer haben offenbar die entscheidende Kampfkraft aufseiten der Armee etwa in der Schlacht um die Stadt Al-Kusair beigetragen, die an das Assad-Regime zurückfiel. Nach Einschätzung von Yoram Schweitzer, Direktor einer mit Terrorismus und Kriegsführung niedriger Intensität befassten Abteilung am Institut für Nationale Sicherheit in Tel Aviv, überwiegen für die Hisbollah inzwischen jedoch die Nachteile dieses Engagements die Vorteile der wachsenden Kampferfahrung.

Die Hisbollah erleide eine „Erosion des kämpfenden Personals und der Ressourcen“, sagte Schweitzer der „Jerusalem Post“. „Die Organisation verliert eine Menge Personal.“ Außerdem beschädige dieser Krieg das Image der Hisbollah als Widerstandskraft im gemeinsamen arabischen Kampf gegen Israel. Offenbar habe die Schiitenmiliz einige ihrer Eliteeinheiten aus dem südlichen Libanon, wo sie für den Kampf gegen die israelische Armee bereitstanden, nach Syrien entsandt, meint Schweitzer. Und dort erlitten sie erhebliche Verluste in Gefechten gegen die Rebellen. Die ebenfalls mit Israel verfeindete sunnitische Palästinensermiliz Hamas hat die Hisbollah daher bereits aufgefordert, aus Syrien abzuziehen.

Derweil strömen immer mehr radikalislamische Sunniten nach Syrien, um gegen Schiiten und Alawiten zu kämpfen. Die Terror-Organisation al-Qaida, die überwiegend der radikalen saudischen Strömung des Wahabismus angehört, hat offenbar den Kampf gegen die Hisbollah aufgenommen.

Anfang Juni hatte der saudische Top-Kleriker Großmufti Abdul Asis Al al-Sheikh die Hisbollah in der offiziellen saudischen Presseagentur eine „widerwärtige Sektierergruppe“ genannt und den Aufruf des prominenten ägyptischen Geistlichen zu einem sunnitischen „Heiligen Krieg“ in Syrien bekräftigt. Der libanesische Präsident Michel Suleiman, ehemals Kommandeur der libanesischen Armee, forderte die Hisbollah zum Abzug aus Syrien auf.

Eine halbe Million Syrer sind vor den Kämpfen in den Libanon geflohen, der drei Jahrzehnte lang völlig von Syrien dominiert worden war und nun durch das Engagement der Hisbollah immer mehr in den Syrien-Konflikt hineingezogen wird. Im Norden des Libanon kam es bereits zu heftigen sektiererischen Kämpfen. Es gibt 18 Religionsgruppen im Libanon; aber man kann sehr grob sagen, dass Christen, Sunniten und Schiiten jeweils rund ein Drittel ausmachen. Je länger der Krieg in Syrien dauert und je erbitterter er zwischen Sunniten und Schiiten ausgetragen wird, desto mehr steigt das Risiko, dass er auf den Libanon übergreift – Israels Nachbarn. Israel hat mit der Hisbollah seit dem Libanon-Krieg 2006, der fast 1200 Todesopfer forderte, noch eine Rechnung offen.

In Syrien geht es für die Hisbollah um sehr viel. Siegt Assad am Ende auf ganzer Linie, dürfte dies die Position der Schiitenmiliz in der Region massiv stärken. Doch fällt Assad, dann könnte die Hisbollah mit ihm fallen.

Abendblatt-Chefautor Thomas Frankenfeld greift an dieser Stelle jeden Donnerstag ein aktuelles Thema auf