Hamburg. Was lesen? Abendblatt-Redakteur Thomas Andre und Literaturhaus-Chef Rainer Moritz über aktuelle Bestseller, die es in sich haben.

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Fernsehkommissare sind anscheinend nie ganz ausgelastet. Sie suchen jedenfalls verstärkt nach literarischer Beschäftigung. „Tatort“-Ermittler Ulrich Tukur hat jetzt seinen ersten Roman geschrieben, nach Axel Milberg und Matthias Brandt ist er der dritte buchberufene Schauspieler in diesem Jahr. Aber taugt sein Roman „Der Ursprung der Welt“ etwas? Darüber unterhalten sich Literaturhaus-Chef Rainer Moritz und Abendblatt-Redakteur Thomas Andre in der neuen Folge von Next Book Please.

Auch einem anderen bisweilen heiklen Thema widmet sich das Textleser-Duo diesmal: dem des selbst Prosa schreibenden Literaturkritikers/der selbst Prosa schreibenden Literaturkritikerin. In diesem Fall ist es die „Zeit“-Autorin Ursula März, die mit „Tante Martl“, eine Hommage an die eigene Familie, ihr Romandebüt vorlegt. Spoiler: Über den häufigen Gebrauch des pfälzischen Idioms freuen sich beide Kritiker, haben freilich Bedenken, dass norddeutsche Leser jenen ohne weiteres verstehen.

Das perfekte Buch für den Herbst

Keinerlei Sprachbarriere gibt es im Hinblick auf „Metropol“, den neuen Roman von Eugen Ruge. Der Schriftsteller schöpft auch in diesem Buch aus der eigenen Familiengeschichte. Charlotte und Wilhelm, seine Großeltern, kennen wir bereits aus „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, dem Buchpreisgewinner von 2011. Jetzt treffen wir sie in Moskau an, 1936, im Hotel Metropol – sie sind kommunistische Agenten, im Geheimdienst OMS, zugehörig zur Komintern, beschäftigt. Von einem auf den anderen Tag aber nicht mehr: Sie werden, wie nach und vor ihnen so viele andere, suspendiert und harren im Hotel Metropol aus. Charlotte und Wilhelm hatten Kontakt zu sogenannten „Volksfeinden“. Ob und wie es Ruge gelingt, die Atmosphäre aus Misstrauen und Argwohn zu beschreiben, die zurzeit der stalinistischen Säuberungen herrschte, und ob er es schafft, in diesem Tatsachenroman die Kaderakte seiner Großmutter zu literarisieren, darüber wäre zu reden. Und wird es: in Next Book Please.

Dort kommt auch die norwegische Literatur zu ihrem Recht. Immerhin ist Norwegen 2019 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Thomas Andre und Rainer Moritz widmen sich im Podcast mit Jon Fosse einem der prominentesten Vertreter der nordeuropäischen Literatur überhaupt. Der Meister arbeitet derzeit an einer Heptalogie, einem siebenbändigen Werk also; die ersten beiden Bände sind nun unter dem Titel „Der andere Name“ erschienen. Der Text handelt von zwei Malern, die den gleichen Namen tragen. Sind sie ein und dieselbe Person? Das kann man noch nicht sagen. Gefallen finden darf man jedoch uneingeschränkt am Fosse-Duktus der Wiederholungen; das repetitive Element wird, wie beide Kritiker finden, hier aufs Schönste vor dem Leser ausgebreitet. Vielleicht ist „Der andere Name“, dieses glänzende Beispiel der erden- und schicksalsschweren skandinavischen Literatur, ja das perfekte Herbstbuch.