Die Kieler SPD-Internetfachfrau Gesche Joost fordert mehr Druck auf die USA in NSA-Affäre und eine neue europäische Datenschutzpolitik.

Hamburg. Sie ist jung, fotogen, locker und klug – und trägt sogar einen Professorentitel. Gesche Joost hätte das Zeug zum Star im mausgrauen „Kompetenzteam“ von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Ihr einziges Manko: Die spätestens seit Prism und der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung immer mehr in den Fokus gerückte Netzpolitik, für die Steinbrück sie nominierte, ist bisher nicht wirklich ihr Fachgebiet gewesen. Vielmehr hat die 1974 geborene Kielerin über Filmrhetorik promoviert und über Design geforscht und arbeitet seit 2011 als Professorin an der Berliner Universität der Künste. Nicht unbedingt die Vita eines echten Nerds.

Als sie im Mai in Steinbrücks Team berufen wurde, hatte sie kaum Follower bei Twitter und nutzte Facebook nur privat im engeren Freundeskreis. Mittlerweile hat sich das geändert. Joost kommuniziert auf allen digitalen Kanälen und hat sich längst eingearbeitet und eine klare Meinung zu den wichtigen Fragen der Netzpolitik gebildet.

In der aktuellen Debatte um die Ausspähprogramme fordert Joost einen härteren Kurs gegenüber den USA. „Wir müssen konsequenter deutlich machen, dass wir die Missachtung unserer Bürgerrechte nicht akzeptieren werden“, sagte Joost bei einem Besuch in der Abendblatt-Redaktion. „Die Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen mit den USA bieten dazu eine weitere Gelegenheit. Es geht hier immerhin um unsere Souveränität.“

Die Vorwürfe gegen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, er habe als Kanzleramtsminister schon 2002 die Ausspähung genehmigt, weist Joost zurück. „Linke und CDU benutzen das als dreistes Wahlkampfmanöver“, so Joost. „Dass BND und NSA zusammenarbeiten, ist wünschenswert und auch richtig. Die Frage, um die es geht, ist aber ganz konkret, in welchem Ausmaß unsere Bürgerrechte durch Programme wie XKeyscore und Prism verletzt werden. Da verweigert die aktuelle Bundesregierung die Antwort.“ Um die Privatsphäre auch im Internet künftig besser zu schützen, plädiert Steinbrücks Netzexpertin für eine „neue Datenpolitik in Deutschland und Europa“. Diese solle vor allem auf drei Säulen stehen.

Privatsphäre im Netz gewährleisten

Erstens solle die Kommunikation im Netz viel stärker als bisher verschlüsselt werden. Unter den Schlagworten „Security by Design“ und „Privacy by Design“ sollten Anbieter von Kommunikationsprodukten schon bei der Entwicklung dafür sorgen, dass Privatsphäre und Sicherheit gewährleistet seien.

Zweitens müsse die bereits entwickelte europäische Datenschutzrichtlinie nun bald beschlossen werden. Darin sei etwa das „Marktortprinzip“ enthalten, sprich: Wenn Firmen wie Google oder Facebook ihre Dienste auf dem europäischen Markt anbieten, müssen sie sich an die hier geltenden Gesetze und Datenschutzrichtlinien halten. Das Argument, die Server stünden ja in den USA, gelte dann nicht mehr. Drittens fordert Joost ein „Recht auf Löschung“. Der Einzelne müsse berechtigt und in der Lage sein, alle von ihm generierten Daten im Internet wieder zu löschen oder löschen zu lassen.

Wichtig sei es, auch bei diesen Themen eine gemeinsame europäische Linie zu finden, auch um mit Staaten wie Russland oder China auf Augenhöhe zu verhandeln. „Das Ziel muss eine Art Völkerrecht des Internets sein“, sagt Joost. Nur so könne man dafür sorgen, dass Bürgerrechte auch im Netz gälten. Ein weiteres zentrales Anliegen für die SPD sei ein „schnelles Internet für alle“, so Joost. Dass der Breitbandausbau derzeit stagniere, schade der deutschen Wirtschaft und der Gesellschaft. Nach dem SPD-Konzept könnten die Bürger sich am Ausbau über Fonds beteiligen und zugleich noch eine gute Rendite erzielen.

Trotz der großen Probleme, die die Digitalisierung etwa für Einzelhandel, Buchverlage und Medien mit sich brächten, überwögen für die Gesellschaft insgesamt die großen Chancen der Vernetzung, sagte Joost. So werde der Zugang zu Bildung für jedermann vereinfacht, bis ins hohe Alter könnten die Menschen künftig an gesellschaftspolitischen Diskussionen teilnehmen oder sich über das Internet weiterbilden. „Das ist wirklich großartig. Ich dränge da auch auf eine weitere Öffnung durch Open Data und Open Access. Forschungsergebnisse sollten zum Beispiel viel leichter im Netz verfügbar sein. Das sind alles sehr vielversprechende Zukunftsszenarien.“

Die Themen Netzpolitik und Digitalisierung müssten nach dem 22. September „auf jeden Fall zentral repräsentiert werden“, sagte Joost. Man könne dieses Gebiet nicht auf verschiedene Ministerien verteilen. Es müsse mindestens einen eigenen Staatsminister für diesen Bereich geben, wenn nicht sogar ein Ministerium. „Da stehen so spannende Themen auf der Agenda“, sagt die Professorin, „ich würde sie sehr gerne mitgestalten.“