Nach dem Streit um die Stadtautobahn sind die Gespräche zwischen Grünen und SPD geplatzt. Nun rückt die CDU als Partner in den Blickpunkt.

Berliln. Das geplante rot-grüne Regierungsprojekt in der Hauptstadt ist schon vor dem Start gescheitert: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und seine SPD ließen am Mittwoch die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen platzen – bereits nach einer guten Stunde. Hauptgrund waren die unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zur Verlängerung der Stadtautobahn A100. Nun will die SPD mit der CDU über eine Koalition verhandeln. Das beschloss der Landesvorstand am Abend einstimmig.

Wowereit begründete das Ende der Verhandlungen mit dem seit langem andauernden Streit um die Autobahn: „Bei dem Thema A100 sind die Positionen offenbar nicht in Einklang zu bringen“, sagte er. Die Grünen vermuteten, die Autobahn sei nur vorgeschoben. In Wirklichkeit könne sich Wowereit bei der knappen Mehrheit von Rot-Grün im Landesparlament nicht auf seine eigenen Leute verlassen.

Rot-Grün hätte mit zusammen 76 Mandaten nur eine Stimme mehr als die absolute Mehrheit gehabt, die zur Wahl des Regierenden Bürgermeisters notwendig ist. SPD und CDU haben dagegen mit 86 Mandaten zehn Stimmen mehr.

Damit steht die Hauptstadt nach fast zehn Jahren Rot-Rot vor einer Neuauflage der großen Koalition. Von 1991 bis 2001 hatten SPD und CDU unter umgekehrten Vorzeichen miteinander in Berlin regiert – die SPD als Juniorpartner in dem vom Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) geführten Senat.

Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Michael Müller kündigte am Abend an, es werde nun Vorgespräche mit der CDU für Koalitionsverhandlungen geben. Diese sollten möglichst schon in der kommenden Woche beginnen. Die etwa 40 Mitglieder im Landesvorstand beschlossen zuvor ohne Gegenstimmen bei zwei Enthaltungen, dem Weg von Wowereit und Müller zu folgen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dilek Kolat sagte: „Enttäuschung war auch eindeutig da. Aber die Einsicht war auch sehr groß.“

Die Christdemokraten sind nach den Worten ihres Landes- und Fraktionsvorsitzenden Frank Henkel dafür bereit. „Sollte es ein Verhandlungsangebot der SPD geben, werden wir uns dem nicht verschließen“, sagte Henkel der Nachrichtenagentur dpa. „Wir müssen abwarten, ob Klaus Wowereit auf uns zukommt.“

Wowereit sagte in der rbb-Abendschau: „Wir sollten daran arbeiten, eine solide Regierung hinzukriegen, die tragfähig ist.“ Entspannt sei nichts. „Die CDU ist eine konservative Partei, die SPD eine linke.“

Fragen nach einer Zusammenarbeit mit der Piratenpartei wehrte Wowereit lachend ab. „Auch eine interessante Variante“, sagte er ironisch. Müller betonte, soweit sei die junge Piratenpartei noch nicht. „Ich sehe sie zur Zeit nicht als Regierungspartner.“

Die Berliner Piraten hatten am Mittwoch auf einer Sondersitzung ihrer Fraktion beschlossen, den anderen Parteien im Landesparlament Sondierungsgespräche anzubieten. „Den Bürgern eine rot-schwarze Regierung als einzig mögliche Regierungsmehrheit zu präsentieren, ist nicht notwendigerweise die ganze Wahrheit“, hieß es. Rechnerisch wäre im neuen Berliner Abgeordnetenhaus auch ein Bündnis von SPD, Linken und Piratenpartei möglich. Linke und Piraten sind aber auch gegen die A100.

Die Grünen-Bundesspitze äußerte sich tief enttäuscht über die Absage der SPD. Die Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir kritisierten: „Es ist ein Offenbarungseid für die SPD insgesamt, dass Klaus Wowereit nun mit der CDU den Rückwärtsgang einlegen und eine Politik von Gestern machen will, die auf unsinnige Betonprojekte, auf soziale Kälte, auf ausgrenzende Integrationspolitik und Ignoranz in Bezug auf die Klimaschutzpolitik setzt.“

Renate Künast, die Wowereit bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September als Spitzenkandidatin unterlegen war, warf Wowereit vor, sein Ziel sei von Anfang an Rot-Schwarz gewesen. „Er wollte eine Kapitulation und keine Koalition.“

Ramona Pop, Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus, kommentierte die Gespräche mit der CDU am Abend mit den Worten: „Klaus Wowereit ist die bequeme Mehrheit wichtiger als die soziale und ökologische Modernisierung der Stadt. Das ist ein prinzipienloser Schwenk von der Linkspartei zur CDU. Die SPD verkommt zum Wowereit-Anhängsel.“

Der Berliner Juso-Chef Christian Berg kündigte an, die SPD-Jugendorganisation werde diese Absage an die Grünen nicht einfach hinnehmen. „Wir fordern einen SPD-Parteitag, bevor weitere Entscheidungen getroffen werden.“

Die SPD will die Stadtautobahn um 3,2 Kilometer verlängern. Die Grünen lehnen das ab. Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld dafür, dass ein Kompromiss nicht gefunden werden konnte.

Die Grünen argumentierten, sie hätten zugestanden, 900 Meter der Autobahn weiter zu bauen und die Strecke dort enden zu lassen. Danach könne man weiter sehen. Dieses Angebot sei für die Grünen bis an deren Schmerzgrenze gegangen, sagte Jarasch. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann sagte: „Wir waren dazu bereit. Wir waren sogar bereit zu sagen, es gibt einen Baubeginn.“

Wowereit wollte das ganze Stück Autobahn bauen. Es gehe um die künftige Infrastruktur der Stadt. „Es ist schon ein zentraler Punkt.“ Für ihn stelle sich auch die Frage von Kompromissbereitschaft und Zuverlässigkeit eines Partners. „An so einer Frage macht sich auch aus, ob sie über fünf Jahre auch bei neuen Themen eine Übereinkunft finden.“

Diesen Eindruck teilte auch der Berliner SPD-Vize Mark Rackles, der sich als Linker in der SPD für Rot-Grün sehr stark gemacht hatte. „Wenn sie mit Leuten nach zehn Tagen gemeinsamen Ringens keinen klaren und eindeutigen Satz formulieren können, der trägt, dann können sie mit diesen Leuten auch nicht regieren.“

Koalitionen von SPD und Grünen hielten in Berlin nur kurz

Nach Hessen hatte West-Berlin Ende der 1980er Jahre als zweites Bundesland eine rot-grüne Landesregierung. Insgesamt zwei Mal fanden SPD und Grüne in Berlin zu einer Koalition zusammen, beide Bündnisse hielten aber nur kurz. Ein möglicher dritter Anlauf scheiterte am Mittwoch schon nach wenigen Stunden in den Koalitionsverhandlungen am Streit über eine drei Kilometer lange Autobahntrasse. Die SPD war strikt dafür, die Grünen vehement dagegen.

+++ Rot-grüne Koalition? Berliner SPD ist skeptisch +++

Am 16. März 1989 wurde Walter Momper an der Spitze eines Senats aus SPD und Alternativer Liste (AL) zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Damit regierte in Berlin erstmals eine rot-grüne Koalition. Von den 14 Senatorenposten gingen 8 an Frauen.

Der Koalitionsfrieden hielt allerdings nicht lange. Nach dem Mauerfall gut zwei Wochen vor den Gesamtberliner Wahlen beschloss die AL am 2. Dezember 1990 im Streit über die Räumung besetzter Häuser in Friedrichshain, die Koalition mit der SPD zu verlassen. Aus den Neuwahlen ging die CDU deutlich als Sieger hervor. Die SPD wurde Juniorpartner in der großen Koalition.

Der zweite rot-grüne Senat wurde im Oktober 2001 gebildet, nachdem die SPD wegen der Affäre um die Berliner Bankgesellschaft die große Koalition mit der CDU aufgekündigt hatte. Bis zu den vorgezogenen Neuwahlen am 21. Oktober 2001 regierte Klaus Wowereit mit einem Minderheitssenat aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen, der von der damaligen PDS toleriert wurde.

Nachdem Verhandlungen zur Bildung eines Senats aus SPD, FDP und Grünen gescheitert waren, bildete Wowereit Anfang 2002 ein Regierungsbündnis mit der PDS. Dies Koalition hielt fast zehn Jahre. Da sowohl SPD und Linke bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September Stimmen verloren, ist die Fortsetzung dieses Bündnisses nicht mehr möglich. Eine komfortable Mehrheit im Abgeordnetenhaus hätten die Sozialdemokraten mit der CDU.

Rechnerisch möglich, aber absolut unwahrscheinlich wäre noch eine Koalition der SPD mit Linke und Piratenpartei. Die Piraten waren unerwartet mit 8,9 Prozent erstmals in ein Landesparlament eingezogen.

(dpa/dapd/abendblatt.de)