Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel beklagt die lapidare Atommüllpolitik im Koalitionsvertrag. Einen Widerspruch gibt es auch beim Endlager Schacht Konrad für schwach- und mittelaktiven Müll.

Hannover. Die Atompolitik und hier vor allem die Endlagerung war der vielleicht heikelste Punkt bei der Bildung der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen im Februar. Und was die Sozialdemokraten jetzt auf Bundesebene mit der CDU ausgehandelt haben bei den Reizthemen wie Gorleben und Schacht Konrad, beunruhigt die kleineren Partner in Hannover sichtlich. Der grüne Umweltminister Stefan Wenzel ist „enttäuscht“, beklagt im Gespräch mit dem Abendblatt große Differenzen und damit Reibungsflächen mit der Koalitionsvereinbarung auf Landesebene.

Er fordert die SPD energisch auf, sich jetzt zumindest die Zuständigkeit für den Umgang mit Atommüll und Endlagerung auf Bundesebene nicht von der CDU nehmen zu lassen: „Entscheidend wird sein, wer das Ressort übernimmt vor allem deshalb, weil der Koalitionsvertrag so wolkig bleibt mit Formulierungen, die viele Interpretationen zulassen.“

Schließlich sollen in dieser Legislaturperiode die Weichen gestellt werden für eine neue ergebnisoffene Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Müll. Umweltminister Wenzel will den mehr als 30 Jahre alten Rahmenbetriebsplan zur Erkundung des Bergwerks Gorleben auslaufen lassen, das würde es erschweren, später unbürokratisch wieder auf Gorleben zurückzukommen. Aber genau gegen die Aufhebung des Betriebsplanes hat das Bundesumweltministerium unter dem CDU-Mann Peter Altmaier eine Klage angekündigt. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene wird dieser Dissens schlicht ausgeblendet. Wenzel wird deshalb deutlich: „Das ist ein sehr unfreundlicher Akt, wenn der Bund diese Klage aufrechterhält.“ Er warnt: „Das erschüttert das Vertrauen in einen Neubeginn bei der Endlagersuche und erschwert die Arbeit der Kommission, die Sicherheitsanforderungen – wenn irgend möglich im Konsens – festlegen soll, um eine ergebnisoffene Suche nach einem Endlager zu ermöglichen.“

Einen offenen Widerspruch gibt es auch beim Endlager Schacht Konrad für schwach- und mittelaktiven Müll. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD auf Bundesebene heißt es lapidar, die Errichtung solle „vorgetrieben“ werden aus Verantwortung für nachfolgende Generationen.

Auf Landesebene aber hat die SPD einen Koalitionsvertrag unterschrieben, der für das ehemalige Erzbergwerk Konrad gerade angesichts der Erfahrungen mit dem maroden Endlager Asse „eine Neubewertung der Konzeptions- und Einlagerungsbedingungen“ verspricht. Wenzel macht klar, dass seine Partei darauf besteht: „Die Planung für Schacht Konrad ist 30 Jahre alt und muss daher mit dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik abgeglichen werden.“ Dies gelte für ihn ausdrücklich auch für die Frage, ob Atommüll nicht grundsätzlich für eine definierte Frist rückholbar gelagert werden sollte.

Offen ist auch noch die Frage, wohin der Atommüll aus der britischen Aufarbeitungsanlage Sellafield kommt. Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, dass im Zuge der neuen Endlagersuche die letzten 21 Castoren aus der englischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield sowie fünf weitere Behälter aus dem französischen La Hague nicht ins Zwischenlager Gorleben gebracht werden. Mit Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg haben sich zwei Bundesländer mit rot-grüner respektive grün-roter Landesregierung bereit erklärt, je einen Standort zu benennen. Wenzel aber erinnert daran, dass der Deal für den großen Endlagerkompromiss im August an eine Bedingung geknüpft ist: „Jetzt muss wie verabredet auch noch ein unionsregiertes Land Mitverantwortung übernehmen.“ Im Klartext: Entweder Hessen oder Bayern, beides Bundesländer mit Kernkraftwerken, muss in den sauren Apfel beißen.

Es gibt im Koalitionsvertrag auf Landesebene weitere Forderungen, die sich nun auf Bundesebene nicht ansatzweise wiederfinden. Dafür haben sich CDU und SPD auf Formulierungen geeinigt, über die Wenzel nur den Kopf schütteln kann. Die Feststellung etwa, die Sicherheit der Atomkraftwerke müsse zu jeder Zeit gewährleistet werden, findet er „neben der Spur, das steht so schon im Atomgesetz“. Er kann sich zwei mögliche Gründe vorstellen: „Die Unterhändler haben die Dimension der Aufgabe, eine sichere Endlagerung auf den Weg zu bringen, entweder nicht erkannt oder sie haben sie heruntergespielt.“

Wenzel besteht darauf, die beiden noch laufenden Kernkraftwerke in Niedersachsen, also Grohnde und Lingen, in den kommenden Jahren genau unter die Lupe zu nehmen, um trotz gedeckelter Laufzeiten Nachrüstungen anzuordnen – wieder so ein Punkt, der sich auf Bundesebene in der Koalitionsvereinbarung nicht findet.

Dass die neue schwarz-rote Bundesregierung die Brennelementesteuer 2016 auslaufen lassen will, versteht Wenzel überhaupt nicht: „Steuersenkung geht gar nicht. Die Brennelementesteuer muss verlängert werden mit höheren Steuersätzen, und es ist und bleibt eine versteckte Subvention und illegale Beihilfe, wenn die Haftpflichtfrage nicht geklärt wird.“ Wer diese „Unwuchten“ beseitige, so Wenzel, werde klar erkennen: „Atomkraft war nie wirtschaftlich und wird es auch nie sein.“