Hamburg. Die Leiterin des Olympiastützpunktes spricht über das Trainingsverbot für Athleten und eine nötige Verlegung der Tokio-Spiele.

Am Eingang des Olympiastützpunktes (OSP) in Dulsberg hängt ein Zettel. „Zutritt nur für Mitarbeiter*innen und Olympiakader-Athlet*innen“, steht dort zu lesen. Trainingsbetrieb war am Montagmorgen allerdings selbst für Hamburgs Elitesportler nicht möglich. Nachdem die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz am Sonntag in einer Allgemeinverfügung jeglichen Sportbetrieb auf allen öffentlichen und privaten Anlagen bis zum 30. April untersagt hatte, musste OSP-Leiterin Ingrid Unkelbach am Montag eine Ausnahmegenehmigung für den Trainingsbetrieb beantragen, deren Annahme auf sich warten ließ. Arbeit hat die 60-Jährige allerdings genug, wie sie im Abendblatt-Interview schildert.

Hamburger Abendblatt: Frau Unkelbach, die vergangenen Tage waren für alle Menschen surreal. Wann haben Sie begriffen, dass wir es mit einer nie da gewesenen Lage zu tun haben?

Ingrid Unkelbach: Vor einer Woche bekam ich eine Mail vom Leiter des OSP von Mecklenburg-Vorpommern, der fragte, ob unsere für diesen Montag geplante Versammlung aller OSP-Leiter in Frankfurt stattfinden werde. Den habe ich gefragt, ob er Scherze mache, denn ich ging davon aus, dass wir uns natürlich treffen würden. Am Donnerstag habe ich Abbitte geleistet, am Freitagmorgen habe ich eine erste Rundmail an alle Athletinnen und Athleten und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschickt, in der ich alle Dienstreisen untersagt und alle OSP-Veranstaltungen abgesagt habe. Da war mir allerdings schon klar, dass das nur ein erster Schritt ist.

Am Montagmorgen haben Sie eine Ausnahmegenehmigung beantragt, um den Kaderathleten, die sich auf die Olympischen Spiele in Tokio vorbereiten, Trainingsmöglichkeiten zu bieten. Was umfasst diese Ausnahmegenehmigung, und ist sie erteilt worden?

Unkelbach: Tatsächlich habe ich diese Genehmigung bereits am Sonntagabend schriftlich eingereicht, sobald ich Kenntnis von der Allgemeinverfügung hatte. Darin habe ich darum gebeten, dass wir das Beachcenter, die Schwimmhalle und den Kraftraum für Olympiakader öffnen und diesen auch die nötige medizinische, physiotherapeutische und psychologische Betreuung ermöglichen können. Am Montag habe ich dann versucht, bei den zuständigen Behörden, dem Sport- und Gesundheitsamt, eine Auskunft zu erhalten, aber bislang keine bekommen. Ich verstehe, dass das eine Situation ist, die uns alle extrem fordert, und dass jeder in dieser Phase versucht, sein Bestes zu geben. Dennoch hoffe ich sehr, dass die Behörden schnellstmöglich reagieren.

Sie haben 23 Internatsschüler, die am OSP leben und die Eliteschule des Sports am Alten Teichweg besuchen. Was haben Sie mit denen gemacht?

Unkelbach: Nachdem klar war, dass die Schulen geschlossen werden, haben wir alle nach Hause geschickt. Wenn sie weder zur Schule gehen noch trainieren können, ergibt es keinen Sinn, dass sie hierbleiben. Wir öffnen das Internat erst wieder, wenn auch die Schule wieder beginnt.

Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen

  • Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Händewaschen
  • Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
  • Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
  • Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten, die Infektionssymptome zeigen
  • Schutzmasken und Desinfektionsmittel sind überflüssig – sie können sogar umgekehrt zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen

Warum ist es nicht möglich, dass sich der Sport an die Auszeit bis 30. April hält? Viele andere Berufsgruppen trifft es doch auch.

Unkelbach: Das stimmt, aber man muss differenzieren. Profisportler, die mit ihrem Sport Geld verdienen oder die sich für Olympia vorbereiten, können nicht jetzt sechs Wochen pausieren und dann direkt wieder in den Spielbetrieb einsteigen. Sie müssen in der Lage sein, sich körperlich auf einem Level zu halten, das es ihnen erlaubt, nach der Aufhebung des Sportverbots wieder Wettkämpfe auf höchstem Niveau zu bestreiten.

Warum können Sportler nicht, wie viele andere auch, in eine Art Home-Office geschickt werden, also privat zu Hause trainieren?

Unkelbach: Wenn man das verordnet, dann muss klar sein, dass wir nur davon reden, dass die Athletinnen und Athleten ihre Grundfitness aufrechterhalten. Sie können dann joggen gehen und im besten Fall zu Hause an Geräten arbeiten. Aber das ersetzt nicht das zielgerichtete Kraft- und Athletiktraining am OSP und schon gar nicht das gemeinsame Team- oder Gruppentraining. Wenn wir jetzt sagen, dass unsere Athletinnen und Athleten bis zum 30. April nicht trainieren dürfen, dann müssen auch ehrlich sagen, dass wir kein deutsches Team nach Tokio schicken können. Selbst wenn die Spiele um einige Monate verschoben würden, wären sechs Wochen Trainingspause kaum aufzuholen.

Lesen Sie auch:

Glauben Sie ernsthaft, dass am 24. Juli in Japan Olympische Spiele beginnen?

Unkelbach: Tatsächlich ist für mich aktuell nicht mehr vorstellbar, dass Olympia wie geplant stattfindet. Die Qualifikationswettbewerbe sind in vielen Sportarten ausgesetzt und nach Ende des Banns schlicht nicht mehr gerecht durchzuführen. Außerdem muss der Aufbau der Logistik in Tokio spätestens Anfang Mai beginnen. Das wichtigste Argument aber ist, dass ich es schlicht verantwortungslos fände, im Sommer mehr als 10.000 Athleten, deren Betreuerteams und Millionen Fans an einem Ort zu versammeln und die danach wieder in alle Welt zu schicken. Solange das Virus nicht durch eine Impfung beherrschbar ist, halte ich jegliche weltumspannende Veranstaltung für nicht durchführbar.

Sollte das IOC dann nicht Fakten schaffen?

Unkelbach: Ich kann verstehen, dass das IOC so lange wie möglich mit einer Absage oder einer Verschiebung wartet, denn was diese an Konsequenzen mit sich bringt, davon machen wir uns alle noch kein Bild. Tatsächlich glaube ich aber, dass eine schnelle Absage für die Betroffenen besser wäre als ein langes Warten, denn die quälende Ungewissheit ist für viele Athleten sehr anstrengend und mental fordernd.

Sie haben viel Kontakt mit den Sportlern. Wie ist die Stimmung aktuell?

Unkelbach: Meine Kommunikation läuft vorrangig über Trainer und Sportdirektoren. Aber natürlich sprechen mich auch viele Athletinnen und Athleten an. Denen versuche ich so offen wie möglich Auskunft zu geben. Mir geht es aktuell ähnlich wie den meisten Betroffenen. Ich versuche, die Folgen noch nicht an mich herankommen zu lassen. Da hängen so viele Einzelschicksale dran, dass ich nur heulen müsste, wenn ich mich damit jetzt belasten würde. Andererseits ist uns auch klar, dass es noch viel schlimmere Schicksale gibt, als nicht trainieren oder gar nicht zu Olympia fahren zu dürfen.

Die meisten Sportlerinnen und Sportler sorgen sich nicht um ihre Gesundheit, sondern um die Folgen der Corona-Krise für ihren Beruf und die Gesellschaft. Wie geht es Ihnen?

Unkelbach: Genauso. Auch wenn ich mit 60 zur Risikogruppe zähle, habe ich keine Angst vor einer Ansteckung. Aber ich mache mir viele Gedanken über die Auswirkungen der Krise. Ich fürchte, dass die Diskussion darüber, warum man sich Leistungssport überhaupt noch antun soll, zunehmen wird. Aber vieles wird nach Corona nicht mehr so sein wie davor.

Krisen bewirken allerdings auch oft, dass sich mehr Gemeinsinn entwickelt. Nehmen Sie solche Signale bereits wahr?

Unkelbach: Tatsächlich reagieren bislang alle mit viel Verständnis und Besonnenheit. Ob das so bleibt, wenn man sechs Wochen nur zu Hause gesessen hat, bleibt abzuwarten. Aber es macht Mut.