Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Sanel M. Der 18-Jährige könnte mit Bewährung davonkommen

Frankfurt. Manche Juristen hielten die Chancen von Sanel M., das Wiesbadener Jugendgefängnis demnächst verlassen zu dürfen, für gar nicht mal so gering. Andere Rechtsexperten hingegen konnten sich nur schwer vorstellen, dass der 18-Jährige, der die Lehramtsstudentin Tugce A. Mitte November vor einer Offenbacher McDonald’s-Filiale niedergeschlagen hatte, tatsächlich vom Amtsrichter heimgeschickt werden würde.

Arbeitslos, unstet, zwar in Deutschland geboren, aber mit serbisch-montenegrinischem Pass: Da sei die Fluchtgefahr immens, argumentierte auch der Anwalt von Tugces Familie, Macit Karaahmetoglu, vor dem Haftprüfungstermin an diesem Mittwoch, den Sanel M. beantragt hatte. Doch nun ist schon vor dem von Sanel M. beantragten Haftprüfungstermin klar, dass es mit der Entlassung nichts wird. Sanel M. wurde in letzter Minute doch noch offiziell von der Offenbacher Staatsanwaltschaft angeklagt. Die Haftprüfung beim Amtsrichter platzte damit. Stattdessen wird es wohl noch vor Mai einen Prozess bei der Jugendkammer des Darmstädter Landgerichts geben. Das Gericht will aber noch keine Angaben zu einem möglichen Termin machen.

Dem 18-Jährigen wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Das ist keine große Überraschung: Weil es ein Überwachungsvideo von der Tat gibt, war es laut Staatsanwalt Axel Kreutz schon von Beginn an klar, dass Sanel M. ziemlich offenkundig nicht die Absicht hatte zu töten. Für Totschlag ist aber ein Tötungsvorsatz notwendig.

Ärger in der U-Haft: Mithäftling soll Verdächtigem Nase gebrochen haben

Seit Wochen hatte die Offenbacher Staatsanwaltschaft davon gesprochen, möglichst schnell Anklage erheben zu wollen. Immerhin handelt es sich um einen Fall, der bundesweit immenses Aufsehen erregt hat. Und ohnehin ist die Justiz angehalten, in Jugendstrafsachen binnen sechs Monaten Anklage zu erheben und auch den Prozess zu beginnen, damit sich die Beschuldigten und auch deren Familien möglichst schnell auf ihr weiteres Schicksal einstellen können. Bei Jugendlichen – und als solcher wird der gerade erst 18 Jahre alt gewordene Sanel M. noch behandelt – steht der Resozialisierungsgedanke im Vordergrund.

Die Rede war zunächst von einer Anklage Ende Januar, doch geschehen war bisher nichts. Stattdessen wurde der Beschuldigte selbst aktiv. Er ließ seinen Anwalt Stephan Kuhn eine Haftentlassung beantragen – mit dem Argument, er habe seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland, und Verdunklungsgefahr sei deshalb nicht zu befürchten. Doch der 18-Jährige bleibt nun zumindest vorerst weiter in der Wiesbadener Jugendstrafanstalt – dort, wo er selbst in der vergangenen Woche erlebte, wie es sich anfühlt, ein Gewaltopfer zu sein. Wie die Staatsanwaltschaft nämlich auch bestätigte, wurde Sanel von einem Mithäftling verprügelt. Ein vermutlich 20 Jahre alter Inhaftierter soll dem muskulösen, hoch gewachsenen 18-Jährigen aus Offenbach mit der Faust mitten ins Gesicht geschlagen und die Nase gebrochen haben, außerdem ist wohl ein Auge geschwollen und blau angelaufen. Sanel M. selbst schweigt zu der Attacke. Doch die Staatsanwaltschaft ermittelt auf Bitten der Justizvollzugsanstalt. Der Vorfall zeigt, wie sehr M. Hass entgegenschlägt, und das nicht nur in der JVA, sondern auch jenseits der Gefängnismauern. Seine Familie erhielt viele Hassbriefe, auch Morddrohungen sollen darunter gewesen sein. Es ist fraglich, ob sich Sanel M. einen Gefallen getan hätte mit einer Beendigung der Untersuchungshaft. Vermutlich hätte ihn die Polizei sogar rund um die Uhr schützen müssen. Die Familie von Tugce A. hat aber jede Selbstjustiz und auch nur die Androhung gegen Sanel M. klar verurteilt.

Die Richter der Jugendkammer werden sich aber mit ganz anderen Fragen zu beschäftigen haben: Damit vor allem, woran Tugce A. wirklich starb, wie sehr der Schlag von Sanel M. für ihren tragischen Tod verantwortlich war. Und wie es zu der Auseinandersetzung überhaupt gekommen ist, wie sehr welche Seite zur Eskalation beitrug. Für die Bewertung der Tat werden sich die Richter auch intensiv mit der Frage beschäftigen, wie Sanel zugeschlagen hat.

Körperletzung mit Todesfolge würde Sanel M. mindestens drei, höchstens 15 Jahre Haft einbringen, wäre er nach Erwachsenenrecht angeklagt worden. Doch bei Jugendstrafrecht gibt es keine Mindeststrafe. Theoretisch kann er mit Bewährung davonkommen.