Berlin/Malmö. Der ESC 2024 ist vorbei und Deutschland hat überraschend gut abgeschnitten. Das ist zwar schön – aber auf lange Sicht kein Grund zur Freude.

  • Deutschlands Teilnehmer beim ESC 2024 Isaak landet auf dem 12. Platz
  • Das ist ein Erfolg – vergleicht man es mit den Platzierungen der vergangenen Jahre
  • Doch ein weiterer Misserfolg hätte endlich etwas verändern können

Der ESC 2024 ist nach einer mehr als turbulenten Woche vorbei. Für reichlich Schlagzeilen sorgten im Vorfeld vor allem die Disqualifikation der Niederlande in letzter Minute und die Kontroverse um die Teilnahme Israels und die damit verbundenen Proteste in Malmö. Die Europäische Rundfunkunion (EBU), die das Event veranstaltet, pochte zudem mit einer fast an Zensur grenzenden Strenge darauf, dass politische Botschaften beim ESC verboten sind. Selbst die Worte „Freiheit“ und „Waffenstillstand“ gingen den Verantwortlichen als Botschaft zu weit.

Das ist angesichts der antisemitischen Zwischenfälle vor dem Wettbewerb zwar verständlich, ruft aber doch zurecht Kritik hervor. Zumal das beim ESC 2022 siegreiche Kalush Orchestra aus der Ukraine live nach seinem Auftritt um Hilfe für das angegriffene Land bitten durfte. Wenn man die Regeln so streng auslegt, hätte man auch Nicoles „Ein bisschen Frieden“ disqualifizieren müssen.

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Trotz politischem Hickhack: Das ESC-Finale stellt die Musik in den Mittelpunkt

Im Nachgang des Eurovision Song Contests wird das alles sicher noch aufgearbeitet werden müssen. Bereits in der Show am Samstag gab es für die Organisatoren heftigen Gegenwind – Martin Österdahl, der Supervisor der EBU, wurde lautstark ausgebuht. Doch im Finale am Samstag ging es zum Großteil tatsächlich um das, was bei dem Wettbewerb eigentlich im Fokus stehen sollte: Musik.

Einen großartigen Auftritt mit einem tollen Beitrag lieferte Nemo aus der Schweiz – und sicherte sich damit als erste nicht-binäre Person den ESC-Sieg. Das ist überraschend, weil im Vorfeld Baby Lasagna aus Kroatien als Favorit galt. Noch überraschender ist, dass Deutschland sich einen sehr verdienten zwölften Platz sichern konnte.

Deutschland überzeugt beim ESC – ein Erfolg mit Schattenseite

Der deutsche Teilnehmer Isaak kam mit seiner Reibeisen-Stimme und dem vorab heftig kritisierten Lied „Always On The Run“ vor allem bei den Jurys gut an – mehr als die Hälfte aller nationaler Expertengremien bedachte ihn mit Punkten. Insgesamt gab es von ihnen 99, vom Publikum kamen 18 weitere hinzu. Am Ende reichte es für den zwölften Platz – nur einmal schnitt die Bundesrepublik in den vergangenen zehn Jahren besser ab. Nach zuletzt zwei letzten und zwei vorletzten Plätzen scheint der deutsche ESC-Fluch endlich gebrochen.

Doch wer jetzt schon an den ESC 2025 denkt – der mutmaßlich in der Schweiz stattfinden wird – erkennt, dass die deutsche Platzierung zwar erfreulich, aber eben doch nicht nur ein Grund zur Freude ist. 2024 hat der innerhalb der ARD für den ESC zuständige NDR einen Glückstreffer gelandet. Dass das im kommenden Jahr noch einmal passiert, ist jedoch unwahrscheinlich.

Martin Nefzger ist Online-Redakteur in der FUNKE Zentralredaktion.
Martin Nefzger ist Online-Redakteur in der FUNKE Zentralredaktion. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Groß war noch vor dem Contest die Hoffnung, dass der NDR die ESC-Hoheit abgeben könnte. Gerüchten zufolge scharrt der MDR schon mit den Hufen, würde gerne übernehmen. Und auch Stefan Raab brachte sich zuletzt ins Gespräch – 2010 erklärte er den ESC zur nationalen Aufgabe und führte Lena zum Sieg. Ein Erfolg, den er gerne wiederholen würde.

Trotz Isaaks ESC-Erfolg: Ein neues Konzept muss her!

Könnte es wieder dazu kommen? Die Chance dafür ist mit dem guten Abschneiden von Isaak deutlich gesunken. Denn durch den Erfolg verringert sich der Druck auf den NDR, solchen Veränderungen zuzustimmen. Will man den ESC wirklich abgeben, wenn man gerade einen respektablen Platz erreicht hat?

Hoffentlich, denn der NDR ist ESC-müde. Das hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt. Es wird Zeit für einen Wechsel. Trotzdem können wir uns jetzt erstmal freuen: endlich nicht Letzter!