Berlin. Überlastung und schlechte Arbeitszeiten belasten immer mehr Beschäftigte. Die Gewerkschaft Verdi zieht ein bitteres Fazit – und warnt.

Die Stimmung unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bund, Ländern und Kommunen ist mies. Das ergab eine Befragung von rund 260.000 Bediensteten im Auftrag der Gewerkschaft Verdi. „Es gibt den Schrei nach Entlastung“, stellt Verdi-Chef Frank Werneke mit Blick auf die Ergebnisse fest. 84 Prozent der Befragten beklagen demnach eine gestiegene Arbeitsbelastung, da es vielfach an Personal fehlt.

Der Arbeitskräftemangel beschränkte sich nicht auf die bekannten Branchen. Dazu zählen etwa IT-Fachkräfte, Pflegerinnen und Pfleger oder Fahrer im Nahverkehr. Auch in den Verwaltungen, den gewerblichen Bereichen, den Sparkassen oder bei medizinischen und therapeutischen Berufen bleiben Stellen zunehmend unbesetzt. So berichten sechs von zehn Beschäftigten, dass Stellen in ihrem Bereich zum Teil auch in größerem Umfang unbesetzt blieben.

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Den Mangel muss das verbleibende Personal ausbaden. Im Durchschnitt verlängert sich die Wochenarbeitszeit dadurch um zwei Stunden. Überstunden werden allerdings nun in wenigen Fällen von den Vorgesetzten verlangt. Mitunter motivieren auch finanzielle Gründe, Spaß an der Arbeit oder der Wunsch nach beruflichem Weiterkommen zur Mehrarbeit. Eigentlich soll zu viel geleistete Arbeit laut Tarifvertrag durch Freizeit an anderen Tagen ausgeglichen werden. Doch nach Angaben von 47 Prozent der Befragten gelingt dies nicht immer oder gar nicht.

Öffentlicher Dienst: Überlastung hat Folgen für Gesundheit

Insbesondere Fahrerinnen und Fahrer im Nahverkehr, Musikschullehrer, Pflegekräfte und Fachkräfte der Kitas beklagen einen oft fehlenden Ausgleich für die Mehrarbeit. An Motivation fehlt es den Beschäftigten laut Verdi nicht. Vier von zehn verzichten häufig ganz oder teilweise auf die ihnen zustehenden Pausen, um das Pensum noch zu schaffen. Nur jeder siebente gab an, nie auf seine Pausen zu verzichten.

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    „Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten“, sagt Verdi-Vize Christine Behle. Zwei Drittel der Befragten fühlen sich nach der Arbeit häufig „leer und ausgebrannt“. Ebenso viele finden in der arbeitsfreien Zeit keine ausreichende Erholung. „Die Regeneration der Arbeitskraft ist in der überwiegenden Mehrheit der Fälle nicht vollständig gegeben“, heißt es in der Studie.

    Entsprechend pessimistisch blicken die Beschäftigten auf ihre berufliche Zukunft. Mehr als die Hälfte glaubt nicht, dass sie unter den gegebenen Bedingungen ohne gesundheitliche Einschränkungen bis zum Rentenalter durchhalten kann. Diese Einschätzung ist keine Frage des Alters. Auch die Befragten im Alter von 18 bis 34 Jahren erwarten mehrheitlich Gesundheitsproblem durch die Arbeitsbelastung. Besonders betroffen sind auch hier die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in den Kitas oder im Nahverkehr.

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    Wie in anderen Branchen auch, ist der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten auch im öffentlichen Dienst verbreitet. Mehr Freizeit, eine Entlastung von Arbeit oder weniger unbezahlte Arbeit sind die am häufigsten genannten Motive dafür. „Die 4-Tage-Woche ist hochattraktiv“, sagt Behle. Zwei von drei Beschäftigten würde gerne einen Tag weniger in der Woche zum Dienst gehen.

    Ist ein Arbeitstag nach Stechuhr noch zeitgemäß? Hier gilt es zwischen Faktoren wie Gesundheitsschutz und Vertrauen zu den Mitarbeitern abzuwägen.
    Ist ein Arbeitstag nach Stechuhr noch zeitgemäß? Hier gilt es zwischen Faktoren wie Gesundheitsschutz und Vertrauen zu den Mitarbeitern abzuwägen. © dpa | Sina Schuldt/dpa/dpa-tmn

    Für die Gewerkschaft sind die Ergebnisse der Befragung wegweisend für die kommenden Tarifrunden. Im Januar nächsten Jahres beginnen die Gespräche mit den Arbeitgebern von Bund und Kommunen, im darauf folgenden November stehen Tarifverhandlungen mit den Ländern an. Derzeit lotet die Tarifkommission von Verdi den Forderungskatalog für die beiden Runden aus. „Es wird Arbeitszeitforderungen geben“, kündigt Werneke schon einmal an. Aber auch die Bezahlung werde eine Rolle spielen. Konkreter will der Verdi-Chef derzeit noch nicht werden.

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    Eine einheitliche Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten erscheint vor dem Hintergrund der Befragung auch nicht wahrscheinlich. Denn zwischen den Berufsgruppen im öffentlichen Dienst gibt es große Belastungsunterschiede. So leiden vor allem Beschäftigte im Schichtdienst unter den gegebenen Arbeitsbedingungen. Sie wünschen sich vor allem mehr Geld und flexible Übergänge in den Ruhestand.

    Die 4-Tage-Woche rangiert in den meisten Berufsgruppen eher am unteren Rand der Wunschliste. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse verteidigt Werneke auch die abschlagsfreie vorzeitige Rente mit derzeit 64 Jahren und vier Monaten. Der aktuelle Angriff der FDP darauf sei eine Frechheit und eine Affront, sagt er.