Hamburg. Die ungewöhnliche Art der Kaderpräsentation des DFB ist genauso überzeugend wie das ausgewählte Personal.

Wir erinnern uns wahrscheinlich noch alle an den Begriff „Die Mannschaft“, eine vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) und vor allem Oliver Bierhoff kreiertes Pseudonym für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, zugegeben ein etwas sperriger Name, der sich nicht so leicht vermarkten lässt wie eben „Die Mannschaft“.

Das Problem dabei: Die Kunst-Marke floppte an der Basis größtenteils und stand für die Überkommerzialisierung beim DFB, vor allem, weil es sportlich sehr bescheiden lief.

Wie eine kluge, erfrischende „Verkaufe“ auch aussehen kann, ohne dabei zu kommerziell, aufdringlich oder aufgesetzt zu wirken, zeigte sich jetzt vor der offiziellen Bekanntgabe des Kaders für die Heim-EM. Häppchenweise tauchten die Namen der Nationalspieler auf, bevorzugt in den sozialen Medien. So durfte die 93 Jahre alte Oma Lotti die Nominierung des gebürtigen Hamburgers Jonathan Tah (Bayer Leverkusen) verkünden, ein Berliner Dönerladen ließ sich nicht nehmen, einen seiner Stammgäste (Antonio Rüdiger) in den EM-Kader zu platzieren.

DFB: EM-Kader soll Begeisterung bei Deutschen entfachen

Selbstverständlich ist die Kader-Kampagne im Vergleich nicht bedeutsam, steht aber symbolisch für den Auftrag des DFB, die Fußballer den Menschen wieder näherzubringen. Eine Mannschaft, der die Deutschen eher gleichgültig gegenüberstehen, die unnahbar ist, wird niemals eine ähnliche Begeisterung entfachen können, wie beim Confed-Cup 2005 und der WM 2006. Gefühlt ein ganzes Land verfiel in eine Euphorie und trug die DFB-Elf immerhin bis ins Halbfinale, obwohl sie qualitativ nicht zur Weltspitze gehörte.

Wer sich den 27 Mann starken Kader anschaut, den Julian Nagelsmann am Donnerstag final präsentierte, darf deutlich hoffnungsvoller auf eine erfolgreiche EM-Endrunde schauen als noch vor einigen Monaten. Mit der Zusammensetzung hat der Bundestrainer demons­triert, dass ihm ein funktionierendes Team wichtiger ist als die Einzelteile. Der nicht nominierte Mats Hummels beispielsweise ist trotz seiner 35 Jahre immer noch ein internationaler Top-Spieler, was er bei Borussia Dortmund eindrucksvoll bewies mit dem Einzug ins Halbfinale der Champions League.

BVB-Profi Mats Hummels wäre nur die Nummer drei gewesen

Aber er ist eben auch ein Häuptling, ein natürlicher Führungsspieler, der jedoch in der Nationalmannschaft bestenfalls als Nummer drei in der Innenverteidigung hinter Tah und Rüdiger gesetzt gewesen wäre. Ob er diese Reservistenrolle klaglos akzeptiert und auch gelebt hätte? Das ist zumindest fraglich.

Gehen wir einmal die potenzielle Stammelf durch, wird schnell erkennbar, wie viel Talent und Potenzial in ihr steckt. Kai Havertz spielt beim FC Arsenal eine herausragende Saison in der Premier League und dürfte gesetzt sein, Niclas Füllkrug als Stoßstürmer ist der ideale
Joker. Dahinter freue ich mich jetzt schon auf die Spielfreude von Florian Wirtz (von Meister Bayer Leverkusen) sowie die Kunststückchen von Bayerns Jamal Musiala, ergänzt entweder von Tempodribbler Leroy Sané oder dem Strategen
Ilkay Gündogan.

DFB-Kader: Achse hat internationale Klasse

Welch konstant hohes Niveau Titelsammler Toni Kroos seit Jahren bei Real Madrid hinlegt, muss nicht extra betont werden, neben ihm könnte Robert Andrich (noch ein Meister aus Leverkusen) für Ordnung sorgen.

In der Abwehr hat Joshua Kimmich seine Rolle rechts neben dem Duo Tah/Rüdiger angenommen. Und so bleibt nur – wie so oft bei den Deutschen in den vergangenen Jahren – ein Fragezeichen: die Besetzung der linken defensiven Seite.

Maximilian Mittelstädt hat zwar mit dem VfB Stuttgart eine herausragende Saison hingelegt, verfügt aber über wenig internationale Erfahrung. Doch genau dieses Vorgehen scheint logisch: Nicht die Verdienste in der Vergangenheit bei großen Turnieren sollten in erster Linie zählen, sondern die Form und die Leistung in der abgelaufenen Saison.

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Finden Sie das alles jetzt zu optimistisch? Mag sein, aber etwas Optimismus tut in dieser Zeit einfach mal gut. Für mich kann – auch dank Oma Lotti – die EM gerne möglichst bald anfangen. Und ob sie erfolgreich sein wird für das DFB-Team, werde ich sowieso nicht am Titelgewinn festmachen, sondern daran, ob es gelungen ist, dass sich die Deutschen wieder mit ihrem Team identifizieren.