Hamburg. Volker Wulff, scheidender Derbychef in Klein Flottbek, glaubt, dass sich der Pferdesport wegen des Tierschutzes einschneidend verändern muss.

Nach 25 Jahren allseits attestierten Erfolgs scheidet Derbychef Volker Wulff am Sonntag beim Flottbeker Traditionsereignis aus – in Disharmonie, unfreiwillig, mit Frust in der Seele. Das Abendblatt sprach mit dem Geschäftsführer der Agentur En Garde in Uthlede bei Bremen.

Hamburger Abendblatt: Herr Wulff, schmerzt ein Abschied im Streit? Oder tragen Sie’s mit Gelassenheit.

Volker Wulff: Zum Glück habe ich aktuell gar keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Unser Team gibt leidenschaftlich Vollgas. Wer wann inner- und außerhalb des Flottbeker Reitervereins welche Fäden zog, interessiert am Derbywochenende niemanden. Im Mittelpunkt steht die Begeisterung des Publikums. Wir alle haben das Derby geliebt und gelebt.

Deutsches Derby in Hamburg-Klein Flottbek: Zuschauerzahlen haben sich verdreifacht

Welcher Eindruck bleibt Ihnen ganz persönlich?

Dieses Vierteljahrhundert hat die Traditionsveranstaltung Deutsches Derby und auch unser Team geprägt. Es war eine wunderbare Zeit. Im Jahr 2000 kamen rund 30.000 Zuschauer zum Turnier; diesmal springen wir vielleicht über die damals unvorstellbare Hürde von 100.000 Besuchern. Das Blaue Band hat einen enormen Stellenwert in Hamburg. Pferdesport ist in der Hansestadt zu Hause. Ich erinnere mich an große emotionale Begebenheiten und Überraschungen.

Wir hören …

Über Corona und die Absagen ist alles erzählt. Ebenso im Gedächtnis blieb die Maul- und Klauenseuche in unserer Anfangsphase. Auch sie hätte beinahe zum Ausfall geführt. Höhepunkte waren grandiose Sprünge, völlig unerwartete Sieger und ganz besonders die Faszination unserer Gäste. Es gab so viel Gänsehaut, dass der aktuelle Verdruss bald vergessen sein wird.

Derby-Chef Volker Wulff sorgt sich um die Zukunft des Reitsports.
Derby-Chef Volker Wulff sorgt sich um die Zukunft des Reitsports. © DPA Images | Lukas Schulze

Was machen Sie am Sonntagabend? Wenn das Blaue Band vergeben ist, und wenn die Hindernisse abgebaut sind?

Dann werde ich, wie es seit mehr als zwei Jahrzehnten gute Sitte ist, in einem der Zelte mit meinen Freunden beisammensitzen, die Beine von mir strecken und Resümee ziehen. Ich gönne mir dann wieder eine Zigarre und einen guten Drink. Dabei denke ich an die Erkenntnis eines weisen Menschen. Vergeude niemals Energie für Dinge, die du nicht ändern kannst. Investiere die Kraft lieber in neue Aufgaben und Ziele.

Was steht denn zukünftig auf dem Programm?

Der Geschäftsbetrieb bei En Garde läuft hochtourig weiter. Wir organisieren große Turniere in Leipzig und Paderborn. Hinzu kommen Bundeschampionate. In China führen wir Gespräche über eine Neuauflage des Weltcups. Nach dem Event in Saudi-Arabien jüngst kann es dort ebenfalls weitergehen. Ganz abgesehen davon: Ich bin 67 Jahre alt und freue mich über eine wunderbare Ehefrau und zwei erwachsene Töchter. Außerdem möchte ich endlich mal wieder lustvoll Vatertag feiern. Wegen des Derbys in Klein Flottbek geht das ja seit 25 Jahren nicht.

Apropos Alter. Die Führung des Norddeutschen und Flottbeker Reitervereins gab als einen Grund der Trennung an, dass es bei En Garde keine Nachfolgeregelung gibt.

Unfug. Und das sagen mit dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter zwei Herren, die 82 und 87 Jahre alt sind. Aber Spaß beiseite: Bei uns ist alles für die Zukunft geregelt. Das habe ich dem NFR auch dargelegt. Eingegangen wurde darauf indes nicht.

Hand aufs Herz: Hegen Sie nicht doch einen Rochus?

Selbstverständlich hätte ich mir gewünscht, dass ein Vierteljahrhundert harmonischer ausgeklungen wäre. Ich hatte gehofft, dass hanseatisches Geschäftsgebaren und ein offenes Visier wichtiger sind als kleinkarierte Ränkespiele und Flunkereien. Schwamm drüber. Man lernt eben nie aus.

Wird es für Ihren Nachfolger Matthias Rath schwer, die Veranstaltung ähnlich erfolgreich zu gestalten – oder gar auszubauen?

Ich wünsche dem Derby und den Hamburgern eine gute Organisation. Sie gaben uns immer Rückhalt. Dennoch befürchte ich, dass im internationalen Reitsport nur wenige große Veranstaltungen dauerhaft überleben werden.

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Warum?

Mehrere Indikatoren stimmen nachdenklich. Die Schere geht wirtschaftlich aus­ein­ander. Reitsport wird teurer und aufwendiger. Immer weniger Sportbegeisterte können die Kosten tragen. Unabhängig davon registrieren wir mit Besorgnis, dass die Zahl der Derbystarter kontinuierlich abnimmt.

Weniger gute Reiter mit weniger für diese schweren Sprünge qualifizierten Pferden müssen aber doch nicht weniger Spannung bedeuten?

Korrekt. Aber wir haben in diesem Jahr bereits regulativ eingegriffen, um allzu schwache Ritte zu vermeiden – und damit schlimme Bilder im Fernsehen. Diese schaden unserem Sport. Ich befürchte, dass es Reitsport in der jetzigen Form in 20 Jahren ohnehin nicht mehr geben wird.

Ist das Deutsche Derby in Gefahr?

Man sollte die Situation nicht dramatisieren. Wir registrieren mit wachem Auge einen Trend: Die Verantwortung den Tieren gegenüber wird immer ernster genommen. Es geht um Respekt den Lebewesen gegenüber, nicht nur im Springreitsport. Das betrifft die Pferdewelt insgesamt. Ein kleines Beispiel: In Hamburg sind die gut 500 mobilen Boxen drei mal drei Meter groß. Beim Turnier in Riad waren es vier mal drei Meter. So geht es weiter. Sozial verantwortliche Ereignisse werden immer problembewusster zu organisieren sein.

Übersetzt heißt das: Auch die drei Derbys in Klein Flottbek und beim Galopp in Horn werden intensiver unter die Lupe genommen?

Das ist bereits der Fall. Und es wird ausgeprägter werden. Derbys sind Grenzveranstaltungen, bei denen die Tiere ans Limit geführt werden. Das erfordert Fingerspitzengefühl für Reiter wie Veranstalter. Für alle wird die Luft dünner. Nicht immer ist das unbedingt schlecht. Wir haben nichts gegen Augenmerk und Kontrollen zum Wohle des Lebewesens Pferd.

Was machen Sie am 1. Juni 2025?

Dem Tag des 94. Deutschen Derbys also. Das ist drei Wochen später terminiert als in diesem Jahr. Für die Zeit haben wir einen Urlaub auf Mallorca gebucht. Ein wenig Abstand kann allen Beteiligten nicht schaden. Und dann freue ich mich irgendwann wieder auf Hamburg – und auf die zahlreichen Freunde hier. Mein Herz schlägt für das Derby.