Berlin. In einer neuen Offensive rückt Russland auf die ukrainische Metropole Charkiw vor. Was Putins Truppen laut Militärexperten vorhaben.

Das russische Militär kann bei seiner neuen Offensive in der ukrainischen Region Charkiw offenbar Erfolge erzielen. „Derzeit hat der Feind taktischen Erfolg“, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht in der Nacht zum Montag mit. Nach dem Beginn der Offensive waren bisher neun Grenzdörfer von Russland erobert worden. Weitere sind umkämpft.

„Es gibt Dörfer, die sich von einer ,Grauzone‘ in eine Kampfzone verwandelt haben, und die Besatzer versuchen, in einigen von ihnen Fuß zu fassen oder sie einfach zum weiteren Vormarsch zu nutzen“, beschrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die aktuelle Lage.

Zugleich warnte Selenskyj vor unnötiger Panik: „Der Besatzer ernährt sich von Lügen und der daraus resultierenden Angst.“ Deshalb rate er, „sich nicht von Emotionen leiten zu lassen, nicht der Schlagzeile hinterherzulaufen, jede Meldung zu überprüfen und nach Informationen zu suchen, nicht nach Emotionen oder Gerüchten, und den ukrainischen Verteidigungskräften zu vertrauen“.

Lesen Sie auch:Offensive bei Charkiw: So will Putin die Ukrainer schwächen

Ukraine: Der Ort Wowtschansk ist besonders stark umkämpft

Schwere Kämpfe in der Region gibt es vor allem um die Stadt Wowtschansk, die fünf Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt. Laut dem ukrainischen Generalstab setzt das russische Militär dort fünf Bataillone ein, was etwa 2500 bis 3000 Soldaten entspricht. Laut ukrainischen, aber auch russischen Angaben soll es bereits Gefechte innerhalb von Wowtschansk geben.

Wowtschansk war bereits zu Beginn der Invasion unter russische Okkupation geraten. Während der ukrainischen Herbstoffensive 2022 im Gebiet Charkiw zogen die russischen Truppen dann auch aus Wowtschansk ab. Ursprünglich hatte die Stadt knapp 19.000 Einwohner, von denen nach offiziellen Angaben derzeit noch knapp 500 ausharren.

Auch interessant: Charkiw unter Beschuss: Kann Putin die Großstadt einnehmen?

So verschärft Russland den ukrainischen Ressourcenmangel

Wie der amerikanische Thinktank Institute for the Study of War (ISW) in seiner aktuellen Analyse zum Kriegsverlauf schreibt, sei die erneute Offensive nicht direkt ein erneuter Versuch, die Millionenstadt Charkiw zu erobern. Der begrenzte Einsatz lege nicht nahe, „dass russische Kräfte in großem Maßstab eine Offensivoperation durchführen, um Charkiw einzuschließen, einzukreisen oder zu erobern“, schreibt das ISW.

Allerdings versuchen die russischen Truppen nah genug an die Stadt heranzukommen, um sie wieder mit Haubitzen und Kanonen beschießen zu können. Gleich zu Beginn der Invasion im Frühjahr 2022 waren russische Truppen nach Charkiw eingedrungen, konnten aber abgewehrt werden.

Vielmehr ist es laut ISW vorrangiges Ziel, die Ukraine dazu zu zwingen, Soldaten und Material von anderen bedrängten Abschnitten der Front in der Ostukraine abzuziehen und diese damit zu schwächen. Hierdurch sollen die ohnehin knappen personellen, aber auch materiellen Ressourcen der Ukraine weiter geschwächt werden. Eine Schwächung von anderen Frontabschnitten macht es den russischen Truppen einfacher, diese zu durchbrechen.