Hamburg. Roberto De Zerbi, Xabi Alonso – Fabian Hürzeler. Auf diese Trainer schaut Europa. Was den Stil von St. Paulis Coach ausmacht.

Als Fabian Hürzeler am Montagvormittag einige Stunden später als üblich aus der Aufstiegsnacht aufwachte, war sein erster Gedanke: „Wie spielen wir am Sonntag gegen Wiesbaden?“ Beim abstiegsbedrohten SV Wehen denkt man derzeit auch täglich an Hürzeler und vor allem darüber nach, wie sich dessen FC St. Pauli stoppen lassen könnte.

Aber längst nicht nur in Hessen fällt der Blick auf den 31 Jahre alten Cheftrainers des Bundesliga-Aufsteigers. „Es gibt derzeit drei Trainer, auf deren Ideen ganz Europa schaut“, sagt ein bekannter Zweitligatrainer dem Abendblatt, „Roberto De Zerbi, Xabi Alonso und Fabian Hürzeler“.

Fabi-Ball: So funktioniert Fußball beim FC St. Pauli unter Fabian Hürzeler

De Zerbi (Brighton & Hove Albion) wird als künftiger Trainer des FC Bayern München gehandelt; Alonso ist mit seinem „Xabi-Ball“ in dieser Saison in 50 Spielen mit Bayer Leverkusen ungeschlagen und zur deutschen Meisterschaft gestürmt; und „Fabi-Ball“ führte den FC St. Pauli binnen eineinhalb Jahren an die Spitze. Aber wie funktioniert Hürzelers Fußball überhaupt?

Ein Geheimnis ist das jedenfalls nicht, denn der gebürtige Texaner macht selbst keines daraus, erläutert taktische Elemente erfrischend offen. Seine Idee sei nämlich ohnehin nicht kopierbar, ohne die tägliche Trainingsarbeit zu erleben. Tim Eckhardt erlebt sie als Trainingskiebitz regelmäßig und seziert sie anschließend in seinen Taktikartikeln im Blog „Millernton“. Über Hürzelers Fußball sagt Eckhardt, der durch seine extrem fachkundigen Fragen bei Pressekonferenzen inzwischen Kultstatus erlangt hat: „Die Basis ist die Null, ganz klar die Arbeit gegen den Ball. Die Identität ist aber mutiger Ballbesitz-Fußball.“

Fitness und Athletik bilden die Grundlage beim FC St. Pauli

Auffällig dabei ist die Grundlage, dass Hürzeler seinen Spielern physisch enorm viel abverlangt. St. Pauli ist die laufstärkste Mannschaft der Zweiten Liga, absolviert auch die meisten intensiven Läufe. Athletik und Fitness bilden das Zentrum, um „die Null“ zu erreichen.

Mit dem Ball orientiert sich Hürzeler am deutlichsten an De Zerbi. Das zeigt sich unter anderem am provokanten Abwarten der Innenverteidiger in Ballbesitz, die den Ball mit der Sohle streicheln, um den Gegner zu locken.

Wie die Kiezkicker ihr Spiel aufbauen

„St. Pauli will das Pressing bewusst auslösen, um die Räume dahinter zu bespielen“, sagt Eckhardt. Mit spielstarken Innenverteidigern wie Hauke Wahl oder als Außenverteidiger verkappten Sechsern wie Philipp Treu ist das nur sinnvoll.

Ähnlich wie bei De Zerbi, wenngleich modifiziert, lässt Hürzeler kontrolliert aufbauen. Dabei stößt Eric Smith aus dem Defensivzentrum als „schwimmender Sechser“ nach vorn, im Anschluss ist eine 2-3-5 oder 2-4-4-Grundordnung möglich. In der in der Grafik dargestellten, gehen die zentralen Mittelfeldspieler, insbesondere Topscorer Marcel Hartel, nach vorn; die Außenverteidiger rücken auf die Sechserpositionen ein; Mittelstürmer Johannes Eggestein fällt in den Zehnerraum; die Außenstürmer ziehen breit.

So wechselt der FC St. Pauli von der Grundordnung im 3-4-3 auf ein 2-3-5.
So wechselt der FC St. Pauli von der Grundordnung im 3-4-3 auf ein 2-3-5.

Besonders hierbei ist, wie frei die Spieler in ihren Rotationen sind und sich in Zwischenräume bewegen können. Hürzeler sagt häufiger, er „will Entscheider auf dem Platz, keine Maschinen“. Oftmals testen die Hamburger mehrere Aufbauvarianten selbstständig durch, bis sie eine gefunden haben, die funktioniert.

Kontrolle besitzt oberste Priorität. Erscheint ein Angriff zu riskant, wird er abgebrochen. „Das macht St. Pauli sehr schwierig auszurechnen, ist aber nur in dieser Form möglich mit Spielern, die mehrere Positionen spielen können und ein gutes taktisches Verständnis besitzen“, sagt Eckhardt.

Was Fabian Hürzeler mit Xabi Alonso eint

„Im Gegensatz zu Tim Walter beispielsweise, der vom ersten Tag an seine Idealvorstellung durchsetzen will, passt sich Fabian Hürzeler sehr clever den Stärken und Schwächen seiner Spieler an und hat sein System sukzessive implementiert“, sagt der Journalist Thomas Hürner, der für die Süddeutsche Zeitung über den „Xabi-Ball“ geschrieben hat.

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Die Parallelen zu Alonso – und übrigens auch zum VfB Stuttgart unter Sebastian Hoeneß und 1. FC Magdeburg unter Christian Titz – sind dennoch vorhanden, wenngleich die spielerischen Einflüsse des Spaniers auf den Bayern eher gering sind. „Ich bin ein großer Fan von seiner Spielweise, vor allem aber seiner Art und Mannschaftsführung“, sagt Hürzeler über Alonso. Die Ideen der kurzen Passdistanzen des deutschen Meisters hat St. Paulis Coach in Teilen übernommen.

Funktioniert St. Paulis Fußball auch in der Bundesliga?

Leverkusen hat die engsten Passabstände im internationalen Fußball mit gut 15 Metern, die Kiezkicker liegen bei knapp 18. „Je kürzer die Distanz ist, desto sicherer ist die Passquote, und umso dominanter kann man spielen“, sagt Hürzeler, um direkt wieder zu seinem Lieblingsthema Verteidigung zurückzukommen: „Man vergisst bei aller Bewunderung für Leverkusens Offensive, dass sie defensiv extrem sicher stehen. Auch in der Champions League kommen die Mannschaften weit, die gut verteidigen können.“

In der Champions League spielt Hürzeler noch nicht, bald aber immerhin in der Bundesliga. Ob sein Fußball auch dort funktioniert, sei auch eine Frage der individuellen Qualität, glaubt Eckhardt. „Zum Saisonende hatten die Gegner Lösungen, vor allem wenn bei St. Pauli entscheidende Spieler gefehlt haben“, sagt der 38-Jährige. Hürzeler selbst meint, „der Fußball kann funktionieren. Ob er gut funktioniert, liegt an der Arbeit von mir und meinem Trainerteam.“

Journalist Hürner: „Hürzeler ist ein herzlicher Bad-Ass“

Dass alle Fußballwelt momentan auf Hürzeler schaue, hat laut Hürner übrigens noch einen anderen Grund. „Im Gegensatz zu anderen jungen Coaches, denen das Laptop-Trainer-Label anhaftet, bringt er neben dem fachlichen Blickwinkel auch immer den des Spielers mit ein. Das eint ihn mit Xabi Alonso, und gelingt ihm rhetorisch so exzellent wie gerade keinem anderen Trainer in Deutschland“, sagt der 33-Jährige, der in Aichach, nur wenige Kilometer entfernt von Pipinsried, aufgewachsen ist, wo Hürzeler mit dem FC Pipinsried einst in der Regionalliga für Furore gesorgt hat.

Für Furore ist der impulsive Coach auch an der Seitenlinie bekannt. Auch das schätzt Hürner an Hürzeler: „Er ist akademisch herausragend, aber ein richtiger Bad-Ass, sobald er den ersten Grashalm in der Nase spürt.“ Zumindest ein „herzlicher Bad-Ass“, ergänzt Hürner noch, sei er, von dessen Fußball gerade halb Europa träumt, und der noch nur Wiesbaden im Kopf hat.