Hamburg. In ihr Theater am Neuen Weg passen nur 53 Gäste. Jetzt landet die Lohbrügger Bürgerbühne einen Coup. Doch ein Problem gibt es.

Es ist für sie als Theaterschauspieler auf gehobener Amateurebene der Karrierehöhepunkt. Ein Gänsehautmoment, der einen schon Monate zuvor durchschüttelt. Seit 30 Jahren verzaubert die Lohbrügger Bürgerbühne, die sich mittlerweile lieber Theater am Neuen Weg nennt, mit ihren Weihnachtsmärchen auf der Bühne des Haus im Park Kinder und Erwachsene aus der Region. Jetzt erreicht der Weihnachtszauber eine neue Ebene, wenn die Gruppe am Wochenende des 3. Advents im Saal 1 des CCH ihre Version der „Bremer Stadtmusikanten“ spielen darf. Das werden zwei Vorstellungen vor jeweils 1500 Besuchern!

„Die machen richtig schöne Weihnachtsmärchen“ – die Qualität ihrer weihnachtlichen Aufführungen hat sich herumgesprochen bis zu einem großen Hamburger Unternehmen, das an diesem Termin die nicht eben preiswerte Miete für den Saal 1 des CCH bezahlt. Die Theateraufführung wird übrigens noch von einem weiteren Programmpunkt garniert: einer Kindertanzaufführung. „Ein toller Start“, findet die 1. Vorsitzende des Theaters am Neuen Weg, Gaby Schulz, „um erstmals auf der Bühne zu stehen.“ Die Proben für das Märchen starten bereits nach den Sommerferien, in denen dann zeitgleich auch das Stück für die Herbstsaison „Wahnen in‘t Glück“ einstudiert wird.

Theater am Neuen Weg spielt das Weihnachtsmärchen im CCH

Ein bisschen Theaterverrücktheit gehört ohnehin dazu. Wer bis 4 Uhr morgens an den Requisiten herumschraubt, viele Drehbücher liest oder auch mal eine Platt-Version des nicht unblutigen Schurkendramas „Bonnie & Clyde“ (heißt dann „Twee as Bonnie un Clyde“) erfolgreich abliefert, den kann ein Weihnachtsmärchen-Auftritt vor so großer Kulisse nicht schrecken.

Volker Pott, der seit 45 Jahren bei dem Amateurtheater dabei und Schatzmeister ist, hat diese Momente wirklich selten. „Als ich auf der CCH-Bühne stand und die Ausmaße sah, habe ich den Mund nicht mehr zubekommen“, berichtet der 61-Jährige, um aber gleich äußerst motiviert nachzuschieben: „Vergiss deine anderen Hobbies! Du kannst vor 3000 Leuten spielen.“

Kein Wunder, dass Pott und seine Mitspieler geflasht sind. Wenn sonst maximal 53 Zuschauer gleichzeitig im Heimtheater Stücke wie „Der kleine Vampir“ oder „Hotel Mama“ sehen können. Doch die Spielstätte im denkmalgeschützten Haus (Neuer Weg 54) als Untermieter des Grundeigentümervereins neben dem Alten Bahnhof genießt Kultcharakter, ist seit dem Jahr 1989 das künstlerische Zuhause.

Im Theater am Neuen Weg sind alle ganz nah dran an den Darstellern

„Echt gemütlich bei euch“ – einem breiten Publikum in und um Bergedorf herum gefällt, was die Truppe seit Gründung im Jahre 1967 auf die Bühne bringt. Mehr als eine Handvoll Plätze sind durch Patenschaften auf Lebenszeiten ausgebucht. Und näher dran an den Darstellern geht es kaum. „Unser Publikum sieht jeden Pickel. Man sitzt bei den Vorstellungen quasi mit auf der Bühne“, beschreibt Volker Pott die große Intimität im Theater am Neuen Weg.

Vor ihrem künstlerischen Zuhause: Volker Pott (v. l.), Gaby Schulz, Nils Boseke und Katrin Schulz sind seit Jahrzehnten beim Theater am Neuen Weg dabei. 
Vor ihrem künstlerischen Zuhause: Volker Pott (v. l.), Gaby Schulz, Nils Boseke und Katrin Schulz sind seit Jahrzehnten beim Theater am Neuen Weg dabei.  © BGDZ | Jan Schubert

Kultstatus beim etwas älteren Stammpublikum überwiegend aus dem Landgebiet genießt der Sonntagnachmittag, an dem die Tickets schnell vergriffen sind. Dass nur altbackene Geschichten aufgeführt werden, entspricht nicht den Tatsachen: „Wir spielen grundsätzlich sehr moderne Stücke, im Frühjahr für gewöhnlich auf Hochdeutsch. Aber auch unsere Platt-Stücke sind immer verständlich“, sagt Katrin Schulz aus dem erweiterten Vorstand.

Grundsätzlich soll das Aufgeführte auch unterhaltsam sein. „Mit Ernsthaftigkeit füllst du kein Theater“, verdeutlicht Volker Pott die Philosophie, „jüngere Leute wollen sowieso lachen.“

Leidenschaft fürs Theater: Weitere Darsteller sind herzlich willkommen

Hinter alldem steckt nicht nur viel Leidenschaft fürs Theaterspiel, sondern auch eine gewisse Stetigkeit und Verlässlichkeit bei den Proben. Acht bis zwölf Wochen Proben sind angesetzt, mit zwei Terminen wöchentlich, bevor es ernst auf der Bühne wird. Dabei ist die Anzahl an aktiven Mitgliedern des Theaters am Neuen Weg auf einem historischen Tiefstand.

22 Personen schlüpfen entweder in die Rollen, sitzen auf dem Regiestuhl, schminken sich oder andere, bauen Kulissen oder empfangen und verköstigen Gäste im bistroähnlichen Wartebereich. Es waren zu Hochzeiten mal doppelt so viele. Ein dickes Loch gibt es insbesondere in der Altersspanne 25 bis 40 Jahre. Das mag an veränderten Freizeitgewohnheiten liegen und an der Tendenz, sich nicht auf Dauer auf irgendwas festzulegen.

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Aber diese lange Zeit des Einstudierens braucht es auch, wie Volker Pott erklärt: „Andere spielen ein Stück fünf- bis siebenmal. Wir spielen unsere Stücke 20- bis 25-mal.“ Insgesamt spielt das Theater am Neuen Weg aber nur wenige Wochenenden im Jahr. „Es bleibt in jedem Fall auch an den sechs Wochenend-Spieltagen genug Freizeit“, weiß Katrin Schulz aus eigener Erfahrung. Die 51 Jahre alte Geesthachterin ist seit 25 Jahren in dieser Theatergruppe dabei und hat mittlerweile auch Spaß am Rollenwechsel gefunden – von der Bühne auf den Regiestuhl und wieder zurück.

Das ist der kleine, aber feine Raum für 53 Gäste und die Schauspieler: Volker Pott (v. l.), Katrin Schulz, Gaby Schulz und Nils Boseke an einem ihrer Lieblingsorte, der Theaterbühne. 
Das ist der kleine, aber feine Raum für 53 Gäste und die Schauspieler: Volker Pott (v. l.), Katrin Schulz, Gaby Schulz und Nils Boseke an einem ihrer Lieblingsorte, der Theaterbühne.  © BGDZ | Jan Schubert

Die Lust am Rollenwechsel könnte auch mit einer weiteren Maxime des Theaters zusammenhängen: Jeder verdiente Cent wird reinvestiert in alles, was das Amateurensemble besser macht, die Qualität der Auftritte steigert, das Niveau hochhält, die Liebe zum Detail auslebt. Das können mal neue Scheinwerfer für das Bühnenlicht sein, das kann aber auch mal ein Gesangsseminar für die gesamte Truppe sein. Oder teure Pflaster für besonders echte Narben. „Wir haben ja auch einen gewissen Anspruch“, sagt Gaby Schulz – was nicht daran hindert, bei anderen Bühnen mal Input zu holen und nach Verbesserungen für den eigenen Bühnenstil Ausschau zu halten.

Bergedorfer Theatertruppe sucht verzweifelt einen neuen Übungsraum

Jedoch: Ein nicht unwesentlicher Umstand trübt die Freude über den CCH-Auftritt, wo die Lohbrügger Bürgerbühne um Unterstützung der Bergedorfer bittet: „Uns fehlt ein Raum für die Proben zum Weihnachtsmärchen“, schildert Gaby Schulz eine elementare Schwierigkeit. Der neue Besitzer des Mehrfamilienhauses Neuer Weg 60 habe der Theatertruppe unter anderem wegen Planungen eines Neubaus gekündigt.

Bisher besaß die Gruppe dort eine Werkstatt und einen Abstellbereich für Requisiten – das ist nun futsch, die Aussicht auf Besserung eher schmal. Viele Örtlichkeiten in der Umgebung sind für das Amateurtheater nicht zu bezahlen. Wer kann also helfen? Kontakt aufnehmen mit dem Theater am Neuen Weg läuft am besten über buergerbuehne.de – damit das Weihnachtsmärchen im CCH auch märchenhaft in der Vorbereitung wird.