Berlin. Kann etwas so Schönes schlecht sein? Viele Paare reden ihre Beziehung schön – selbst wenn sie toxisch ist. Wie Freunde helfen können.

Hinterher ist man immer schlauer. Doch bis zum bitteren Ende scheinen viele Menschen oft nicht zu erkennen, dass sie sich in einer toxischen Beziehung befinden. Wie durch eine rosarote Brille wird der Streit, der Schmerz oder die Beziehung aus Liebe zum anderen schöngeredet. Ein Paartherapeut erklärt, wie man als Freund oder Freundin helfen kann.

Toxische Beziehung: Viele Betroffene werden „blind vor Liebe“

Liebe soll uns gut tun. Wer liebt, sollte sich freuen, wenn der Partner oder die Partnerin glücklich ist. In einer toxischen Beziehung ist das anders: Hier geht es um Machtspiele und emotionale Erpressung, um ständige Vorwürfe und Kritik, um Eifersucht, Missgunst und Rücksichtslosigkeit. Kurz: Toxische Beziehungen machen nicht glücklich.

Leider führen Gefühle oft in die Irre und lassen die toxische Beziehung in einem anderen Licht erscheinen. „Viele Betroffene werden ‚blind vor Liebe‘. Sie nehmen nicht mehr wahr, ob sich ihre Partnerschaft nur in einer Krise befindet oder ob sie in einer toxischen Beziehung feststecken“, erklärt Eric Hegmann, Paartherapeut und Mitbegründer der Modern Love School. Ohne es zu merken, rutschen sie so in eine Beziehung, die Gift für ihre Psyche ist.

Weitere Anzeichen dafür, dass sich die Freundin oder der Freund in einer toxischen Beziehung befindet:

1. Der Freund isoliert sich

In einer toxischen Beziehung geschieht vieles nicht mehr freiwillig. Die Betroffenen sind immer darauf bedacht, es dem Partner oder der Partnerin recht zu machen, ihn oder sie zu besänftigen. „Sie lassen viel mehr durchgehen, als sie sollten, und ertragen so Beschimpfungen, Blicke, Vorwürfe, Lügen und nicht selten auch Vertrauensbrüche oder Aggressionen“, sagt Paartherapeut Hegmann.

Statt den eigenen Bedürfnissen nachzugehen, zögen sich die Partner in toxischen Beziehungen immer mehr zurück und würden oft auch Verabredungen wegen Streit oder Vorwürfen des Partners absagen. Hegmann rät deshalb: „Wenn sich die Freundin oder der Freund von Freunden oder der Familie zurückzieht, ist das ein Warnzeichen, als Freund genauer hinzuschauen.“

2. Wesensveränderung

Auch Wesensveränderungen seien ein Zeichen für eine toxische Beziehung, sagt Hegmann. War der Freund oder die Freundin zu Beginn der

Beziehung

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    noch fröhlich, extrovertiert und ausgeglichen, wird er mit der Zeit immer verschlossener, trauriger und angespannter. „In einer toxischen Beziehung kann man nichts richtig machen. Der toxische Teil macht den anderen klein und abhängig“, sagt Hegmann. Nicht selten sinkt dadurch auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen.

    Warum sind Menschen in toxischen Beziehungen gefangen?

    Als Außenstehender mag man sich fragen: Warum tut man sich das freiwillig an? Warum verlässt man nicht jemanden, der einen nur unglücklich macht? Das Problem: „Nicht der toxische Partner erscheint als das Übel, sondern man selbst“, erklärt Paartherapeut Hegmann. Denn der wird nicht müde, dem Leidenden immer wieder zu zeigen: Du bist schuld an der Situation.

    „Es ist ein bisschen so, als würde einem ständig etwas sehr Begehrenswertes vorenthalten werden“, erklärt Hegmann. Wenn man sich richtig verhalte, bekäme man die Belohnung. Aber gleichzeitig trete die Belohnung nie ein. „Indem der Partner oder die Partnerin in einer toxischen Beziehung dem anderen ständig Schuldgefühle macht und zeigt, dass er nicht zufrieden ist, macht er ihn hungrig nach seiner Anerkennung und seinen Gefühlsbekundungen“, so der Experte. Das führt dazu, dass Menschen in toxischen Beziehungen das Fehlverhalten des Partners passiv ertragen, anstatt das einzig Richtige zu tun: Dem toxischen Partner den Rücken zu kehren.

    Wege aus der toxischen Beziehung: Wie Freunde helfen können

    Fürsorge und Hilfsbereitschaft sind in einer Freundschaft richtig und üblich. Sie müssen laut Hegmann aber im Rahmen des Vertretbaren bleiben, sonst können sie schnell als übergriffig empfunden werden: „Ich empfehle jedem, sich immer zuerst zu fragen: Warum habe ich Angst um meinen besten Freund oder meine beste Freundin? Und: Warum schrillen bei ihr nicht die Alarmglocken, obwohl sie ihren Partner viel besser kennt als ich?“ Dem Paartherapeuten zufolge spiegeln gut gemeinte Ratschläge oft eigene Gefühle wider, die Echos früherer Erfahrungen sind.

    Demnach sind aus Sicht des Experten folgende Schritte sinnvoll:

    1. Zuhören statt urteilen

    Toxische Beziehungen, so schmerzhaft sie auch sein mögen, seien in erster Linie Sache der Freundin oder des Freundes, sagt Hegmann. Gute Ratschläge sind auch Schläge, wenn man dafür kein Mandat hat. „Wer anderen in bester Absicht Ratschläge gibt, greift in deren Autonomie ein. Dagegen wehren sich die meisten“, sagt der Paartherapeut. „Menschen ändern sich, wenn sie wollen, nicht wenn sie müssen.“

    In der Konsequenz heißt das: Besorgte Freunde können ihrer Freundin oder ihrem Freund sagen, dass sie merken, dass es ihr oder ihm nicht gut geht, und anbieten, für sie oder ihn da zu sein. „Ein offenes Ohr reicht meist schon aus, damit sich die Freundin öffnet“, sagt Hegmann. Auf diese Weise können Betroffene auch dazu gebracht werden, ihre Situation selbst zu erkennen. Hilfreiche Fragen seien etwa: „Wie fühlst du dich in dieser Beziehung? Hast du das Gefühl, dass du dich verändert hast?“

    Wichtig sei auch, die eigene Meinung außen vor zu lassen, betont Hegmann. „Betroffene sollten nicht das Gefühl haben, sich für ihre Situation schämen zu müssen.“ Freunde sollten daher verständnisvoll und geduldig sein. Die eigene Schlussfolgerung, dass der Partner der Freundin schuld an der Situation sei, sei erst einmal fehl am Platz.

    2. Der Freundin eine Stütze sein

    Da toxische Beziehungen oft sehr abhängig machen, sollte der leidenden Freundin beziehungsweise dem leidenden Freund gezeigt werden, dass sie in dieser Zeit einen Halt haben, an dem sie sich ausruhen können, rät Paartherapeut Hegmann. Dass man ihr oder ihm zwar nicht alle Schmerzen und Sorgen abnehmen, den Betroffenen aber ein Stück des Weges begleiten könne.

    Gleichzeitig sollten sich Freunde nicht in die Beziehung drängen, warnt Hegmann. Sonst könnte sich der Partner der Freundin gegen sie wenden, weil sie als Gefahr für die Beziehung wahrgenommen werden. „Das würde für die Freundin noch mehr Stress bedeuten, im schlimmsten Fall müsste sie sich zwischen zwei Seiten entscheiden“, so der Paartherapeut.

    3. Trennung begleiten

    Einer der schwierigsten Momente für leidende Freunde wird wahrscheinlich der Moment der Trennung sein, meint Hegmann. „Auch wenn erkannt wurde, dass die Beziehung toxisch ist, wird es ihr oder ihm wahrscheinlich schwerfallen, sich zu trennen.“ In diesem Fall ist es laut Hegmann wichtig, der Freundin oder dem Freund zu zeigen, dass man versteht, wie schwierig die Situation für ist. Hilfreich sei es auch, die Betroffenen aus dem Einflussbereich des Partners oder der Partnerin zu nehmen, etwa indem man hilft, den Kontakt zum Partner abzubrechen.

    Oft helfe es den Betroffenen auch, sich professionelle Hilfe zu suchen, empfiehlt der Paartherapeut. Auch hier können Freunde unterstützend wirken. „Gemeinsam kann nach geeigneten Therapeuten gesucht oder eine Liste mit Anlaufstellen erstellt werden, an die sich die Freundin oder der Freund wenden kann.“ Außerdem könne man als Begleitperson zu den Terminen gehen.