Tokio/ Japan. Ein japanisches Modelabel bricht mit konservativen Geschlechterrollen und verkauft eine besondere Unterwäsche für Männer. Mit Erfolg.

„Schönheit und Komfort“ verspricht die Unterwäsche, die Wacoal seit Monaten in Kampagnen in ganz Japan anpreist. Die Lingerie des Modekonzerns aus Kyoto hat blumige Muster, schmiegt sich eng an die Haut und lässt durch die Hose keine Abdrücke erkennen. Typisch für Spitzenunterwäsche. Aber diese Unterwäsche ist für Männer gemacht – und sie verkauft sich ausgezeichnet.

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Lingerie für Männer wird in Japan gerade zu einem Hit. Die Boxershorts aus Spitze in verschiedenen Farben sind für knapp 4.000 Yen pro Stück (rund 24 Euro) zu haben – und waren im vergangenen Sommer das am meisten verkaufte Produkt aus Wacoals Sparte für Männerunterwäsche. Absolute Zahlen gibt der Konzern nicht heraus. Aber gegenüber dem Vorjahr bedeutete der Absatz fast eine Vervierfachung.

Spitzenunterwäsche für Männer: Produkt polarisiert im konservativen Japan

In Japans Medien wird der Verkaufserfolg, den Wacoal nach eigenen Angaben vor allem Männern zwischen Anfang 30 und Ende 40 verdankt, seitdem immer wieder diskutiert. „Ein Test für geschlechtslose Unterwäsche“, schwärmte die Tageszeitung „Asahi Shimbun“ schon 2022. Die „Mainichi Shimbun“ befand ein Jahr später: „Ganz aus Spitze gefertigte Unterwäsche für Herren erfreut sich in Japan immer größerer Beliebtheit, da sie sowohl stilvoll ist als auch die Stimmung hebt.“

Die Spitzen-Unterwäsche für Männer der japanischen Marke Wacoal ist ein Verkaufsschlager.
Die Spitzen-Unterwäsche für Männer der japanischen Marke Wacoal ist ein Verkaufsschlager. © wacoal | wacoal

Die Idee kam dem Unternehmen vor rund zweieinhalb Jahren. In Japan, wo die Bevölkerung seit Jahren altert und schrumpft, wird der Absatzmarkt Jahr für Jahr kleiner. Auf der Suche nach neuer Kundschaft widmete man sich der männlichen Zielgruppe. Im Herbst 2021 begann Wacoal dann, Vorbestellungen für gerade entwickelte Spitzenboxershorts anzunehmen. Das Ziel war damals, Bestellungen im Mindestwert von 300.000 Yen zu erhalten (rund 1.826 Euro). Darauf meldeten sich 700 Personen, die im Wert von 3,2 Millionen Yen einkaufen wollten.

Das Konzept ist äußerst durchdacht. Denn in Japans heißen und schwülen Sommern schwitzt man nicht selten am ganzen Körper. Die Spitzenunterwäsche soll dies durch das dünne Material vermeiden. Zudem wird in den Kampagnen nicht das Weibliche an Spitze betont, sondern das Genderlose. Hidetoshi Takeyasu vom Kleidungshersteller Gunze aus Osaka sagte vor diesem Hintergrund gegenüber der Tageszeitung „Asahi Shimbun“: „Diversität und segmentierte Bedarfe werden immer wichtiger.“ Kunden wollten sich zusehends auch durch Kleidung selbst verwirklichen. Durch anonyme Onlinebestellungen würden auch etwaige Schamgefühle vermieden.

Japan ist geprägt von archaischen Männer- und Frauenrollen

Eigentlich dürfte so etwas kaum noch der Rede wert sein: Was Menschen am Körper tragen, ist Privatsache. Die gesellschaftspolitischen Dimensionen von Mode sind über Jahrzehnte immer wieder diskutiert worden – auch in Bezug auf die Genderrollen von Männern. Aber gerade in Japan hinkt die Diskussion hinter jener in anderen Ländern hinterher. Das ostasiatische Land ist bis heute geprägt von archaischen Männer- und Frauenrollen.

Mit der Spitzenunterwäsche für Männer hat der japanische Konzern Wacoal ungeahnte Erfolge erziehlt.
Mit der Spitzenunterwäsche für Männer hat der japanische Konzern Wacoal ungeahnte Erfolge erziehlt. © IMAGO | IMAGO stock

Diese gipfeln nicht etwa beim Kleidungsstil, sondern sind bis in den Sprachgebrauch hinein verwurzelt. Wenn Japanerinnen und Japaner von derselben Sache reden, verwenden sie oft unterschiedliche Wörter, weil eines je einen weiblicheren Klang hat, ein anderes einen männlicheren. Ein leckeres Gericht, zum Beispiel, beschreiben Frauen eher mit „oishii“, Männer aber mit „umai“. Eine freundliche Person würde ein Mann als „shinsetsu“ betiteln, eine Frau dagegen als „yasashii“.

Japan im Wandel: junge Männer passen sich weniger konservativen Genderrollen an

Dass sich in dieser Gesellschaft nun Unterwäsche gut verkauft, die den Geschlechter-Stereotypen deutlich widerspricht, ergibt dennoch Sinn. Nicht nur, weil Unterwäsche für die Umwelt unsichtbar bleibt. Es findet auch ein Wandel statt. Kyron Pennie, der seit acht Jahren als Englischlehrer in Tokio arbeitet und sich selbst als nicht-binär bezeichnet, sagt: „Viele junge japanische Männer passen sich den konservativen Genderrollen nicht mehr an. Make-up zu tragen, ist auch schon populär geworden.“

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Pennie findet: „Mich überrascht nicht, dass sich viele Männer von heute nicht mehr entmännlicht fühlen, wenn sie Spitze tragen.“ Den Unterwäschehersteller Wacoal überrascht das mittlerweile auch nicht mehr. Das Unternehmen hat seinem Sortiment schon mehr Farben und Schnitte hinzugefügt. Womöglich ist die Ausweitung des Lingerie-Segments von Frauen auf Männer auch nicht der letzte Expansionsschritt. Mit Produkten für Frauen ist Wacoal längst eine global agierende Marke. Ob auch Männer-Lingerie bald auf dem internationalen Markt zu haben ist, wurde noch nicht kommuniziert. In Japan wird aber schon darüber spekuliert.