Brüssel. Die Regierungschefs signalisieren der Kommissionschefin Rückendeckung für eine zweite Amtszeit. Wer könnte weitere Top-Jobs bekommen?

Nach der Europawahl nimmt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die erste Hürde für eine zweite Amtszeit: Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten werden die 65-jährige Deutsche zur Wiederwahl im EU-Spitzenamt vorschlagen. Bei einem informellen Gipfel am Montagabend in Brüssel gab es zwar noch keinen förmlichen Beschluss der 27er-Runde, erst bei einem weiteren Gipfeltreffen in neun Tagen soll die Nominierung als Teil eines größeren Personalpakets abgesegnet werden. Doch versicherten eine Reihe von Regierungschefs nach den Beratungen übereinstimmend, dass an dem klaren Rückhalt für von der Leyen kein Zweifel mehr besteht.

Der kroatische Premier Andrej Plenković sagte, er sei „sehr froh“, dass von der Leyen beim Gipfel in der kommenden Woche nominiert werde. Ähnlich äußerte sich der scheidende niederländische Regierungschef Mark Rutte. Er lobte von der Leyen zudem als „exzellente Kandidatin.“ Der irische Premier Simon Harris versicherte: „Es gibt keinen anderen Kandidaten außer ihr“.

Scholz plädiert für von der Leyen

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte schon vor dem Gipfel erklärt, es spreche „alles dafür, dass es eine zweite Amtszeit geben kann von Ursula von der Leyen“. Kritisch zu von der Leyen äußerte sich der ungarische Premier Viktor Orban, doch kann er die Entscheidung nicht mit einem Veto aufhalten, da im Rat eine qualifizierte Mehrheit genügt. Die Nominierung durch die Staats- und Regierungschefs ist Voraussetzung für die finale Abstimmung im EU-Parlament, die Wahl wird voraussichtlich am 18. Juli stattfinden. Als der Gipfel gegen Mitternacht zu Ende ging, hieß es von mehreren Teilnehmern, es sei nicht das Ziel gewesen, bereits ein fertiges Personalpaket abzusegnen.

NameUrsula von der Leyen
Geburtsdatum8. Oktober 1958
AmtPräsidentin der Europäischen Kommission
ParteiCDU
Parteimitglied seit1990
Familienstandverheiratet
WohnortBurgdorf-Beinhorn

Diskussionen gibt es nicht um von der Leyen, sondern um die Besetzung der weiteren Top-Jobs der EU, die beim nächsten Gipfel am 27. und 28. Juni ebenfalls festgezurrt wird. Hier zeichnet sich aber folgende Aufstellung ab: Den Präsidenten des Europäischen Rates werden die Sozialdemokraten stellen. Portugals Ex-Premier Antonio Costa gilt dafür als Favorit. Der 62-jährige Jurist war im vorigen Herbst nach gut acht Jahren Amtszeit als Regierungschef wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten, der Verdacht beruhte aber auf einem Irrtum bei der Auswertung abgehörter Telefonate, wie sich später herausstellte.

Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, die ebenfalls für das Amt des Ratspräsidenten im Gespräch war, sagte beim Gipfel ab. Allerdings gibt es bei der christdemokratischen EVP auch Kritik an Costa; die italienische Rechts-Koalition meldet Interesse an, das Amt mit einem Italiener zu besetzen. Die Christdemokraten versuchten, die Amtszeit des Ratspräsidenten auf zweieinhalb Jahre zu begrenzen, was auf Widerstand sozialdemokratischer Regierungschefs stieß.

Der frühere portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa ist Favorit für das Amt des EU-Ratspräsidenten, der die entscheidenden EU-Gipfel leitet.
Der frühere portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa ist Favorit für das Amt des EU-Ratspräsidenten, der die entscheidenden EU-Gipfel leitet. © IMAGO/ABACAPRESS | IMAGO stock

Estin könnte EU-Außenbeauftragte werden

Auf das Amt der EU-Außenbeauftragten, das an die Liberalen gehen soll, hat die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas die besten Chancen. Die 46-jährige Juristin war von 2014 bis 2018 EU-Abgeordnete und hat damit intensive Brüssel-Erfahrung. Seit 2021 regiert sie in Tallin. Kallas gilt in Europa als eine der entschlossensten Unterstützerinnen der Ukraine im Krieg mit Russland, sie wirbt für einen harten Kurs gegenüber dem Regime von Wladimir Putin; allerdings gibt es deshalb in einigen Mitgliedstaaten auch Bedenken gegen Kallas – etwa in Ungarn und der Slowakei, die weiter gute Beziehungen zu Putin pflegen. Der amtierende slowakische Premier Peter Pellegrini sagte beim Gipfel: „Wir müssen sehr vorsichtig sein, wer uns international repräsentiert, wir brauchen nicht noch mehr Spannungen“.

Die Regierungschefin von Estland, Kaja Kallas, hat beste Chancen, EU-Außenbeauftragte zu werden. Die Aufnahme zeigt sie auf dem roten Teppich beim Gang in das Brüsseler EU-Ratsgebäude.
Die Regierungschefin von Estland, Kaja Kallas, hat beste Chancen, EU-Außenbeauftragte zu werden. Die Aufnahme zeigt sie auf dem roten Teppich beim Gang in das Brüsseler EU-Ratsgebäude. © picture alliance / Hans Lucas | Union Europeenne

Vierte im europäischen Führungs-Quartett und sicher gesetzt ist Roberta Metsola als Parlamentspräsidentin, wie üblich aber nur für die Hälfte der Wahlperiode bis Ende 2026. Das Amt übt die 45-jährige Christdemokratin und promovierte Juristin aus Malta bereits seit 2022 aus; gewählt wird sie natürlich von den Abgeordneten, aber die Regierungschefs betrachten das Amt als Teil des auszuhandelnden Personaltableaus.

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In trockenen Tüchern ist das Paket erst, wenn auch weitere Mitgliedstaaten mit Wünschen bei der Besetzung der Kommissions-Posten berücksichtigt sind – das gilt etwa für die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die für ihr Land einen einflussreichen Vizepräsidenten der Kommission fordert, und für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Begehrt ist auch der Posten des nächsten Erweiterungskommissars, auf den Polen ein Auge geworfen haben soll, während Spanien gern die Klimakommissarin stellen möchte. In dem Prozess müssten sich alle Mitgliedstaaten berücksichtigt fühlen, damit die EU einig bleibe, erklärten Diplomaten.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola: Eine weitere Amtszeit an der Spitze des Parlaments ist ihr sicher.
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola: Eine weitere Amtszeit an der Spitze des Parlaments ist ihr sicher. © picture alliance / Anadolu | Dursun Aydemir

Grüne fordern Zusagen beim Klimaschutz

Aber die Regierungschefs haben es diesmal dennoch eilig mit Entscheidungen, sie wollen angesichts der internationalen Krisenlage schnell Stabilität an der Spitze der Union. Von der Leyen muss jedoch trotz des Rückhalts bei den Regierungschefs bangen bis zur Parlamentsabstimmung Mitte Juli. EVP, Sozialdemokraten und Liberale, die von der Leyen 2019 mit ganz knappem Ergebnis ins Amt brachten, haben rechnerisch zwar auch diesmal eine Parlamentsmehrheit von 406 der 720 Sitze. Doch weil es keinen Fraktionszwang gibt und von der Leyens Stil manche Abgeordnete geärgert hat, ist fraglich, ob sie die erforderlichen 361 Stimmen erreicht.

In Brüssel kursieren Analysen, nach denen von der Leyen von den drei Fraktionen nicht 400, sondern nur etwa 340 Stimmen bekäme. Zwar bieten die Grünen an, von der Leyen zu wählen, wenn sie inhaltliche Zusagen etwa beim Klimaschutz macht. Aber: Die Bereitschaft in der EVP-Fraktion zu solchen Kompromissen ist gering, zumal die Christdemokraten die Grünen für unzuverlässig halten.

Lässt sich von der Leyen am Ende also auch mit den Stimmen der Rechtsaußen-Parteien, vor allem aus Melonis Lager, wählen? Von der Leyen und führende EVP-Politiker halten sich das als Option offen, doch drohen Sozialdemokraten, Liberale und auch die Grünen, in einem solchen Fall ihre Zustimmung zu verweigern. Auch Kanzler Scholz betonte beim Gipfel erneut, „im Parlament darf es keine Unterstützung der Kommissionspräsidentschaft geben, die sich auf rechte und rechtspopulistische Parteien stützt.“ Von der Leyens Dilemma ist offensichtlich: Hinter den Kulissen laufen Gespräche auf Hochtouren, aber sicher ist die Mehrheit für die Deutsche vorerst nicht.

Amtszeit von Michel endet mit Blamage

EU-Ratschef Charles Michel ist ein erbitterter Gegner von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ihre Rivalität ist in den vergangenen Jahren in echte Feindschaft übergegangen. Vergeblich versuchte Michel rund um den EU-Gipfel, eine zweite Amtszeit von der Leyens zu verhindern.
EU-Ratschef Charles Michel ist ein erbitterter Gegner von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ihre Rivalität ist in den vergangenen Jahren in echte Feindschaft übergegangen. Vergeblich versuchte Michel rund um den EU-Gipfel, eine zweite Amtszeit von der Leyens zu verhindern. © Harry Nakos/AP/dpa | Unbekannt

Doch den Gipfel dürfte die Kommissionschefin mit einiger Genugtuung verlassen haben: Ein erbitterter Rivale erlitt vor aller Augen eine Niederlage. Ratspräsident Charles Michel, der von der Leyen in tiefer Feindschaft verbunden ist, hatte als Gipfel-Gastgeber versucht, die Kommissionschefin mit allen Mitteln zu Fall zu bringen. Michel wollte von der Leyen erst komplett vom Gipfel fernhalten, wogegen Regierungschefs protestierten.

Dann brachte der liberale Belgier eine Vertagung der Personalberatungen ins Gespräch – und sondierte, ob der konservative griechische Premier Kyriakos Mitsotakis Nachfolger von der Leyens werden könnte. Der winkte ab. Alle Bemühungen Michels waren vergeblich. Für ihn endet die Amtszeit als Ratspräsident mit einer Blamage. Seine Rivalin aber läuft sich warm für weitere fünf Jahre im Spitzenamt.