Berlin. Heikle Familienmomente sind unvermeidlich. Ein Sexualpädagoge erklärt, was Eltern tun sollten, wenn ein Kind sie beim Sex überrascht.

Endlich schlafen die Kinder oder der jugendliche Nachwuchs ist gerade noch unterwegs. Die Eltern haben mal Ruhe und nutzen die Zeit für Zweisamkeit. Schließlich fällt körperliche Nähe im Alltagsstress oft hintenüber. Dann passiert es: Plötzlich steht ein Kind im Raum und sieht die Eltern beim Liebesspiel.

Was tun, wenn Kinder beim Sex ins Schlafzimmer platzen? Tom Scheel, Geschäftsführer der Gesellschaft für Sexualpädagogik und praktizierender Sexualpädagoge, erklärt, wie Eltern im Fall der Fälle vorgehen und was sie besser lassen sollten.

Dass Eltern von ihren Kindern im Schlafzimmer überrascht werden, kann immer mal passieren. „Das ist kein Drama“, meint Sexualpädagoge Scheel. „Wichtig ist es, selbst nicht panisch zu werden.“ Wie man abgesehen davon konkret reagiere, hänge von vielen Faktoren ab: dem Alter des Kindes, der grundsätzlichen Familiendynamik, den individuellen Werten und – ebenfalls wichtig zu bedenken – davon, wobei die Eltern genau beobachtet wurden.

Eine Art Checkliste beziehungsweise Orientierungshilfe lässt sich dennoch aus den Empfehlungen des Experten ableiten:

1. Ruhe zu bewahren

Auch wenn man als Eltern mit der Situation womöglich selbst zunächst überfordert ist, gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Das Elternteil, bei dem das leichter möglich ist, sollte sich etwas anziehen und sich sofort um das Kind kümmern“, so Scheel. Sollten kleinere Kinder womöglich im Zimmer stehen bleiben, könne man diese getrost bitten, schon mal vorzugehen, und ihnen erklären, dass man gleich nachkomme.

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    2. Faktencheck durch Nachfragen

    „Insbesondere abends oder nachts im Halbschlaf bekommen die Kinder meist kaum etwas mit“, meint Scheel. „Es kann durchaus sein, dass sie sich am nächsten Morgen überhaupt nicht mehr an die Situation erinnern.“ Der Sexualpädagoge mahnt daher, im Gespräch mit den Kindern vorsichtig zu sein, nichts größer zu machen, als es für die Kinder womöglich war. Der Nachwuchs solle zunächst frei erzählen, was gehört und/oder gesehen wurde, und dabei je nach Alter durch Nachhaken unterstützt werden.

    3. Situation besprechen

    Gerade jüngere Kinder können das Verhalten der Eltern, wenn diese beim Sex gehört oder gesehen wurden, nicht gut einordnen. Insbesondere Geräusche würden mitunter als verstörend war genommen. „Kinder fürchten teils, es würde ihrer Mutter oder ihrem Vater etwas Schlimmes passieren“, so Scheel. Das müsse richtiggestellt werden. Sätze wie „Mama und Papa lieben sich und Erwachsene zeigen das auch, indem sie sich körperlich ganz nahekommen. Das ist normal und du musst dir keine Sorgen machen“ könnten hier schon reichen.

    Bei besonderen, härteren sexuellen Vorlieben würde es jedoch kritisch. „Damit sollten Kinder nicht konfrontiert werden.“ Das Risiko, erwischt zu werden, sollte ausgeschlossen sein. Zudem müsse geklärt werden, warum der Nachwuchs beispielsweise nachts überhaupt ins Schlafzimmer kam – nicht nur, um derartige Situationen künftig zu vermeiden, sondern auch, um das ursprüngliche Problem zu lösen.

    4. Offene Fragen klären

    Wie in allen Lebensbereichen, ist es insbesondere auch in solch womöglich unangenehmen, herausfordernden Situation wichtig, dem Nachwuchs Raum und Gehör zu geben. „Die Kinder sollten sich bei Verunsicherungen und mit ihren Fragen ernst genommen fühlen“, betont Scheel. Sie bräuchten die Sicherheit, alles klären zu können und auf aufrichtige Antworten zu bekommen – auch wenn dies den Eltern vielleicht unangenehm sei. Lügen sei keine Option.

    „Das ist nicht nur für das Eltern-Kind-Verhältnis, sonst auch die sexuelle Entwicklung wichtig“, so Scheel. Laut des Experten könnten erlebte Tabus zu Unsicherheiten und Hemmungen bezüglich der eigenen Körperlichkeit führen.

    5. Regeln für Privatsphäre aufstellen

    Mit etwas Abstand ist es laut des Experten ratsam, im Familienrat auch noch einmal über Privatsphäre und Ich-Zeit zu sprechen. Es sei wichtig, deutlich zu machen, dass bestimmte Räume private Bereiche sind und dass man dort klopft, bevor man hereinkommt. Ebenso sei es wichtig, klare Zeichen zu vereinbaren, wenn man nicht gestört werden möchte, und so Grenzen zu setzen. „Das muss nicht unbedingt ein Schild an der Tür oder gar eine Krawatte sein“, schmunzelt Scheel. „Eine geschlossene Tür reicht als Zeichen meist vollkommen aus.“

    Nach unerwarteten, unangenehmen Momenten rät der Experte, zugewand und offen mit Kinder zu sprechen und zunächst Klarheit zu schaffen
    Nach unerwarteten, unangenehmen Momenten rät der Experte, zugewand und offen mit Kinder zu sprechen und zunächst Klarheit zu schaffen © iStock | AzmanJaka

    6. Vorbildfunktion gerecht werden

    „Gemeinsam erarbeitete Zeichen und Regeln sind aber selbstverständlich keine Einbahnstraße“, betont Scheel. Auch die Eltern müssten ihren Kindern durch ihr eigenes Verhalten den Respekt vor der Privatsphäre vorleben. „Kinder lernen oft durch Beobachtung“, so der Sexualpädagoge. „Auch Kinder haben das Recht, alleine zu sein und nicht gestört zu werden.“ Das müssten Eltern respektieren und sich an Regeln wie etwa „Immer Anklopfen und ein Herein abwarten“ halten. Auch Abschließen müsse, wenn, allen erlaubt sein. Das bedeute jedoch nicht, dass sich Familien abschotten, sich Eltern etwas nur noch bekleidet zeigen. „Für den Nachwuchs ist es wichtig, die Eltern auch mal nackt zusehen, etwa im Bad beim Umziehen oder Duschen“, sagt Scheel. Nicht nur der Eindruck unterschiedlicher Körper sei wichtig, auch Nacktheit sollte nichts Unangenehmes sein, für das man sich schämen müsse.

    7. Im Zweifel professionelle Hilfe suchen

    Wenn sich das Verhalten der Kinder verändert, nachdem sie die Eltern beim Liebesspiel überrascht oder dieses gehört haben, sollten Eltern laut Scheel hellhörig werden. Nicht immer gäbe es einen unmittelbaren Zusammenhang, dennoch sei es besser, potenzielle psychische Belastungen von einem Experten abklären zu lassen. Auch wenn Eltern und Kinder Probleme hätten, über das Erlebte zu sprechen, sollten Familien professionelle Unterstützung nicht scheuen – etwa bei einer Familienberatungsstelle.

    Die Hinweise des Sexualpädagogen Tom Scheel können Eltern als allgemeine Orientierung dienen, sollten sie einmal in die Situation geraten (sein), dass sie das Kind im Bett erwischt. Am Ende sei es wichtig, jede Situation individuell zu betrachten, sich in die Kinder hineinzuversetzen, auch auf das eigene Bauchgefühl zu hören, betont der Experte. „Und natürlich sollten sich Eltern nicht von der Angst, erwischt zu werden, abhalten lassen, intim zu werden. Das wäre fatal.“ Ein wenig Umsicht reiche völlig aus.