Berlin. Gut die Hälfte aller bestellten Schuhe wird wieder zurückgeschickt. Ein Start-up hat eine neue Idee – große Onlineshops sind skeptisch.

Einen Titel hat Deutschland schon sicher, bevor die Fußball-Europameisterschaft beendet ist. Denn im europaweiten Vergleich sind die Deutschen Retourenmeister. Nirgendwo sonst auf dem Kontinent werden im Internet bestellte Waren so häufig wieder zurückgeschickt wie hierzulande, hat eine Studie der Uni Bamberg herausgefunden.

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Verbraucher kostet das Nerven – und Zeit. Durchschnittlich beschäftigt sich ein Online-Kunde gut 32 Minuten damit, eine Sendung wieder retourenfähig zu machen und bei der Post abzugeben. Wenig überraschend ist deshalb, dass es vor allem in Deutschland viele Firmen gibt, die das Herausfinden der eigenen Größe einfach und verlässlich gestalten wollen – natürlich, ohne dass die Waren tatsächlich anprobiert werden müssen. Bislang ist der Durchbruch aber ausgeblieben.

Footprint Technologies heißt die junge Firma aus Berlin, die das nun zumindest mit Blick auf Schuhe ändern könnte. „Die Garantie, dass jeder verschickte Schuh passt“ verspricht das Start-up vollmundig auf der eigenen Internetseite. Möglich macht das Künstliche Intelligenz, eine Datenbank aus Hunderttausenden vermessenen Füßen – und Papier.

Schuhgröße erkennen mit KI: So funktioniert die Footprint-Idee

Die Schuhgröße bestimmen mit dem eigenen Smartphone: Möglich macht das die Technologie eines jungen Unternehmens.
Die Schuhgröße bestimmen mit dem eigenen Smartphone: Möglich macht das die Technologie eines jungen Unternehmens. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Footprint-Lösung, um die richtige Schuhgröße selber herauszufinden, geht so: Nötig ist ein Smartphone und ein weißes Blatt im DIN-A4-Format. Dann macht der Kunde mit einer handelsüblichen Smartphone-Kamera zwei Aufnahmen: zunächst von dem eigenen, auf dem Papier stehenden, nackten Fuß von oben, dann von der ebenfalls Socken-freien Ferse. Das Messergebnis gleicht das System dann mit einer Datenbank ab, in der sich die genauen Schuhmaße befinden. Innerhalb von Sekunden erhält der Nutzer die passende Größenempfehlung. Eine gesonderte App ist dafür nicht nötig.

Retouren: Welche Entwicklung die Gründer für erfolgsversprechend halten

„Unsere KI ist mit Hunderttausenden Füßen trainiert. Wir haben ihr beigebracht, über die Zehen und Ferse die maximale Länge und die maximale Breite des jeweiligen Fußes zu erkennen“, erklärt Matthias Brendel, einer der drei Gründer des Unternehmens. Entscheidend ist dabei auch das Blatt Papier. Als genormte Größe hilft das es dabei, die Aufnahmen ins korrekte Verhältnis zu setzen. Bislang ist das System der Berliner bei gut einem Dutzend Schuhhersteller im Einsatz.

Bei einem Kunden aus Kroatien habe das dazu geführt, Retouren um die Hälfte zu reduzieren. Natürlich gebe es auch weiterhin Kunden, die Waren zurücksenden, weil sie ihnen zu Hause doch nicht gefielen, sagt Gründer Brendel. Hauptgrund für Zurücksendungen bei im Internet georderten Schuhen ist aber, dass sie einfach nicht passen. Und das sorgt auch bei den Unternehmen, die die Pakete versenden, für Aufwand und hohe Kosten.

Diskussion über das Ende kostenpflichtiger Retouren: Verband mit Ansage

Laut einer Studie des Handelsforschungsinstituts EHI kosten Rücksendungen im Schnitt bis zu zehn Euro pro Artikel. Andere Berechnungen gehen sogar von Kosten zwischen 11 und 19 Euro pro Retoure aus. Teuer sind nicht nur der Versand an sich, sondern auch das Auspacken, Säubern, Lagern und eventuelles Wiederverpacken. Hinzu kommen Umweltaspekte durch die Transportwege. In anderen Ländern wird deshalb auch darüber diskutiert, kostenfreie Retouren abzuschaffen.

Retouren-Vernichtung: Regierung nimmt Handel in die Pflicht

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    Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) lehnt das ab, auch, weile das Ausprobieren von Mode zu Hause dazugehöre und Kundinnen und Kunden nicht bestraft werden sollten, wenn ein Stück dann doch mal nicht passe, sagt der BEVH-Vizechef Martin Groß-Albenhausen dieser Redaktion.

    Schuhgröße zu Hause bestimmen: Welche Hürde es für Hersteller gibt

    Das Start-up Footprint nimmt für jeden Messvorgang etwa zehn Prozent der möglicherweise anfallenden Retourenkosten als Gebühr. Mittlerweile sei man mit allen größeren Schuherstellern weltweit im Gespräch. Auch bei Behörden gebe es Interesse, verrät Mitgründerin Carolin Kleinert. Für potenzielle Kunden herausfordernd sei vor allem die Vorbereitung, bevor das Messtool in den eigenen Onlineshop integriert werden könne. Schließlich müssten zunächst viele Schuhmodelle digitalisiert werden. Nike, Adidas, Puma & Co. schrecken angesichts von Tausenden neuen Modellen jährlich davor wohl noch zurück.

    Ein Sprecher von Puma teilt auf Anfrage mit: „Lösungen wie Footprint haben eine gute wissenschaftliche Grundlage, aber ihr Erfolg bei der Lösung des Problems der Retouren wird stark davon abhängen, wie solche Technologien von den Verbraucher*innen angenommen werden.“ Von Adidas heißt es, man biete Kunden mehrere Hilfestellungen für die bestmögliche Größenauswahl an. „Dazu gehört eine individuelle Größenempfehlung auf Basis des Bestellverlaufs, eine Größentabelle und eine Skala der Größeneinschätzung und Passform im Vergleich zu Empfehlungen anderer Konsument*innen“, so eine Sprecherin.

    Zalando bietet virtuelle Umkleidekabine – für Schuhe bringt das zunächst nichts

    Die großen deutschen Online-Modehändler Zalando und About You setzen bei Größenempfehlungen verstärkt auf KI. About You, wo Kunden jedes Jahr eigenen Angaben zufolge Schuhe im zweistelligen Millionenbereich bestellen, versichert, man versuche, bestmöglich zu beraten, um „abwendbare Retouren zu vermeiden“. Bei Zalando arbeiten laut eigenen Angaben 80 Beschäftige ausschließlich an dem Thema „Size & Fit“. Das Unternehmen sehe dabei Fortschritte, will demnächst auch eine personalisierte, virtuelle Umkleidekabine anbieten.

    Mit Blick auf Schuhe würden die Onlineshops aber die Hersteller in der Pflicht sehen, das eigene Sortiment zu digitalisieren, sagen die Footprint-Gründer, die auch daran arbeiten, das eigene Angebot auszubauen. Auch für Reitstiefel oder Skischuhe könnte man wohl unkompliziert von zu Hause aus die passende Größe herausfinden. Dafür allerdings müsste zusätzlich der Wadenumfang bestimmt werden. Matthias Brendel hält das für möglich. „Von der Präzision her ist unsere Technologie vergleichbar mit der eines orthopädischen Scanners“, verspricht er.