Von HANNA-LOTTE MIKUTEIT

Gudow/Zarrentin - Die Anlage wirkt viel zu groß, irgendwie hineingeklotzt in Felder und Wiesen. Auf der südlichen Seite, an der Fahrbahn Richtung Berlin, eine große verlassene Wendeschleife; auf der nördlichen eine unbenutzte Abfertigungsrampe. Gleich dreimal innerhalb von nur wenigen Metern kann man Richtung Hamburg auf die Raststätte Gudow von der Autobahn A 24 abfahren. Beide Seiten sind über eine Brücke verbunden, die eine Überfahrt zur Tankstelle ermöglicht, einst aber auch als letzte Wendemöglichkeit vor der DDR gebaut worden war.

Relikte aus vergangener Zeit. Bis September 1990 war Gudow/Zarrentin der zweitgrößte innerdeutsche Grenzübergang nach Helmstedt/Marienborn, nun ist es nur noch eine von 330 Raststätten an deutschen Autobahnen mit Selbstbedienungsrestaurants, Kiosk, Parkplätzen, einer Tankstelle. Die Abfertigungshäuschen sind längst abgerissen, Grenzstreifen und Schlagbaum entfernt, in dem früheren Verwaltungsgebäude des Bundesgrenzschutzes (BGS) ist jetzt ein Motel mit 32 Zimmern und Dreifachverglasung. Auf der alten DDR-Seite entstand ein 300 Hektar großes Gewerbegebiet. Der Rastplatz liegt nicht mehr auf der Trennlinie zweier Staaten, sondern nur noch zwischen den Bundesländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern im vereinten Deutschland.

Vor zehn Jahren, als sich am 9. November 1989 der Eiserne Vorhang öffnete, stand das deutsch-deutsche Niemandsland plötzlich im Brennpunkt der Zeitgeschichte. "Das war ein historischer Moment", sagt Gerhard Stephan (61), BGS-Hauptkommissar a. D. und damals Dienststellenleiter in Gudow. Die Worte von DDR-Sprecher Günter Schabowski waren in der "Tagesschau" noch nicht ganz verklungen, da wurde der Beamte auch schon aus dem Feierabend zurück in die Dienststelle beordert. Das Warten begann, unterbrochen nur von aufgeregten Anrufen aus dem Innenministerium in Bonn. Hunderte Neugierige sammelten sich auf der Westseite. Gegen ein Uhr kam die Trabi-Schlange von Osten.

"Wir haben nach bundesdeutschem Recht die Personalausweise kontrolliert", so der Grenzbeamte. Es sei eine unglaubliche Stimmung gewesen, die Wagen wurden mit Schlägen aufs Dach begrüßt. "Trabiklatschen" hieß das später. "Alle hatten plötzlich Sekt. Ich weiß gar nicht, wo die den so schnell her hatten", sagt Stephan. Er habe Tränen der Rührung in den Augen gehabt.

Danach riss die Wagenkolonne Richtung Westen nicht mehr ab. Immer mehr kamen, und die meisten fuhren auch wieder zurück. Stephan knüpfte mit seinem DDR-Gegenüber, einem Oberst der Grenztruppen, erste Kontakte, ein Telefon zwischen den beiden deutschen Übergängen wurde installiert. Anfang 1990 fiel die Visumpflicht, Ende September 1990, kurz vor der Vereinigung, wurde der Grenzübergang aufgelöst.

Das alles hätte sich wohl niemand träumen lassen, als im November 1982 die 1,7 Milliarden Mark teure Transitstrecke Hamburg-Berlin samt Übergang eröffnet worden war. Auf die Frage, was geschehe, wenn die Einheit käme, hatte der Bundesverkehrsminister Werner Dollinger (CSU) damals geunkt: "Dann machen wir hier ein Museum." Und alle hatten gelacht.

Zunächst wuchs die Bedeutung von Gudow/Zarrentin, zuletzt passierten fast neun Millionen Menschen im Jahr den Kontrollpunkt. Wer von Westen über die Transitstrecke nach Berlin fahren wollte, kam unwiderruflich an diesen Punkt. "Reisen Sie allein?", war die immer wiederkehrende Frage der DDR-Grenzbeamten. Und: "Waffen, Funkgeräte, Kinder?" Reisepass und Kfz-Schein waren beim ersten Kontrollposten abzugeben, auf einem Förderband wurden sie zur Verwaltungsstelle weitergeleitet. Dorthin durfte man erst auf Handsignal fahren, bekam Dokumente samt Visumszettel zurück und konnte weiterfahren. Aus Osten kommend war - vor allem für DDR-Bürger - die Prozedur nicht minder aufreibend.

Etliche Male wurde versucht, die Grenze zu durchbrechen. Im März 1988 scheiterte ein junger Mann. Sein Auto demoliert, er angeschossen auf der Straße, so dokumentiert ein Schwarzweißfoto seine Festnahme. Auf grauem Schreibmaschinenpapier wurde die "Information über den verhinderten gewaltsamen Grenzübertritt" vermerkt.

Alles Geschichte. Wo einst 680 DDR-Grenzer ihr Land absperrten, haben die Gemeinden Gallin und Valluhn mit dem Landkreis Ludwigslust ein Transportgewerbegebiet gegründet. "Bislang haben 14 Firmen mit 1800 Arbeitsplätzen sich angesiedelt", sagt Gerd Kleinsorge, Fachgebietsleiter Bau- und Ordnungsrecht der Amtsverwaltung Zarrentin. Riesige Lagerhallen, auch von Hamburger Unternehmen, stehen an der Autobahn, eine neue Tankstelle wurde gebaut. Von den alten Anlagen ist nur noch der Wirtschaftshof übrig geblieben. "Der Standort ist ein Glücksfall für uns", sagt Kleinsorge.

In Gudow selbst ist es ruhig wie eh und je. "Wir haben eine gute Nachbarschaft, sonst hat sich bei uns eigentlich nichts geändert", sagt Bernd Gerken, leitender Angestellter in der Amtsverwaltung Gudow-Sterley.

Herta Beyer, die mit ihrem Mann Waldemar seit 1982 die Raststätte rechts und links der Autobahn gepachtet hat, erinnert sich an die ersten Wochen nach der Öffnung. "Die Leute haben zum ersten Mal vor einem Zigarettenautomaten gestanden und wussten nicht, wie man den bedient."

Eine provisorische Tankstelle wurde bald nach der Öffnung gebaut, inzwischen wurde sie einige Kilometer nach Mecklenburg hinein verlegt. Der Betrieb in Gudow sei inzwischen ganz normal, sagt Herta Beyer. "Der Verkehr ist gestiegen, und es kommen auch mehr Gäste. Alles hat sich eingespielt."

Trotzdem: "Ich habe immer noch ein komisches Gefühl", sagt Harry Ratajczak (73) beim Halt auf der Raststätte. Jedes Jahr seien er und seine Frau Sigrid (67) über die Grenze gefahren. "Das war die reinste Schikane", sagt der Rentner aus Berlin. Für den Hauptstädter Frank Mellenthin dagegen ist Gudow "eine Raststätte wie jede andere auch." Hans-Eugen Wien (60) aus München sagt: "Ich war mir gar nicht bewusst, dass hier die Grenze war." Und Knut Prien (30) aus Kamp-Lintfort am Niederrhein, meint trocken: "Grenzkontrollen kenne ich nur aus dem Museum."