Hamburg. Mehr als 18 Stunden drohte der Hamburger Flughafen-Geiselnehmer, sich mit seiner Tochter in die Luft zu sprengen. Nun muss er für lange Zeit ins Gefängnis - und fühlt sich ungerecht behandelt.

„Zwölf Jahre Freiheitsstrafe für diese Wahnsinnstat. Das ist unsere Antwort.“ - Mit diesen Worten leitet am Dienstag der Vorsitzende Richter am Landgericht Hamburg, Torsten Schwarz, seine Urteilsbegründung im Prozess gegen den Flughafen-Geiselnehmer ein. Die Strafkammer spricht den 35-Jährigen wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger, Körperverletzung und mehreren Verstößen gegen das Waffengesetz schuldig. Der Angeklagte protestiert lautstark gegen das Urteil und lässt sich nur mit Mühe vom Richter beruhigen.

Flammen und Schüsse auf dem Flughafen

Am Abend des 4. November vergangenen Jahres hatte der Türke seine Tochter aus der Wohnung seiner Ex-Frau im niedersächsischen Stade entführt. Mit hohem Tempo war er mit der Vierjährigen im Auto zum Flughafen gerast. An einem Tor in der Nähe der Terminals durchbrach er mit dem Mietwagen drei Schranken und drang bis auf das Vorfeld des Flughafens vor. Dort warf er zwei Brandsätze aus dem Auto. Inmitten des noch laufenden Flugbetriebs schossen zwei Feuersäulen empor. Der Angeklagte feuerte mit einer scharfen Pistole dreimal in die Luft - einmal davon direkt neben einer kurz zuvor gelandeten Maschine der Turkish Airlines, in der sich noch die Besatzung aufhielt.

Drohung mit Sprengstoff

Der 35-Jährige forderte, dass ihm ein Flugzeug zur Ausreise mit der Tochter in die Türkei zur Verfügung gestellt werde, und er drohte, sich und das Kind in die Luft zu sprengen. Erst nach über 18 Stunden gab der Angeklagte auf. Ein vermeintlicher Sprengstoffgürtel erwies sich später als Attrappe. Der Grund für seine Aufgabe sei Ausweglosigkeit gewesen, nicht Freiwilligkeit, sagte Schwarz. Einen minderschweren Fall der Geiselnahme anzunehmen, wie die Verteidigerin argumentiert hatte, sei darum abwegig.

Kind hätte sterben können

Der Richter fragte, ob sich der Angeklagte vorstellen könne, wie sich seine Tochter in den 19 Stunden, 25 Minuten und 21 Sekunden in seiner Gewalt gefühlt habe. Und ob er darüber nachgedacht habe, dass das Kind hätte sterben können. Zu seiner Frau habe der Angeklagte gesagt: „Ich habe dir das Kind gegeben, ich kann es dir auch wieder wegnehmen.“ Schwarz betonte: „Nein, das können Sie nicht!“

Angeklagter fordert „Gerechtigkeit“

Der Angeklagte reagierte darauf mit großem Unmut. Schon vor der Urteilsverkündung versuchte er, von Hand beschriebene Zettel an die Pressefotografen zu verteilen, und forderte auf Deutsch „Gerechtigkeit“. Als der Vorsitzende Richter erklärte, dass der 35-Jährige am Tattag vielleicht das letzte Mal seine Tochter gesehen habe, rief dieser erneut dazwischen. „Hören Sie zu! Seien Sie ruhig!“, musste Schwarz ihn mehrfach laut auffordern.

Warnung vor dem Faustrecht

Möglicherweise sei die Tat ein „Hilfeschrei“ gewesen, wie die Verteidigerin in ihrem Plädoyer argumentiert habe. „Aber in erster Linie war das Selbstjustiz“, sagte Schwarz. Auch vor Gericht habe der Angeklagte geschrien und auf den Tisch geschlagen. „Sie respektieren nicht die Gesetze, Sie respektieren keine Gerichtsentscheidung“, erklärte der Richter. Das Oberlandesgericht Celle habe die Sorgerechtsentscheidung getroffen, das sei zu respektieren. Auch als Warnung an alle müsse dem Faustrecht ein Riegel vorgeschoben werden.

„Lächerliche Geldstrafe“ für erste Kindesentziehung

Nur ein halbes Jahr vor der Tat sei der Angeklagte wegen einer ersten Kindesentziehung zu einer „lächerlichen Geldstrafe von 90 Tagessätzen“ verurteilt worden. „Allein für diese Tat hätten Sie eine Gefängnisstrafe verdient“, sagte Schwarz. Im März 2022 war der Angeklagte nach einem Ehestreit mit dem damals dreijährigen Kind im Auto nach Istanbul gefahren. Die türkischstämmige Mutter reiste ihm nach, spielte die versöhnungsbereite und gefügige Ehefrau, nur um im richtigen Moment mit ihrer Tochter wieder nach Deutschland zu flüchten. In Stade tauschte sie die Schlösser ihrer Wohnung aus und suchte vorübergehend Schutz in einem Frauenhaus.

„Mama weint“

Anfang November vergangenen Jahres wollte sie eine Jacke über Ebay verkaufen. Der Angeklagte meldete sich daraufhin als Kaufinteressent und gab sich als geflüchtete Ukrainerin aus, wie Schwarz weiter ausführte. Er klingelte an der Wohnungstür und meldete sich mit verstellter Stimme, woraufhin die Frau öffnete. Er habe sie schmerzhaft an den Oberarmen gepackt und - als sie um Hilfe schrie - mit einer Pistole bedroht. Im Wohnzimmer habe die Tochter bemerkt: „Mama weint.“ Er habe dazu bloß gesagt: „Deine Mutter heult doch immer.“

Mit dem Kind auf dem Arm und der Pistole in der Hand sei der Angeklagte zum Auto gegangen. Um seine Ex-Frau und Nachbarn auf Distanz zu halten, gab er einen Warnschuss ab. Dann richtete er die Waffe wieder auf die Mutter des Kindes und rief nach Angaben des Richters: „Ihr werdet mich noch zum Mörder machen!“

Lob für Hamburger Polizei

Auf dem Flughafenvorfeld habe der Angeklagte nach dem Zünden der beiden Molotowcocktails über den Polizeinotruf gesagt: „Ich habe drei Bomber, ich habe meine Tochter hier, ich will Ausreise in meine Heimat.“ Er drohte: „Entweder wir werden sterben oder wir gehen weg.“ Unter Lebensgefahr habe sich ein Polizeibeamter in das direkt daneben stehende Flugzeug der Turkish Airlines begeben, um die Crew zu retten. Schwarz lobte die „hervorragende Polizeiarbeit“. „Die Hamburger können stolz darauf sein.“

Nach Verbüßung der Haftstrafe werde der Angeklagte abgeschoben. Aber seine Tochter werde hier bleiben, sie sei nämlich deutsche Staatsbürgerin und habe nie mit ihm in die Türkei gehen wollen. Mit dem Urteil entsprach die Kammer der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte keine konkrete Strafe beantragt. Gegen das Urteil kann der Angeklagte Revision einlegen.