Hamburg. Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat neben Akteuren der Neonazi-Szene auch deren Opfer im Blick. Warum sie so aktuell ist.

Rechtsextreme Gewalttaten gab und gibt es in Deutschland seit dem Ende des nationalsozialistischen Regimes immer wieder. Aktuell nehmen sie sogar bedrohlich zu. Die Gewaltakte haben ihre Wurzeln im gesprochenen und geschriebenen Wort – und rechtsextreme Überzeugungen werden wieder verstärkt offen geäußert, auch in Hamburg, einer Stadt, die sich eigentlich als weltoffen bezeichnet.

Die Ausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ erzählt die Geschichten der Betroffenen rechter Gewalt in Hamburg. Zugleich nimmt sie die Akteure und Netzwerke alter wie neuer Nazis in den Blick. Sie zeigt die Entwicklung rechter Gewalt in Hamburg über viele Jahrzehnte ebenso wie Formen von Gegenwehr aus Gesellschaft und Politik.

Rechte Gewalt ist in großen Teilen der deutschen Gesellschaft wieder salonfähig

Die Ausstellung war seit dem 19. Januar in der Diele des Hamburger Rathauses zu sehen und wird nun in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aufgebaut. Dort kann sie wegen des großen Interesses von Montag, 1. Juli, bis Sonntag, 25. August, besucht werden.

Präsentiert wird die Ausstellung von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. Alyn Beßmann-Šišić und Lennart Onken aus dem Team der KZ-Gedenkstätte haben sie in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Andreas Speit zusammengestellt, der als prominenter Kenner der rechtsextremen Szene gilt.

11. Mai 1986: Arbeiter entfernen ein Hakenkreuz, das Unbekannte auf das Internationale Mahnmal der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gesprüht hatten.
11. Mai 1986: Arbeiter entfernen ein Hakenkreuz, das Unbekannte auf das Internationale Mahnmal der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gesprüht hatten. © Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte/Dr. Iris Groschek | Archiv KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Anhand von Schau- und Zeittafeln klärt die Ausstellung über Weltbilder und Gewalttaten der extremen Rechten in der Hansestadt auf. Denn obwohl Hamburg immer wieder Ausgangs- wie auch Tatort rechter Gewalt war, ist diese Geschichte in der Hansestadt heute weitestgehend vergessen.

Die Ausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ trägt dazu bei, diese verdrängte und vergessene Geschichte wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken und den Betroffenen und Hinterbliebenen von Opfern rechter Gewalt eine Stimme und ein Gesicht geben. Ergänzt wird die Ausstellung durch die Website rechtegewalt-hamburg.de.

Lohbrügge war Hochburg der Neonazis, bis führende Köpfe nach Ostdeutschland gingen

In den vergangenen Jahrzehnten gab es in Hamburg Hunderte Gewalttaten der extremen Rechten mit unzähligen Verletzten und mindestens sieben Toten, stellen die Kuratoren fest. In den 80er-Jahren war Lohbrügge eine Neonazi-Hochburg, bis die führenden Köpfe faschistischer Organisationen nach dem Fall der Mauer in die neuen Bundesländer abwanderten, um dort neue Mitstreiter für ihre kranken Ideen zu gewinnen.

Besucher in der Ausstellung, die im Januar in der Diele des Hamburger Rathauses eröffnet worden war.
Besucher in der Ausstellung, die im Januar in der Diele des Hamburger Rathauses eröffnet worden war. © Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte/Dr. Iris Groschek | Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte

Die Öffentlichkeit habe rechtsextrem motivierte Gewalt bislang kaum wahrgenommen und oft unterschätzt, sind die Kuratoren überzeugt. Selbst der Schock in der Bevölkerung, ausgelöst durch die Morde der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) vor zehn Jahren, habe kein anhaltendes Bewusstsein für die Gefahren rechtsextrem motivierter Gewalt geschaffen, betont Prof. Dr. Oliver von Wrochem, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte.

Die drei Haupttäter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe waren 1998 untergetaucht und hatten zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordet sowie 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt. Zehn Jahre nach Bekanntwerden der Mordserie und 79 Jahre nach Ende der Hitler-Diktatur wirken viele Menschen emotional und geistig abgestumpft: „Rechtsextreme, menschenverachtende Haltungen sind in Teilen der Gesellschaft leider wieder salonfähig“, bestätigt von Wrochem.

Die Besucher erfahren die Geschichten der Betroffenen, Hinterbliebene kommen zu Wort

Weil die Deutschen besonders gut wissen müssten, wie schnell Hass in Gewalt umschlagen kann, klärt die Ausstellung nicht nur über die Kontinuität extrem rechter Gewalttaten in der Hansestadt Hamburg auf: Sie thematisiert auch die Ideologien, die dahinter stecken.

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Die Besucher erfahren die Geschichten der Betroffenen dieser Gewalt. Hinterbliebene der Opfer kommen zu Wort. „Für viele Menschen in unserem Land sind Bedrohungen durch Rassismus und Hassverbrechen alltäglich. Rechtsextreme Gewalt verschwand nicht mit dem Niedergang des faschistischen Deutschlands im Mai 1945“, stellte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit zur Eröffnung der Ausstellung in Hamburg fest, und fügte hinzu: „Rechte Gewalt ist eine ständige Gefahr für unsere Demokratie.“

Staat und Zivilgesellschaft müssten sich dieser Gefahr heute und künftig entschlossen entgegenstellen – „als Bürgerinnen und Bürger einer vielfältigen und weltoffenen Stadt sind wir das allen Betroffenen und ihren Familien schuldig“, betonte Carola Veit.

Auch rechtsextreme Angriffe auf Gedenkstätten haben 2023 deutlich zugenommen

Rechtsextreme Angriffe durch Vandalismus, Schmierereien oder verbale Attacken im Internet auf Gedenkstätten nahmen im vergangenen Jahr ebenfalls deutlich zu – auch in Neuengamme. Hatte es in der KZ-Gedenkstätte am Jean-Dolidier-Weg im Jahr 2022 vier Fälle gegeben, waren es in 2023 mehr als viermal so viele: Insgesamt 17 Vorfälle wurden registriert, bestätigt Sprecherin Dr. Iris Groschek.

Der Gedenkstein für Süleyman Taşköprü in der Schützenstraße in Hamburg-Bahrenfeld, aufgenommen 2021. Am 27. Juni 2001 hatten Rechtsterroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ den damals 31-Jährigen in seinem Lebensmittelladen erschossen.
Der Gedenkstein für Süleyman Taşköprü in der Schützenstraße in Hamburg-Bahrenfeld, aufgenommen 2021. Am 27. Juni 2001 hatten Rechtsterroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ den damals 31-Jährigen in seinem Lebensmittelladen erschossen. © Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte/Dr. Iris Groschek | Kati Jurischka/Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte

Zu sehen ist die zweisprachige Ausstellung (Deutsch/Englisch) im Foyer der Hauptausstellung am Jean-Dolidier-Weg 75 – ab 1. Juli von 12 Uhr an, anschließend wochentags von 9.30 bis 16 Uhr sowie sonnabends und sonntags zwischen 10 und 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen finden sich im Internet: kz-gedenkstaette-neuengamme.de.