Seit der Vollsperrung genießen die Anwohner der Sierichstraße die Ruhe. Doch Anfang August wird es mit der Stille wieder vorbei sein.

Hamburg. Vogelgezwitscher hört man an der Sierichstraße normalerweise nur ganz früh morgens. Oder spätabends, wenn der Feierabendverkehr durchgerauscht ist. Jetzt ist das anders. Seit knapp drei Wochen sorgt die Teilsperrung der Sierichstraße für die Anwohner zwischen Maria-Louisen-Straße und Poelchaukamp für nie gekannte Ruhe. Unter der Asphaltdecke hatte sich in Höhe der Brücke über den Goldbekkanal ein Hohlraum gebildet, der Straßenunterbau aus Sand und Schotter war weggerutscht. Nun wird unter Hochdruck ein Gemisch aus Zement und Wasser in den Boden injiziert, das mit dem dort vorhandenen Sand einen festen Mörtel bilden und so die Lücken schließen soll. "Von mir aus könnte es immer so bleiben", sagt Katrin Onken. Die Diplom-Psychologin und Krankengymnastin wohnt mit Mann und zwei Töchtern in unmittelbarer Nähe der Baustelle in einer großen Wohnung, in deren vorderem Teil Praxisräume mit großen Balkonen liegen. "Jetzt kann man dort ungestört sitzen, sich unterhalten und sogar telefonieren", sagt Katrin Onken. Das ist sonst schwierig - zumindest unter der Woche, wenn der Berufsverkehr durch Europas einzige Einbahnstraße mit Richtungswechsel rauscht, von 4 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags stadteinwärts, danach stadtauswärts, 20.000 Autos am Tag.

+++ Das sind die Baustellen des Sommers +++

Für die Gewerbetreibenden an der Sierichstraße sind die Pendler potenzielle Kunden. "Ich habe mit der Sperrung kein Problem", sagt Sonja Vanek, Inhaberin des italienischen Feinkostladens mangia e bevi. "Die Gäste freuen sich darüber, dass die Straße jetzt leiser ist." Nike Jäger vom Edelrestaurant Gallo Nero bestätigt das, außerdem könnten die Gäste jetzt fast vor der Tür parken. Aber: "Viele, die nach Feierabend spontan angehalten haben, um bei uns was zu essen, bleiben jetzt aus", sagt sie. Auch Nesim Akdeniz, Geschäftsführer der Alster-Schnellreinigung, hat in den vergangenen Wochen weniger Umsatz gemacht. "Viele meiner Kunden kommen von außerhalb und halten auf dem Weg von oder zur Arbeit kurz hier an", sagt er.

Durch die Sperrung müssten sie Umleitungen fahren. "Da sie sich hier nicht auskennen, versuchen sie erst gar nicht, zu mir zu gelangen." Ob es infolge der Sperrung weniger Unfälle dort gab, ist nicht bekannt. "Der Zeitraum ist zu kurz, um schon jetzt Statistiken zu erheben", sagt Hartmut Herbst vom Polizeikommissariat 33. Generell gebe es an der Sierichstraße eine "unauffällige Unfalllage", sagt er. Und das, obwohl es in der Zeit des Richtungswechsels immer wieder Autofahrer gibt, die entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fahren. "Die werden durch die entgegenkommenden Fahrer diszipliniert", sagt Herbst. Was ihm viel mehr Sorge macht, ist die Situation der Fahrradfahrer auf der Sierichstraße. Die müssen nämlich seit Neuestem auf der Fahrbahn fahren und sich, natürlich, auch an die Fahrtrichtung halten. "Zu ihrer Sicherheit müssten wir eigentlich Radfahrstreifen auf der Fahrbahn einrichten", sagt Herbst. "Doch dafür ist es dort bei zwei Fahrstreifen viel zu eng."

Seit 1952 ist sie Europas einzige Einbahnstraße mit Richtungswechsel

Zu eng für die Verkehrsteilnehmer war die Sierichstraße, die Richtung Innenstadt in die Herbert-Weichmann-Straße (früher: Adolphstraße) übergeht, schon vor einem halben Jahrhundert. Daher entschloss man sich, die Einfallstraße ab dem 15. Dezember 1952 als tageszeitenabhängige Einbahnstraße einzurichten. 1954, zwei Jahre später, passierten diesen Straßenzug täglich rund 960 Autos.

Damals müssen ähnlich idyllische Zustände geherrscht haben wie aktuell, da nur wenige Autos in der Sierichstraße unterwegs sind. Anfang August wird sich das wieder ändern, dann sollen die Bauarbeiten an der Fahrbahn abgeschlossen sein. "Wir setzen alles daran, die Baumaßnahmen bis zum Ferienende abzuschließen", sagt Helma Krstanoski von der Verkehrsbehörde. "Es ist aber nicht auszuschließen, dass sie ein, zwei Tage länger dauern."

Das Verkehrschaos, das wegen der Ferien ausgeblieben war, würde dann wohl doch noch eintreten.