Berlin. Die Jungen gaben zur Europawahl verstärkt der AfD statt den Grünen ihre Stimme. Experten sind nicht überrascht – aus simplen Gründen.

Die Stimme der Jugend werde lauter werden, frohlockten die Grünen noch vor ein paar Wochen, „diese Jugend von heute“ dürfe nun endlich wählen. Doch am Tag nach der Europawahl war den Anhängern der Partei wohl eher nicht mehr zum Jubeln zumute: Junge Menschen ab 16 Jahren nutzten ihr neu gewonnenes Wahlrecht vor allen Dingen dazu, die Grünen abzustrafen und der AfD ihre Stimme zu geben. Wie konnten sich die Grünen derart irren?

Dankbarkeit dafür, das Wahlalter abgesenkt zu haben, sollte keine Partei erwarten, sagte der Politikwissenschaftler und Wahlforscher Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin dieser Redaktion. Was man aber gesehen habe, sei, dass junge Menschen in ihrem Wahlverhalten weitaus weniger festgelegt seien. „Stimmungsumschwünge sind auch in kurzer Zeit möglich“, so Faas. Insofern gebe es diesbezüglich für keine Partei irgendwelche Garantien.

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Dabei hatten sich vor allem die Grünen mit Blick auf die Ergebnisse der letzten Europawahl vor fünf Jahren mehr erhofft. Bei den unter 24-Jährigen wurde die Partei damals noch deutlich stärkste Kraft, verlor nun jedoch bei den jungen Wählerinnen und Wählern gleich 23 Prozent im Vergleich zum vorherigen Wahlergebnis.

Junge Menschen wählen themenorientiert – und nach Stimmungslage

Der AfD hingegen gelang ein Plus von elf Prozent bei den jüngeren Urnengängern. Insgesamt konnte die rechte Partei unter den Jungwählern 16 Prozent der Stimmen erringen, landete so knapp hinter der Union (17 Prozent). Die Grünen wurden nur noch von 11 Prozent der 16- bis 24-Jährigen gewählt.

Europawahl in Deutschland: So wählten die 16- bis 24-Jährigen.
Europawahl in Deutschland: So wählten die 16- bis 24-Jährigen. © DPA Images | dpa-infografik GmbH

Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance erforscht seit Jahrzehnten die Gemütslage der deutschen Jugend. Hurrelmann hat für das Wahlverhalten zur Europawahl eine einfache Erklärung. „Gerade, wenn sie Erstwähler sind, sind junge Leute sehr themenorientiert. Und Klimaschutz – so wie bei der vorherigen Europawahl – war jetzt eben nicht mehr das zentrale Thema“, sagte der Jugendforscher gegenüber dieser Redaktion.

Stattdessen im Fokus: die Inflation, der teurer werdende Wohnraum, die Angst vor Altersarmut und Wirtschaftsabschwung, Krieg in Europa und Flüchtlingsströme. Vor allem eben die AfD habe mit diesen Themen bei den jungen Wählern punkten können, so Hurrelmann. Dafür entscheidend: nicht nur die Kommunikationsstrategie über soziale Netzwerke wie TikTok mit direkter Ansprache, sondern auch die allgemeine Stimmungslage, in der sich die deutsche Jugend befindet.

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Hurrelmann hatte den jungen Menschen in Deutschland bereits mit seiner im Mai publizierten Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ eine gewisse Empfänglichkeit für rechtsextreme Propaganda attestiert. „Es gibt diese allgemeine Sorge, dass es nicht vorwärtsgeht, und so ein Grundgefühl, dass die Dinge von der jetzigen Regierung nicht geregelt werden. Was bleibt, ist eine Grundstimmung von Kontrollverlust“, sagte der Hertie-Professor.

Katharina Stolla, Vorsitzende der Grünen Jugend, sieht einen Rechtsruck unter jungen Menschen.
Katharina Stolla, Vorsitzende der Grünen Jugend, sieht einen Rechtsruck unter jungen Menschen. © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Der AfD als Partei mit „Primitiv-Antworten“ und der Flucht in überschaubare und sichere Muster spiele das in die Karten, so Hurrelmann weiter. Katharina Stolla, Co-Bundessprecherin der Grünen Jugend, sagte am Montag dieser Redaktion, der Rechtsruck unter jungen Menschen sei ein bitteres Ergebnis dieser Wahl. „Rechte hatten in den letzten Monaten viel zu leichtes Spiel und konnten auch in meiner Generation viel zu viele Menschen überzeugen.“

Gleichzeitig aber hätten auch die Ampel-Parteien bei vielen wichtigen Themen an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Dieses Wahlergebnis, forderte Stolla, sollte „eine Mahnung dafür sein, dass die Sorgen und Ängste junger Menschen ernster genommen und angegangen werden.“