Berlin. Der Bundeskanzler und der ukrainische Präsident kommen sich näher. Das ist ermutigend. Doch dann kam der Besuch im Bundestag.

Olaf Scholz trifft den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj derzeit fast so oft wie seine Frau: am Wochenende beim D-Day in Frankreich, jetzt in Berlin bei der Wiederaufbau-Konferenz in der Messe und bei der Sondersitzung im Bundestag. Danach sehen sich die beiden beim G7-Gipfel in Italien wieder und kurz darauf bei der Friedenskonferenz in der Schweiz. Der Kanzler hat Selenskyj-Tage – und das ist gut so.

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Russlands unerbittlicher Angriffskrieg hat die europäische Sicherheitsarchitektur nachhaltig erschüttert. Die Ukraine kämpft um ihr Überleben, für ihr Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit. Und Deutschland ist nach den USA dabei ihr wichtigster Unterstützer. Dass sich Scholz und Selenskyj (beziehungsweise Olaf und Wolodymyr, wie sie jetzt sagen) näherkommen, kann nur Vorteile haben. Denn der russische Präsident Wladimir Putin ist noch lange nicht am Ende. Je enger die Allianzen und Verbindungen werden, desto besser ist es.

Russland will die Stromversorgung im ganzen Land zerstören

Denn während die etwa 2000 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und von internationalen Organisationen in der Berliner Messe über den Wiederaufbau der Ukraine nachdenken und Selenskyj im Bundestag spricht, lässt Putin die Region Charkiw bombardieren. Seit Wochen versucht die russische Armee, mit Drohnen und Raketen die Strom- und Energiezufuhr im ganzen Land zu zerstören. Es kommt bereits zu schwerwiegenden Engpässen. Selenskyj ist überzeugt, dass die Russen das Ziel haben, die Stromversorgung des ganzen Landes zu zerstören, was katastrophale Folgen hätte.

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Auch deswegen sind langfristige staatliche Hilfszusagen, die beim G7-Treffen Thema sein werden, so wichtig. Aber eben auch Wiederaufbau-Konferenzen wie jetzt in Berlin. Im Mittelpunkt stehen die Vernetzung der wichtigsten Akteure, Garantien und Absicherungen, für alle, die helfen und investieren wollen in einem Land, in dem kein Frieden in Sicht ist.

Gudrun Büscher ist Leitende Redakteurin in der Zentralredaktion.
Gudrun Büscher ist Leitende Redakteurin in der Zentralredaktion. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wiederaufbau ist das eine, Waffen sind das andere – und natürlich hat Selenskyj Wünsche, auch nach Luftabwehr. Deutschland liefert jetzt ein drittes Patriot-Flugabwehrsystem, dazu Iris-TSLM-Flugabwehrsysteme – denn so formulierte es der Kanzler: Der beste Wiederaufbau sei der, der gar nicht stattfinden muss. Aber auch Gepard-Flakpanzer, Flugkörper und Artilleriemunition werden in den kommenden Wochen und Monaten geliefert. Doch das reicht nicht gegen diesen schier übermächtigen Gegner.

Wieder ist es Frankreichs Präsident, der Scholz unter Druck setzt. Emmanuel Macron will keine Tabus oder rote Linien. Er hat Kiew französische Kampfjets vom Typ Mirage zugesagt und Militärausbilder, die zu Schulungen in die Ukraine kommen sollen. Auch die Niederlande, Dänemark, Norwegen und Belgien wollen Kampfflugzeuge liefern. Aber Scholz verweigert Eurofighter, Taurus und Ausbilder auf ukrainischem Gebiet. Daran will er auch nichts ändern.

Ein Fehler? Nein! Deutschland steht fest und verlässlich an der Seite der Ukraine. Und Besonnenheit ist eine Stärke.

Der BSW-Boykott ist ein Armutszeugnis

Die wird Scholz weiterhin brauchen, nicht nur, wenn es um Waffen und Sicherheit geht, auch im Umgang mit einigen Abgeordneten im Parlament. Als Selenskyj am Nachmittag zum ersten Mal persönlich im Bundestag sprach, blieben die Plätze vieler AfD-Abgeordneter und die der BSW-Gruppe leer. Der ukrainische Präsident trage dazu bei, „eine hochgefährliche Eskalationsspirale zu befördern“, hieß es in dem Boykottaufruf des Bündnisses Sahra Wagenknecht, das bei der Europawahl am Wochenende aus dem Stand auf 6,2 Prozent gekommen war. Eine derart fahrlässige Geschichtsklitterung ist unerträglich. Was für ein Armutszeugnis.