Mexiko-Stadt. Javier Milei heimst europaweit Ehrungen ein – auch in Hamburg. Für Scholz hat er nur wenig Zeit. Für unangenehme Fragen noch weniger.

Während Javier Milei daheim in Argentinien politisch und sozial keinen Stein auf dem anderen lässt, hat er immer noch genug Zeit, durch die Weltgeschichte zu jetten. In seinen bisherigen sechs Monaten im Amt ist der argentinische Staatschef schon mehr als siebenmal im Ausland gewesen, gleichzeitig nehmen die Proteste gegen seinen radikalen Sparkurs im Land zu. Gleich nach Amtsantritt flog Milei im Januar in die Schweiz zum Davoser Weltwirtschaftsforum und verbreitete dort mit messianischem Eifer seine kruden, libertären und staatsverachtenden Theorien. Er erntete tosenden Applaus.

Weil daheim die Staatskassen leer sind, schrottet Milei den Sozialstaat, kündigt Zehntausende Staatsdiener und streicht Bedürftigen die Essenshilfe. „No hay plata“ – es gibt kein Geld, wiederholt er wie ein Mantra. Aber genügend „plata“ für Reisen nach Israel, in den Vatikan, nach Italien, Spanien, El Salvador und gleich dreimal in die USA war dann aber doch da. Und nun stehen Spanien, Tschechien und erstmals Deutschland auf dem Programm. Die argentinische Tageszeitung „Clarín“ will in der Luftfahrtbranche herausgefunden haben, dass sich die Gesamtkosten allein für den aktuellen Trip auf 600.000 Dollar belaufen.

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In allen drei Ländern bekommt der Demokratieverächter und pöbelnde Populist aber vor allem Medaillen von neoliberalen Instituten oder Thinktanks umgehängt. Der diplomatische Nutzen des Trips ist überschaubar, da Arbeitsbesuche mit den lokalen Regierungen nicht geplant oder auf ein Minimum reduziert sind. Am Sonntag trifft der Staatschef in Berlin Kanzler Olaf Scholz zu einem „kurzen Arbeitsbesuch“ – allerdings ohne militärische Ehren, wie es bei Staatsbesuchen sonst üblich ist. Auch eine zunächst anberaumte gemeinsame Pressekonferenz wird es doch nicht geben.

Milei als „leuchtendes Beispiel für Kraft liberaler Ideen“ geehrt

Milei ist bekannt dafür, aufs Schärfste gegen Medienschaffende zu hetzen. Reporter ohne Grenzen wirft ihm eine „aggressive Haltung gegenüber Journalistinnen und Journalisten“ vor. Womöglich hätte sich Milei aber Fragen zu der Medaille stellen lassen müssen, die er tags zuvor in Hamburg von der Hayek-Gesellschaft erhalten sollte. Sie steht wegen ihrer angeblichen Nähe nach rechts außen, besonders zur AfD, in der Kritik und will Milei als „leuchtendes Beispiel für die Kraft liberaler Ideen“ ehren.

Ob die Pressekonferenz in Berlin auf seinen Wunsch abgesagt wurde, wollte eine Regierungssprecherin nicht sagen. Angeblich war es aber der Argentinier, der den Besuch herunterdimmen ließ, nachdem Kanzlersprecher Steffen Hebestreit dessen Äußerungen über die Frau des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez als unangenehm bezeichnet hatte. Im Mai war Milei beim Parteitag der ultrarechten Vox-Partei aufgetreten und hatte nebenbei noch einen diplomatischen Eklat provoziert, indem er Sánchez‘ Ehefrau als „korrupt“ bezeichnete. Sánchez selbst nannte er „feige“ und warf ihm vor, in Spanien „das Maduro-Modell“ errichten zu wollen.

Beim Zerschlagen diplomatischen Porzellans ist der 53-Jährige weltweit unübertroffen. Und immer mehr Argentinier schämen sich, wie ihr Präsident sie und ihr Land nahezu überall blamiert. Bleibt abzuwarten, welche Unflätigkeit er sich für Scholz vorbehalten hat. Regierungen unter Beteiligung von grünen und sozialdemokratischen Parteien wähnt der Argentinier als Vorstufe zum Kommunismus. Überhaupt darf man gespannt sein, welchen Nenner ein so exaltierter Rüpel und ein Stoiker wie Scholz finden.

Soziale Schere in Argentinien hat sich unter Milei weiter geöffnet

Milei reist zwar immer gern als Staatschef um den Globus, aber noch lieber, als Amtskollegen zu treffen, tritt er wie in den USA auf konservativen Konferenzen auf, macht Rechtspopulisten seine Aufwartung und besucht die von ihm verehrten Tech-Milliardäre Elon Musk (Tesla), Sam Altman (Open AI) oder Mark Zuckerberg (Meta).

Ein als Terminator-Milei verkleideter Regierungsgegner zielt mit einer Spielzeugpistole auf eine Demonstration vor dem Kongress. Der ultraliberale Präsident Milei meinte neulich in einem Interview, er sei wie Terminator aus der Zukunft gekommen, um die Welt von der sozialistischen Apokalypse zu retten.
Ein als Terminator-Milei verkleideter Regierungsgegner zielt mit einer Spielzeugpistole auf eine Demonstration vor dem Kongress. Der ultraliberale Präsident Milei meinte neulich in einem Interview, er sei wie Terminator aus der Zukunft gekommen, um die Welt von der sozialistischen Apokalypse zu retten. © DPA Images | Natacha Pisarenko

In Argentinien setzt Milei derweil seine Agenda des Staatsabbaus langsam, aber sicher durch. Der Kongress in Buenos Aires steht kurz davor, ihm für ein Jahr Sondervollmachten zuzugestehen, mit denen er in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Energie und Staatsverwaltung ohne die Kontrolle des Parlaments regieren kann. Schon jetzt hat sich die soziale Schere nach einem halben Jahr anarchokapitalistischer Regentschaft weiter geöffnet.

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Renten wurden gekürzt, Gehälter eingefroren und die Kosten für öffentliche Leistungen der Daseinsvorsorge – Strom, Wasser, Gas und auch der öffentliche Nahverkehr – stiegen um bis zu 300 Prozent, weil Milei die Subventionen radikal zusammenstrich. Die Folge war zwar der erste Haushaltsüberschuss in 16 Jahren und erstmals wieder eine einstellige monatliche Inflationsrate. Aber eben auch ein Anstieg der Armutsrate auf 55 Prozent. Auch daher nehmen die sozialen Spannungen massiv zu.

Zwar steht noch etwas mehr als die Hälfte der Argentinierinnen und Argentinier hinter ihm, aber sollte der wirtschaftliche Aufschwung trotz radikaler Maßnahmen ausbleiben, wird Mileis Kredit schnell verspielt sein. Das übergeordnete Ziel von Mileis Spardiktat ist dabei ohnehin die Zerstörung des Staates als eines Garanten von Gemeinwohl, sozialer Durchlässigkeit und Teilhabe. Für den Radikalliberalen ist der Staat Kern allen Übels. In diesem Sinne ist Javier Milei ein Systemsprenger, der seine Überzeugungen gern in die Welt trägt und dabei überraschend viel Beifall erhält.