Moskau. Homophobie ist tief verankert in Russland, nun zementiert der Staat den Hass auf Transsexuelle – mit Folgen für deren Leib und Leben.

„Ich erinnere mich, dass ich den Jungs gesagt habe, dass ich ein Mädchen sein werde, wenn ich groß bin“, erzählt die 25-jährige Sasha über ihre Kindheit. Als Junge geboren, wusste sie schon früh, dass sie anders war. Und später, als Jugendliche, ahnte sie, dass sie sich verstecken muss in Russland. Zum Glück, sagt Sasha, habe sie von Geburt an ein androgynes Aussehen, weshalb sie auf der Straße keiner Aggression ausgesetzt sei. „Normalerweise merkt niemand, der vorbeikommt, dass ich kein leibliches Mädchen bin.“

In Russland sind Lesben, Schwule, Trans- und Bisexuelle seit Jahren einer zunehmenden politischen Verfolgung ausgesetzt. Per Gesetz ist jegliche „Propaganda“ für „nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ verboten. Dadurch soll die „intellektuelle, moralische und mentale Sicherheit der Gesellschaft“ gewährleistet werden. Aktivistinnen und Aktivisten der LGBTQ+-Community sind entsetzt. Durch das Verbot kann jeder ihrer Internetauftritte, jede Publikation unter Strafe gestellt werden. Auch Bücher, in denen es um homosexuelle Beziehungen geht, könnten bald verboten werden, fürchten viele.

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„Schwule und Lesben können sich immer noch irgendwie verstecken, obwohl es äußerst schwierig ist, in einer so geschlossenen Welt zu leben“, sagt Yael Demedetsky dem Onlinemedium Meduza. „Doch für Menschen, die ihr Geschlecht und ihre Dokumente ändern müssen, ist die aktuelle Situation in Russland eine Sackgasse.“ Selbstmorde seien unter Transpersonen ohnehin keine Seltenheit, weiß der Gründer einer Hilfsorganisation für Transgender-Menschen.

In Russland sind geschlechtsangleichende Eingriffe verboten

Demedetsky selbst lebt längst schon im Ausland. „Was nun mit transsexuellen und transgender Russen geschehen wird, ist völlig unklar“, sagt er. „Ich rate ihnen, wenn möglich zu gehen. Es ist offensichtlich, dass sich die Situation in Russland nur zum Schlechten wenden wird.“ Tatsächlich geht es inzwischen auch gegen transidente Menschen. Im Juli 2023 unterzeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, nach dem geschlechtsangleichende Eingriffe verboten werden. Zuvor hatte das russische Parlament geschlossen für dieses Gesetz gestimmt.

Noch 2017 demonstrierten Russen in Sankt Petersburg für sexuelle Freiheit, heute müssen sie fürchten, angegriffen zu werden.
Noch 2017 demonstrierten Russen in Sankt Petersburg für sexuelle Freiheit, heute müssen sie fürchten, angegriffen zu werden. © REUTERS | REUTERS / ANTON VAGANOV

Für Transmenschen gibt es weder Hormonbehandlungen noch operative Eingriffe. Geschlechtsangleichende Operationen sind ausschließlich bei Kindern mit „Störungen der Bildung der Geschlechtsorgane“ erlaubt. Wer konkret unter die Ausnahme fällt, entscheidet eine medizinische Kommission. Medizinisch versorgt werden sollen Transsexuelle allerdings weiterhin, erklärte Oleg Salagai, der stellvertretende russische Gesundheitsminister, nach der Verabschiedung des Gesetzes.

„Nach dem gewählten Modell werden Bürger, die an Transsexualität oder anderen psychischen Störungen leiden, nicht ohne medizinische Versorgung bleiben“, so der Politiker. Transsexualität, eine „psychische Störung“? Betroffene in Russland erleben tagtäglich Diskriminierung. „Zieh dich aus, dann schauen wir, wer du bist“, bekam die transsexuelle Kasachin Elis von einer Moskauer Polizistin zu hören. Das Onlineportal Mediazona berichtete über ihre Geschichte.

Homosexualität ist zwar nicht verboten, wird aber tabuisiert

Eigentlich wollte Elis nur ihren Geburtstag in einem Moskauer Club feiern. Als sie das Lokal kurz verließ, um eine Freundin zu verabschieden, verweigerte der Türsteher ihr die Rückkehr, sagte: „Das ist doch ein Typ im Rock!“ Es kam zum Streit. Die Polizei wurde gerufen. Die Geschichte von Elis ist kein Einzelfall. Übergriffe auf Transmenschen gibt es immer wieder. Im April 2013 verprügelte in Sankt Petersburg ein Taxifahrer die Bloggerin Eva Robinson. Robinson kam mit einer Gehirnprellung und einem Bruch des Schläfenbeins ins Krankenhaus. Gegen den Taxifahrer wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

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    Queeres Leben ist in Russland zwar nicht verboten, wird aber weitgehend tabuisiert. Und: Die russische Gesellschaft ist mehrheitlich homophob. Homosexualität galt in Russland bis 1993 als Verbrechen. 74 Prozent aller Russen glaubten noch 2011, Homosexualität sei eine Perversion, eine Geisteskrankheit. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts vom Oktober 2021 sind 69 Prozent der Bevölkerung gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen. Und diese Auffassung reicht weit hinein in die staatlichen Strukturen.

    Behörde: „Wir werden dich vorladen, bis du dich erinnerst!“

    Von Schikanen etwa durch die Polizeibehörden spricht die Menschenrechtsorganisation Sfera. In der Region Archangelsk in Nordrussland seien Vorladungen an Transmenschen gegangen. Die Behörden interessierten sich konkret für Bescheinigungen, die sie als Grundlage für die Änderung des Geschlechts im Pass erhalten hatten. Laut Mediazona wurde ein Einwohner von Archangelsk gefragt, wie viel die Bescheinigung gekostet habe und wer zur Beschaffung dieses Dokuments geraten habe. Heute, nach dem neuen Gesetz, sind derartige Änderungen des Geschlechts im Pass nicht mehr möglich.

    Und die Diskriminierung von Transmenschen durch Behörden in Russland geht weiter. Bei seiner Befragung in Archangelsk wurde laut Sfera ein junger Transgender-Mann gefragt, ob er auf LGBTQ+-Partys gegangen sei. Er antwortete, dass er sich nicht daran erinnern könne, woraufhin man ihm seiner Aussage zufolge eine weitere Vorladung mit den Worten ausstellte: „Wir werden dich vorladen, bis du dich erinnerst!“