Berlin. Für den Präsidenten markiert das TV-Duell den Tiefpunkt seiner Kampagne. Aufgeben wird er nicht – es sei denn, ein Szenario tritt ein.

Beim TV-Duell gegen Donald Trump hat Joe Biden keine gute Figur abgegeben. „Auf einer Panikskala von 0 bis 10 sind die Demokraten im Moment bei 48“, sagt der Politikstratege und Kommunikationsberater Julius van de Laar im Interview. Er verfolgt den US-Wahlkampf regelmäßig für diese Redaktion – und er sagt, wer jetzt tätig werden müsste, damit Biden seine Kandidatur aufgibt und jemand anderem den Vortritt lässt.

Herr van de Laar, muss Joe Biden nach diesem TV-Duell den Weg freimachen für einen anderen Präsidentschaftskandidaten?

Julius van de Laar: Er muss erstmal gar nichts. Doch im amerikanischen Wahlkampf gilt das Mantra: Wahrnehmung ist Realität. Und die Wahrnehmung von denjenigen, die am Donnerstag zugeschaut haben, ist durchweg, dass Joe Biden die schon relativ niedrig gehängten Erwartungen nochmal deutlich unterboten hat.

Was hat Sie an dem Auftritt am meisten schockiert?

Im März, bei der Rede zur Lage der Nation, ist Joe Biden durchaus energetisch aufgetreten. Damit hat er sehr viele Leute wirklich überrascht. Beim TV-Duell hat sich nun schon nach zehn Sekunden herausgestellt: Biden hat einen echt schlechten Abend erwischt. Klar ist, dass viele Leute auch deshalb eingeschaltet haben, um zu schauen, ob Biden noch fit genug ist für weitere vier Jahre. Und viele werden nach höchstens 15 Minuten ausgemacht haben: Es ist eindeutig, die Befürchtungen haben sich bestätigt. Bidens Kampagne hat hinterher verbreitet, der Präsident sei erkältet. Das kann man für einen politischen Spin halten. Aber: Er hat die vergangenen Tage nichts anderes gemacht als sich mit seiner Frau Jill und seinen Beratern auf diese Debatte vorzubereiten. War er in der Vorbereitung auch so schwach? Dann hätten sie ihn nicht auf diese Bühne geschickt. Womöglich hat er wirklich im Laufe des Tages Symptome entwickelt. Anders kann ich es mir nicht erklären.

Er hat nicht gehustet oder geniest…

Seine Stimme war schon angeschlagen, er hat sich immer wieder geräuspert. Aber wir werden es nicht beantworten können – es ist mir ein Rätsel.

Julius van de Laar analysiert den US-Wahlkampf.
Julius van de Laar analysiert den US-Wahlkampf. © iStock | van der Laar

Nun werden Stimmen laut, dass dies Konsequenzen haben müsse…

Führende Kommentatoren und manche Demokraten fordern, Biden solle sofort zurücktreten und den Weg für jemand anders freimachen. Gleichzeitig war erstaunlich, wer alles geschwiegen hat, gerade auch aus dem progressiven Lager. Da wurde nicht getwittert, nicht gepostet. Das ist auch ein Zeichen, dass die nachdenken – „Sollen wir seinen Rücktritt fordern?“

Es sind noch knapp sieben Wochen bis zum Nominierungsparteitag der Demokraten in Chicago. Ist das genug Zeit, um jemand anderen in Stellung zu bringen?

Es gibt in der Demokratischen Partei kein Gremium, das Biden die Nominierung entziehen könnte. Das bedeutet, er müsste aus freien Stücken von der Kandidatur absehen. Das wird nur passieren, wenn Jill Biden auf ihn einwirkt und ihm vermittelt, dass sie keine Perspektive mehr sieht. Vergessen wir nicht: Joe Biden ist ein stolzer Mann, der schon lange über sich selbst sagt, er sei der Einzige, der Trump jemals geschlagen hat – und der Einzige, der es noch einmal schaffen könnte. Er müsste erstmal davon überzeugt werden, dass diese Kandidatur vorbei ist.

Zur Person

Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.

Wie wird sich das Duell finanziell auf die Kampagnen auswirken?

Bei Donald Trump werden die Spenden nach oben schießen, 100, 150 Millionen, so viel wird er locker einnehmen in den nächsten Tagen. Bei Biden wird wahrscheinlich das Gegenteil passieren – die Quellen werden austrocknen. Die Spender könnten das auch als Druckmittel verwenden und ihm vermitteln: Wir wollen, dass du jetzt den Weg für jemand anderen freimachst.

Wie würde es dann weitergehen, sollte Biden sich dazu entschließen?

Der Nominierungsparteitag im August würde umgewandelt in eine sogenannte Open Convention. Aktuell hat Biden Delegierte, die er in den Vorwahlkämpfen eingesammelt hat. Die müssen – Stand jetzt – im ersten Wahlgang beim Parteitag für ihn stimmen. Bei der Open Convention dürfen sie frei abstimmen. Fraglich ist, ob Kamala Harris Ansprüche anmeldet. Sie liegt aber in den Umfragen sogar noch fünf Prozentpunkte hinter Joe Biden. Erst wenn Konsens darüber herrscht, dass man mit ihr nichts gewinnen kann, dürften sich Leute wie der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom, Pete Buttigieg und andere aus der Deckung trauen.

Gavin Newsom dürfte nicht selbst vortreten und Biden zum Rückzug auffordern.
Gavin Newsom dürfte nicht selbst vortreten und Biden zum Rückzug auffordern. © picture alliance / abaca | TNS/ABACA

Das Ganze ist historisch ziemlich einmalig…

Es gibt einen Präzedenzfall: 1968 zog Präsident Lyndon B. Johnson seine zweite Kandidatur kurzfristig unter anderem wegen der Proteste gegen den Vietnam-Krieg zurück. Hubert Humphry wurde auf der Open Convention im August – ebenfalls in Chicago – zum Kandidaten der Demokraten gekürt, verlor aber letztlich gegen Richard Nixon. Übrigens eine spannende Parallele: Damals war es Vietnam, heute ist der Krieg in Gaza mit ein Grund für die Spaltung der Demokraten.   

Wer wäre jetzt der aussichtsreichste Kandidat?

Von der Reichweite und der Fundraising-Fähigkeit denke ich an Gavin Newsom. Aus einer elektoralen Perspektive wäre es eher Gretchen Whitmer oder Josh Shapiro, die beide Gouverneure eines Swing States sind – nämlich Michigan und Pennsylvania.

Wie kann Biden angesichts dieser Debatten sein Gesicht wahren?

Joe Biden wird in der Partei geliebt. Er hat so eine herbe Niederlage einstecken müssen, dass einige Leute da auch Trauer verspüren. Würde sich ein Gavin Newsom jetzt hinstellen und öffentlich erklären, Joe, es reicht, du musst zurücktreten, dann bekäme er dafür reichlich Gegenwind. Wäre ich Newsoms Stratege, würde ich jemanden finden, der an Newsoms Stelle diese Forderung erhebt. Auf diese Weise könnte Newsom aus der zweiten Reihe hervortreten und mit Biden einen Deal schließen. Der Tenor wäre: Newsom hat Biden immer unterstützt. Nun ist es an der Zeit, das Beste für das Land zu tun.

John King hat bei CNN von Panik unter den Demokraten gesprochen. Würden Sie das unterschreiben?

Auf einer Panikskala von 0 bis 10 sind die Demokraten im Moment bei 48. Gleichzeitig sehen sie alle, wie höhnisch Trump mit Joe Biden umgeht. Auf Instagram hat er gepostet: „Trump tötet Senior auf Podiumsbühne live im Fernsehen“. Das ist unfair. Biden hat 50 Jahre Politik gemacht, weitgehend gute Politik, und er ist moralisch integer. Ich habe 2008 und 2012 für ihn gearbeitet, als er Vize-Präsident unter Obama war. Diese Häme, die ihm jetzt begegnet, tut mir schon weh – aber auch diesen alten, gebrechlichen Mann zu sehen, der gern reagieren möchte und nicht kann. Es ist genauso, als würde man sich über eine ältere Dame lustig machen, die länger braucht, um über den Zebrastreifen zu kommen.