Der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Mossul über die Lage der Menschen im Nordirak

Hamburg. Mossul, die mit 2,8 Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt des Irak, war einst ein multireligiöses Zentrum. Doch der Terror der IS-Miliz hat die Andersgläubigen aus der Metropole im Norden des Landes vertrieben. An diesem Montag ist der Erzbischof der syrisch-orthodoxen Kirche von Mossul, Mor Nikodemus Daoud Matti Sharaf, zu Besuch in Hamburg. Bei einer öffentlichen Veranstaltung in der Katholischen Akademie (Herrengraben 4, 19 Uhr) berichtet er mit einem Vertreter der Jesiden über die Situation in der Krisenregion. Im Abendblatt-Interview fordert er ein Eingreifen der Weltgemeinschaft.

Hamburger Abendblatt:

Exzellenz, bislang waren Sie in Mossul zu Hause. Wo leben Sie jetzt?

Erzbischof Mor Nikodemus Daoud Matti Sharaf:

Ich lebe zurzeit in Ankawa-Arbil. Ankawa ist das zweite Zentrum nach Mossul für meine Diözese, die Mossul, Kirkuk und die Region Kurdistan umfasst.

In Ihrer Heimat gab es, bis die Kämpfer des Islamischen Staates anrückten, rund 35.000 Christen. Wie viele sind es jetzt noch?

Meines Wissens gibt es keinen Christen mehr, der in Mossul lebt. Die Stadt ist im Moment völlig frei von Christen.

Wie haben Sie selbst die vergangenen Monate erlebt?

Es waren die härtesten Monate meines Lebens, in denen ich mich gedemütigt und beleidigt fühlte, nachdem ich aus meiner Kirche und Diözese vertrieben wurde. Es wurde das Gebet beendet, das es dort seit 1800 Jahren kontinuierlich gab – also seit der Einführung des Christentums in Mossul. Selbst in der Zeit von Hulagu und den Tataren und während der härtesten Kriege, die der Irak und Mossul überstanden haben, wurde das Gebet in der Kirche niemals beendet. Aber jetzt fühlen wir Trauer und Demütigung. Vor allem, wenn wir sehen, dass die Menschen aus den christlichen Gemeinden auf der Straße schlafen müssen und schlimmste Verletzungen ihrer Menschenwürde durchleben.

Welche ethnischen und religiösen Gruppen außer den Christen werden verfolgt?

Sharaf:

Nicht nur die Jesiden, sondern auch jeder Muslim, der nicht sunnitisch-arabisch ist, wird in Mossul verfolgt.

Was sagen Sie zu Berichten über Kreuzigungen und andere Grausamkeiten?

In Wahrheit kann kein Mensch, der irgendeine menschliche Eigenschaft besitzt, die Gewalt, Grausamkeit und Brutalität, mit der die Terroristen mit anderen umgehen, beschreiben.

Und was ist mit den Kirchen?

Sie sind verwüstet, entweiht und in Moscheen umgewandelt.

Was kann die Völkergemeinschaft jetzt tun?

Die internationale Gemeinschaft befindet sich seit über zehn Jahren im Tiefschlaf und ist völlig apathisch gegenüber dem, was im Irak und im Nahen Osten geschieht. Jeden Tag schaut sie zu, wie am helllichten Tag unsere Rechte verletzt werden.

Welche Erwartungen knüpfen Sie an Ihren Besuch in Deutschland und in Hamburg?

Wir hoffen ein klares und wahres Bild von den Leiden des christlichen Volkes zu liefern, die es unter diesen grausamen Umständen im Irak und insbesondere in Mossul durchmacht. Um das internationale Bewusstsein zu wecken und zu retten, was von der ältesten Kultur der Welt noch zu retten ist.

Wie können die IS-Kämpfer gestoppt werden?

Ich denke, dass nur diejenigen, die zu der Entstehung dieses Gedankenguts beigetragen haben und die es – mit Gewalt oder mit Geld – unterstützen, diese blutrünstige Organisation, die ganze Völker vernichtet, stoppen können.