Berlin. Gemeinsame Reisen schaffen Erinnerungen – aber nicht immer nur gute. Eine Expertin verrät, warum Urlaube viel Streitpotenzial bergen.

Der Urlaub dient der Erholung – so steht es im Bundesurlaubsgesetz. Doch für viele Paare ist die vermeintliche Auszeit eher eine Belastungsprobe. Nicht selten kehren sie als Ex-Partner oder Ex-Partnerin aus dem Urlaub zurück. Statistisch gesehen folgt auf die klassische Urlaubssaison eine Trennungssaison. Eine Paartherapeutin verrät, warum Beziehungen gerade nach dem Urlaub oft in die Brüche gehen.

Wie viele Paare trennen sich nach dem Urlaub?

Hintergrund: Laut einer repräsentativen Studie der Partnervermittlungsplattform „ElitePartner“ unter 3.000 Befragten gaben 25 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen in Deutschland an, sich schon einmal während oder unmittelbar nach dem Urlaub von einem Partner getrennt zu haben.

Das Phänomen der Urlaubstrennung geht aber auch über die westlichen Kulturen hinaus. Die Japaner haben dafür sogar ein eigenes Wort geschaffen: „Narita-Scheidung“, benannt nach dem internationalen Flughafen vor den Toren Tokios. Gemeint sind hier im Speziellen Paare, die nach der ersten gemeinsamen Reise gleich nach der Landung in Narita den Scheidungsanwalt aufsuchen.

Die Psychologin und Paartherapeutin Aneta Morbacherova aus Berlin glaubt zwar nicht unbedingt, dass sich Paare während oder nach einem Urlaub häufiger trennen. Dennoch hält sie den ersten gemeinsamen Urlaub für wichtig: „Es lohnt sich, die erste gemeinsame Reise vor ernsthafteren Verpflichtungen wie Zusammenziehen, Heiraten oder anderen ernsthaften Unternehmungen zu machen.“ Denn die Auszeit könne den Paaren ein Gefühl dafür geben, wie das gemeinsame Leben aussehen könnte.

Frisch Verliebte würden sich während ihres ersten Paarurlaubs besser kennenlernen. „Die Paare verbringen mehr Zeit miteinander und lernen dadurch oft neue Seiten an ihrem Partner oder ihrer Partnerin kennen, die vorher unentdeckt waren.“ Manche Paare fänden so zueinander, andere stellten fest, dass sie sich wenig oder gar nichts zu sagen hätten. 

Beziehung und Urlaub: Streit beginnt bei den Reisevorbereitungen

Oft fängt der Ärger schon beim Kofferpacken an. Vor allem, wenn es nur einen Koffer für zwei Personen gibt. Denn dann stellt sich die Frage: Was darf in den Koffer? Wie muss der Koffer gepackt werden? „In diesem Moment treffen unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander. Jeder Partner hat seine eigenen Vorstellungen, was in den Koffer gehört, wie früh das Packen beginnen soll und ob nach Gefühl oder nach Plan gepackt wird“, sagt Paartherapeutin Morbacherova.

Statt sich über den Koffer oder Oberflächlichkeiten zu ärgern, rät Morbacherova Paaren, über das „zugrundeliegende Problem“ zu sprechen: die eigenen Grundbedürfnisse. „Wenn dem einen Partner Planung und Sicherheit wichtig sind, lohnt es sich vielleicht, ein paar Tage vor der Abreise zu packen.“ Dem Partner, dem Spontanität und Unabhängigkeit wichtig sind, sollte wiederum genügend Zeit und Freiraum für eigene Entscheidungen gelassen werden. Im Idealfall sollten Paare auch kompromissbereit sein, um einen Mittelweg zwischen beiden Ansprüchen zu finden.

Warum streiten sich viele Paare ausgerechnet im Urlaub?

Ein weiterer Grund für Streit im Urlaub sind die unterschiedlichen Erwartungen, mit denen Paare in den Urlaub gehen. Das zeigt eine Umfrage des Wiener Sozial- und Motivforschungsunternehmens Humaninstitut unter 750 Befragten. 46 Prozent der Befragten haben sich demnach den Urlaub anders vorgestellt, die ausgemalten Erwartungen wurden im Urlaub nicht erfüllt. Kein Wunder: Oft scheint es so, als solle in wenigen Ferientagen alles erlebt und nachgeholt werden, was sonst zu kurz kommt. Sei es ein romantisches Abendessen, für das im Berufsalltag keine Zeit bleibt, oder ein Drink auf der Terrasse, auf den sonst der Gesundheit zuliebe verzichtet wird. „Werden die unterschiedlichen Erwartungen nicht erfüllt, macht sich schnell Enttäuschung breit“, sagt die Paartherapeutin.

Ein weiterer Knackpunkt laut der Expertin: Urlaub bedeute für die meisten Paare auch mehr freie Zeit und damit mehr Gelegenheit für unangenehme Gespräche. „Es gibt keinen Alltag, keine Arbeit, keine Verpflichtungen, keine Rituale, die den Tag strukturieren und von Unannehmlichkeiten ablenken“, sagt Morbacherova und fügt hinzu: „Gerade bei Paaren, die sonst beruflich oder privat stark eingespannt sind, kommen so unangenehme Themen auf den Tisch, die im Trubel des Alltags leicht ignoriert werden können.“

Denkfehler ist Schuld, dass Urlaub zu Beziehungsaus führt

Viele Paare würden im Urlaub vergessen, dass die Vergangenheit mit im Gepäck ist, gibt Paartherapeutin Morbacherova zu Bedenken. Sie führen in der Annahme in die Ferien, dass der gemeinsame Urlaub die kriselnde Beziehung wieder ins Lot bringe. „Im Alltag stehen diese Paare vielleicht unter Strom und haben keine Zeit, über ihre eigentlichen Beziehungsprobleme zu sprechen“, sagt sie. „Dann glauben sie, im stressfreien Urlaub endlich Zeit dafür zu haben.“

Das sei allerdings ein Trugschluss: Anfangs könne es zwar so aussehen, als würde sich alles zum Guten wenden. Doch schon nach den ersten Tagen der wiederentdeckten Endorphine werde man von der Realität eingeholt, so die Paartherapeutin. Schließlich werde man im Urlaub kein neuer Mensch. Und die verdrängten Probleme lösten sich in der Kürze des Urlaubs nicht in Luft auf.

Auch im Urlaub ist es erlaubt, Zeit für sich zu haben.
Auch im Urlaub ist es erlaubt, Zeit für sich zu haben. © iStock | AntonioGuillem

Trennung vor oder nach dem Urlaub?

Angesichts des Streitpotenzials von Urlauben ist es nicht verwunderlich, dass viele Trennungen offenbar direkt nach dem Urlaub stattfinden. Auch eine repräsentative Studie der Reiseplattform Vacationrenter bestätigt den Eindruck des Konfliktpotentials: Von den 1.000 Befragten, die mit einem romantischen Partner oder einer romantischen Partnerin verreist waren, hatten 17 Prozent die Reise wegen eines Streits mit dem Partner oder der Partnerin vorzeitig abgebrochen. Fast jedes fünfte Paar (18 Prozent) gab an, sich wegen der Reise getrennt zu haben.

Andere Paare trennen sich schon vor dem Urlaub: Das Magazin „Vice“ berichtet von einem Trend, der vor allem auf Tiktok zu beobachten sei, dem so genannten Break-up-Urlaub. Bei diesem Trennungsurlaub verabschieden sich Paare mit einer gemeinsamen Reise von ihrer Beziehung. Statt sich wieder zu streiten, wird in dieser Zeit nicht mehr gestritten. Stattdessen besinnt man sich auf eine einvernehmliche Trennung und begeht diese Phase in gegenseitiger Zuneigung.

Morbacherova ist der Meinung, dass die Entscheidung über eine Trennung bei den Paaren selbst liegen sollte. Wenn Paare aber schon vor dem Urlaub Trennungsgedanken hegen, sollten sie sich fragen, was sie davon abhält, vor dem gemeinsamen Urlaub einen Schlussstrich zu ziehen. Hilfreich kann die Frage sein: „Was erwarte ich mir von diesem Urlaub?“

Expertin gibt Tipps für einen streitfreien Urlaub

Aber auch ohne Trennungsgedanken bleiben Konflikte im Urlaub oft nicht aus. Damit es gar nicht erst zum Streit kommt, sollten Paare realistisch bleiben: Ob das bedeutet, einen Frühstücksspaziergang alleine zu machen oder einen Tag am Meer zu verbringen, statt mit dem Partner eine actionreiche Dschungeltour zu unternehmen – „auch im gemeinsamen Urlaub sollten getrennte Aktivitäten erlaubt sein“, so Morbacherova.

Außerdem, so die Paartherapeutin, sollte man vor dem Urlaub über die eigenen Vorstellungen und Wünsche für die Reise sprechen. Dabei seien Geschick und Ehrlichkeit wichtig: „Was dir wichtig ist, machen wir. Und vergiss bitte nicht meine Wünsche. Beiden Bedürfnissen müsse Raum gegeben werden“, sagt Morbacherova und fasst zusammen: „Paare, die ihre gegenseitigen Erwartungen berücksichtigen, Meinungsverschiedenheiten mit gemeinsamen Lösungen überwinden und die Auszeit nutzen, um die Zweisamkeit zu genießen, können auch an der gemeinsamen Reise wachsen.“