Buchholz. Frauenhaus in Buchholz am Limit: Einrichtung kann nur jede zehnte Hilfesuchende aufnehmen. Aktueller Report offenbart dramatische Lage.

  • 166 Anfragen musste das Frauenhaus im Landkreis Harburg 2003 ablehnen
  • Grund war Platzmangel und fehlende Wohnungen, in die Frauen ziehen können
  • Gewalttätige Partner schlagen, kontrollieren und bedrohen ihre Opfer

Alle Frauen, die in ihrer Not Hilfe im Frauenhaus suchen, haben häusliche Gewalt erfahren, einige sind traumatisiert und viele haben nur das Allernötigste bei sich. Doch allzu oft, wenn Frauen mit ihren Kindern vor einem gewalttätigen Partner fliehen und dringend Unterstützung benötigen, ist für sie kein Platz mehr in der Einrichtung frei.

166 Anfragen musste das Frauenhaus im Landkreis Harburg im vergangenen Jahr ablehnen, weil alle acht Zimmer belegt waren. Rund 96 Prozent betrug die Auslastung, die Situation hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr noch einmal verschärft. Die Zahlen stammen aus dem Jahresbericht des Frauenhauses, der kürzlich im Gesundheits- und Sozialausschuss des Landkreises vorgestellt wird.

200 Frauen suchen Hilfe – Einrichtung in Buchholz muss 166 von ihnen ablehnen

Die Arbeiterwohnfahrt (Awo), deren Kreisverband Harburg-Land die Einrichtung in Buchholz betreibt, setzt sich dafür ein, dass weitere Plätze geschaffen werden. Der Empfehlung des Europarats nach der Istanbul Konvention zufolge sollte im Hilfenetz ein Frauenhausplatz pro 10.000 Einwohner bestehen. Um die 25 Plätze, die sich daraus für den Landkreis Harburg ergeben, zu erreichen, müssten 17 zusätzliche Plätze geschaffen werden.

Im vergangenen Jahr konnte von den vielen Frauen, die sich direkt telefonisch meldeten, leider nur eine Frau aufgenommen werden.
Aus dem Jahresbericht 2023

Ein wichtiger Grund für die hohen Belegungszahlen ist die Tatsache, dass die Bewohnerinnen immer länger im Frauenhaus bleiben – es werden also seltener Zimmer frei. Dies liegt vor allem am angespannten Wohnungsmarkt, auf dem kaum Wohnungen für die Frauenhausbewohner zu finden sind. Viele von ihnen sind auf staatliche Leistungen angewiesen, oft haben sie kein eigenes Einkommen oder der gewalttätige Partner kontrolliert den Zugang zum Bankkonto.

Viele Frauen bleiben dreimal so lange wie noch vor zwei Jahren

Rund die Hälfte der Frauen, die 2023 dort zeitweise wohnten, verbrachte mehr als sechs Monate in der Einrichtung. Auch im Durchschnitt blieben die Bewohnerinnen fast ein halbes Jahr, genauer: 176 Tage. Die Verweildauer hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, 2021 betrug sie noch 69 Tage, also nur rund zwei Monate.

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Insgesamt hat das Frauenhaus im vergangenen Jahr 16 Frauen aufgenommen, davon hatten die meisten einen Migrationshintergrund, auch acht geflüchtete Frauen fanden hier Schutz. 184 Hilfesuchende mussten dagegen abgewiesen, in 166 Fällen geschah dies aus Platzmangel. Für die restlichen Frauen war beispielsweise das Sicherheitsrisiko in der Region zu hoch, in diesen Fällen werden sie an andere Häuser weitergeleitet.

Frauen erleben physische, psychische und sexualisierte Gewalt

Viele Anfragen erreichen die Einrichtung über andere Frauenhäuser oder die Polizei. Doch auch Frauen, die den Mut fassten und selbst anriefen, mussten abgewiesen werden. „Im vergangenen Jahr konnte von den vielen Frauen, die sich direkt telefonisch meldeten, leider nur eine Frau aufgenommen werden“, heißt es in dem Bericht.

Die aufgenommenen Frauen erhalten mit ihren Kindern jeweils ein eigenes Zimmer, die Gemeinschaftsräume teilen sich die Bewohnerinnen. Vier Mitarbeiterinnen kümmern sich mithilfe eines breiten Netzwerkes um Beratung, Unterstützung im Alltag und Behördengänge. Jede der Frauen hat zu Hause Gewalt erlebt, oft in verschiedenen Formen. Der Bericht nennt physische, psychische, soziale, ökonomische und sexualisierte Gewalt.

Täter schlagen, demütigen und kontrollieren ihre Opfer

Die Frauen wurden geschlagen, erniedrigt und überwacht. Die Täter – zumeist die Ehemänner oder Partner, aber auch Familienangehörige – kontrollierten ihre sozialen Kontakte oder sperrten sie in der Wohnung ein. Acht der Frauen hatten kein eigenes Konto, sodass der Täter sie auch finanziell kontrollieren konnte. Etwa die Hälfte der aufgenommenen Frauen berichtete von sexualisierter Gewalt, die Awo geht jedoch von einer hohen Dunkelziffer in diesem Bereich aus.

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Auch digitale Gewalt wird in dem Bericht genannt, so überwachten die Täter heimlich die Kommunikation der Frauen in sozialen Netzwerken. „In einem Fall gab es eine digitale Überwachung, die dem Täter signalisierte, wenn die Frau die gemeinsame Wohnung verließ.“

Auch die Kinder der Frauen leiden unter der Gewalt

Viele Frauen, die Schutz suchen, haben Kinder dabei. 2023 wurden 26 Jungen und Mädchen mit aufgenommen. Auch sie sind immer betroffen von der Gewalt in den Familien, betonen die Mitarbeiterinnen der Einrichtung in ihrem Bericht: „Kinder, die in einer Situation von häuslicher Gewalt aufwachsen, sind nicht nur Zeugen oder Zeuginnen der von ihrer Mutter erlebten Gewalt, sondern immer genauso Gewaltopfer wie ihre Mütter.“

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Damit in Zukunft mehr Frauen geholfen werden kann, der Spirale der häuslichen Gewalt zu entkommen, sind dem Bericht zufolge nicht nur zusätzliche Plätze im Frauenhaus notwendig. Es müssten auch Möglichkeiten entstehen, Frauen mit besonderen Bedürfnissen, zum Beispiel Behinderungen, aufnehmen zu können. Ebenso sei es wichtig, kurzfristig Lösungen für Notsituationen zu schaffen, zum Beispiel in Form von Schutzwohnungen oder Hotelplätzen.

SPD-Frauen im Landkreis Harburg kritisieren Unterversorgung

Das bisherige Angebot nur eines Frauenhauses für den Landkreis mit dem Minimalstandard von acht Frauen- und 16 Kinder-Plätzen entspreche weder dem Bedarf noch den einschlägigen Vorgaben, heißt es aus dem Sozialausschuss des Landkreises. Deshalb sei jetzt eine Initiative auf den Weg gebracht worden, berichtet Birgit Eckhoff, Vorsitzende der SPD-Frauen im Landkreis Harburg.

„Die vorübergehende Anschluss-Unterbringung soll damit verbessert werden, um die Verweildauer im Frauenhaus zu verkürzen“, so Eckhoff. Dies sei jedoch noch erheblich zu kurz gedacht, da eine zeitweise Unterbringung im Frauenhaus nicht nachhaltig verbessert werde. Auch fehlten weiterhin Wohnungen, in die die Frauen danach einziehen können.

Im Landkreis Harburg fehlen weitere Plätze im Frauenhaus und freie Wohnungen

Nach dem Auszug aus dem Frauenhaus müssen sich die Frauen und ihre Kinder wieder eine Lebensperspektive aufbauen können. Dafür brauchen sie eine eigene Wohnung, betont das Frauenhausteam. Hier müssten alle Maßnahmen auf kommunaler Ebene ergriffen werden, um mehr Wohnraum zu schaffen.

Sind Sie selbst oder eine Ihnen vertraute Person von häuslicher Gewalt betroffen? Hier können Sie anonym Kontakt aufnehmen: Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016, Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530