Henstedt-Ulzburg. Regionalliga-Club tritt am Sonntag vor Mega-Kulisse an – wie Trainer Christian Jürss die Chancen seines Teams einschätzt.

Wenn irgendjemand die Kunst beherrscht, aus wenig viel zu machen, dann ist es Christian Jürss. Der 37 Jahre alte Trainer feiert trotz konstant schwieriger Rahmenbedingungen mit den Fußballfrauen des SV Henstedt-Ulzburg immer wieder großartige Erfolge. Sein jüngster Coup: der Gewinn der Staffelmeisterschaft in der Regionalliga Nord mit acht Punkten Vorsprung auf Hannover 96 und die damit verbundene Qualifikation für die Aufstiegsrelegation zur 2. Bundesliga.

Dort werden in zwei Begegnungen zwei völlig verschiedene Welten aufeinanderprallen. Hier der SVHU, ein Amateurclub reinsten Wassers, in dem die Spielerinnen nichts verdienen, ihre Trikots, Hosen und Stutzen noch mit nach Hause nehmen und in die heimische Waschmaschine packen, bei Auswärtsfahrten zum Caterer werden, Salate, Frikadellen und andere Snacks als Verpflegung für die ganze Truppe mitbringen.

SV Henstedt-Ulzburg: Amateurtruppe ist gegen Profiteam krasser Außenseiter

Christian Jürss (37) trainiert den SVHU seit dem 1. Juli 2019 – und feiert mit seiner Mannschaft trotz konstant schwieriger Rahmenbedingungen immer wieder großartige Erfolge.
Christian Jürss (37) trainiert den SVHU seit dem 1. Juli 2019 – und feiert mit seiner Mannschaft trotz konstant schwieriger Rahmenbedingungen immer wieder großartige Erfolge. © Thomas Maibom | Thomas Maibom

Dort der 1. FC Union Berlin, der seine Mannschaft mitten in der Saison 2023/2024 zum Profiteam erklärt und den ebenfalls ambitionierten 1. FC Viktoria Berlin im Meisterschaftsrennen der Regionalliga Nordost mit 145:5 Toren um stolze neun Zähler distanziert hat. Christian Jürss: „Bei Union kümmern sich neun Hauptverantwortliche um die Belange ihres Teams, wir haben keinen einzigen. Als wir gefragt wurden, wo wir vor der Partie unseren Materialwagen abstellen wollen, musste ich erst einmal erklären, dass bei uns die Spielerinnen ihre Sporttaschen noch selber tragen.“

Sportlich sind die Rollen vor dem ersten Vergleich am Sonntag um 14 Uhr demzufolge eindeutig verteilt. „Das wird ein Duell David gegen Goliath, wir sind klarer Außenseiter“, sagt Jürss. Zumal seine Truppe ersatzgeschwächt antreten muss. Top-Torjägerin Indra Hahn und Außenverteidigerin Luisa Kern, die in der abgelaufenen Punktrunde der Shooting-Star beim SVHU war, fallen jeweils mit Kreuzbandrissen aus. „Diese beiden Verletzungen“, so der SVHU-Coach, „tun uns maximal weh.“ Ein wenig Glück im Unglück: Im Winter hatten die Henstedt-Ulzburgerinnen vom Rückzug des TSV Siems aus der Oberliga Schleswig-Holstein profitiert und Stürmerin Sophie Hagedorn verpflichtet.

Bitter: Angreiferin Indra Hahn (l.) hat sich im Mai einen Kreuzbandriss zugezogen und wird in den beiden Aufstiegsspielen gegen den 1. FC Union Berlin fehlen.
Bitter: Angreiferin Indra Hahn (l.) hat sich im Mai einen Kreuzbandriss zugezogen und wird in den beiden Aufstiegsspielen gegen den 1. FC Union Berlin fehlen. © Nils Göttsche | Nils Göttsche

15.000 Fans werden im Stadion An der Alten Försterei erwartet

Abzuwarten bleibt, wie der SV Henstedt-Ulzburg mit der Atmosphäre im berühmt-berüchtigten Stadion an der Alten Försterei klarkommt. Der Heimverein hat kräftig die Werbetrommel gerührt, rechnet mit 15.000 Besucherinnen und Besuchern – die Gäste aus dem Kreis Segeberg erwartet also ein Hexenkessel. „Das ist für uns alle das Spiel unseres Lebens“, sagt Christian Jürss, „wir sind noch nie vor einer solchen Mega-Kulisse aufgelaufen – und werden das voraussichtlich auch nie wieder tun.“

Klar ist aber auch: Der Trip in die Bundeshauptstadt ist keine Butterfahrt, der SVHU will sich eine möglichst gute Ausgangsposition für das Rückspiel am Sonntag, 16. Juni, im heimischen Beckersbergstadion verschaffen. Jürss: „Wir haben als Underdog keine Angst und keinen Druck, wollen möglichst lange ein 0:0 halten, die Berlinerinnen verunsichern.“ Möglicherweise ein gutes Omen: Mit nur 24 Gegentoren in 22 Partien haben die Henstedt-Ulzburgerinnen in der Serie 2023/2024 die beste Abwehr in der Regionalliga Nord gestellt.

Seit dem Winter in Henstedt-Ulzburg dabei: Sophie Hagedorn (r.), die zuvor für den TSV Siems stürmte.
Seit dem Winter in Henstedt-Ulzburg dabei: Sophie Hagedorn (r.), die zuvor für den TSV Siems stürmte. © Nils Göttsche | Nils Göttsche

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So ganz reibungslos verlief die Saison trotzdem nicht. Im Landespokal-Endspiel patzte der SVHU, diesmal als Favorit, in Büdelsdorf gegen den Oberliga-Club Kieler MTV und musste sich im Elfmeterschießen überraschend mit 5:6 geschlagen geben. „Über diese Niederlage werden wir uns noch lange ärgern“, sagt Christian Jürss. Ein kleiner Trost für den Übungsleiter und seine Crew: Als Meister der Regionalliga Nord darf der SV Henstedt-Ulzburg in der Saison 2024/2025 trotzdem im DFB-Pokalwettbewerb starten.