Heute Mit Dieter Hildebrandt. Der Kabarettist beobachtet Kommentatoren mit Sorge und vermißt Humor.

ABENDBLATT: Was macht eigentlich der legendäre FC Schmiere?

DIETER HILDEBRANDT: Ehrlich gesagt, weiß ich nur, daß er noch existiert. Aktiv bin ich nicht mehr, bleibe aber auf ewig und gemeinsam mit Sammy Drechsel Gründungsvater des Klubs. Sammy leitete damals die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, wo ich als Ensemble-Mitglied spielte. Und wir waren beide leidenschaftliche Fußballer.

ABENDBLATT: Der FC Schmiere ist ja sogar ein eingetragener Verein. Mußte das sein?

HILDEBRANDT: Ja, es mußte sein, weil wir sonst keine echten Wettkämpfe hätten durchführen können. Wir übten und trafen uns zum Daddeln, wie man es damals nannte, konnten dabei aber keine ordentliche Spielpraxis erwerben. Deshalb traten wir als Freizeitfußballer dem Bayerischen Fußballverband bei. Sammy war die treibende Kraft.

ABENDBLATT: War das eine reine Schauspieler- und Kleinkunsttruppe, wie es der Name suggeriert?

HILDEBRANDT: Nein, keineswegs. Wir liefen jedesmal in anderer Besetzung auf den Platz. Klar kickten bei uns auch Leinwandstars wie Maximilian Schell oder der Wimbledonfinalist Wilhelm Bungert oder auch der spätere Bundeskanzler Schröder, und das Tor hütete meist mein langjähriger Bühnenpartner Werner Schneyder. Aber Sammy wollte ja nicht nur spielen, sondern auch gewinnen. Folglich holte er zur Verstärkung ausgediente Oberligaspieler heran, und die kamen gern. Sogar einige aus der WM-Elf von 1954 hat Sammy gelockt. Und er soll sie sogar mit Geld geschmiert haben, was er mir aber schamhaft verschwieg, weil ich sonst sicherlich ebenfalls eine Prämie eingefordert hätte.

ABENDBLATT: Nennen Sie Mal ein paar Namen!

HILDEBRANDT: Einmal kam fast die ganze WM-Mannschaft. Konkret erinnere ich Turek, Posipal, Liebrich, Eckel und im Sturm Schäfer, Morlock, Drechsel als Mittelstürmer, Fritz Walter und ich auf Rechtsaußen als Boss-Rahn-Ersatz. Also praktisch die Wunderelf von Bern geschwächt durch zwei Statisten. Übrigens, für alle, die es nicht wissen: Sammy Drechsel hat auch mal ein Jugend-Fußball-Buch verfaßt, das in den 50er Jahren durchaus Kultstatus besaß. Es hieß "Elf Freunde müßt ihr sein", 2002 habe ich sogar eine Hörbuchfassung davon eingesprochen.

ABENDBLATT: Sie selbst haben 1979 ein Buch über die Bundesliga verfaßt, mit dem Titel: Die verkaufte Haut. Das gibt's aber nicht mehr im Handel, oder?

HILDEBRANDT: Nein, das war ein Vollflop. Ich glaube, von dem Titel sind damals dürftige 800 Exemplare verkauft worden. Dabei war es gar nicht schlecht. Aber Fußball und Satire passen irgendwie nicht zusammen.

ABENDBLATT: Gab es für Sie persönlich unvergeßliche Partien mit dem FC Schmiere?

HILDEBRANDT: Sicher, beispielsweise das Spiel gegen ein großes Bayerisches Bankinstitut. Der schon etwas bejahrte und mit einiger Leibesfülle ausgestattete Chef mimte den Strategen im Mittelfeld, und man merkte den Angestellten an, daß sie untertänigst bemüht waren, ihn mit Bällen zu füttern. Einmal ging einer seiner Dienstboten steil und schrie mehrmals: Bitte, Herr Direktor, hierher, Herr Direktor! Als der endlich begriff und den gewünschten Paß spielte, rief der steil Gehende tatsächlich während der Ballannahme: Danke, Herr Direktor!

ABENDBLATT: Wie waren Sie denn so als Rechtsaußen? Ein Flankengott? Ein trickreicher Dribbler?

HILDEBRANDT: Durchaus ein bißchen tricky, aber nicht wirklich reich. Nein, meine Stärken waren die Schnelligkeit, eine gewisse Wendigkeit, und ich wußte auch, wo das Tor steht. Für den FC Schmiere habe ich immerhin 32 Treffer erzielt.

ABENDBLATT: Beschreiben Sie bitte Ihr Verhältnis zum Fußball.

HILDEBRANDT: Es ist etwas abgekühlt, aber bestimmte Reflexe funktionieren noch. Wenn ein Ton an mein Ohr dringt, der nach einem Spannschuß klingt, muß ich wissen, woher das Geräusch stammt. Wenn ich durch das Abteilfenster im Zug ein Fußballspiel nahe den Gleisen entdecke, würde ich den Zugführer am liebsten animieren, ein paar Minuten anzuhalten. Also, ein gewisses Maß an Fußballverrücktheit kann ich nicht leugnen. So fanatisch wie Wolfgang Neuss war, bin ich aber nicht. Der sagte ja sogar Vorstellungen ab, wenn zeitgleich ein Match lief, bei dem er mitspielen durfte.

ABENDBLATT: Können Sie Analogien zwischen Politik und Fußball erkennen?

HILDEBRANDT: Ich stelle mit Amüsement fest, daß Politiker aller Parteien sich beim Volk anzubiedern suchen, indem sie Formulierungen aus der Fußballsprache in ihre Texte übertragen, was allerdings meist mißlingt. Außerdem lassen sich Politiker gern in Fußballstadien ablichten, weil sie meinen, auf diese Weise beim Volk punkten zu können. Werden sie jedoch vom Stadionsprecher über die Lautsprecheranlage begrüßt, ernten sie mit schöner Regelmäßigkeit und Konsequenz ein gellendes Pfeifkonzert. Die Menschen spüren: Hinter diesem Verhalten steckt eine Portion Charakterlosigkeit.

ABENDBLATT: Welchen deutschen Fußballern gilt Ihre Hochachtung?

HILDEBRANDT: Zuallererst Fritz Walter, auch wenn man in seiner Gegenwart keine Scherze über Sepp Herberger machen durfte. Das konnte er partout nicht leiden.

ABENDBLATT: Treiben Sie selbst noch aktiv Sport?

HILDEBRANDT: Es hat durch meine schwere Krankheit, die zum Glück überwunden ist, stark nachgelassen. Aber ich plane, demnächst mal wieder auf den Tennisplatz zu gehen.

ABENDBLATT: Und was ist mit dem vielleicht doch etwas altersgerechteren Golfspiel?

HILDEBRANDT: Ich habe mir sagen lassen, Golfen kann drogenähnliche Züge annehmen, und vor Drogen habe ich Angst. Außerdem habe ich festgestellt: Wer Golf spielt, der spricht dauernd darüber. Das möchte ich nicht.

ABENDBLATT: Sammy Drechsel war von Beruf Sportreporter, und auch Werner Schneyder hatte als Moderator des Aktuellen Sportstudios sowie als Boxkommentator solche Bezüge. Wären Sie gern Sportjournalist geworden?

HILDEBRANDT: Ja, natürlich. Fußballreporter zu sein, war immer ein Traum von mir. Nur hätte ich es wohl in einer zu despektierlichen Weise getan und wäre wohl bald rausgeflogen, wenn ich der Sache eine Prise Witz oder gar Bösartigkeit beigemengt hätte. Da verstehen weder die Fußballer noch die Funkhausbosse Spaß. Humor und Ironie sind im Sport, speziell im Fußball sowieso eindeutig unterrepräsentiert.

ABENDBLATT: Wenn Sie so nah dran sind an diesem Berufsbild, dürften Sie auch das Schaffen der Sportkommentatoren interessiert beobachten, richtig?

HILDEBRANDT: Allerdings! Und ich muß dabei eine alarmierende Verwahrlosung der deutschen Sprache beklagen. Offenbar werden speziell junge Leute auf das Publikum losgelassen, ohne sprachlich ausreichend geschult worden zu sein. Bei manchen Radio- oder Fernsehreportern habe ich den Eindruck, sie berichten über Spiele, die so in der Realität gar nicht vorkommen.

ABENDBLATT: Sind Ihnen spezielle Mißgriffe erinnerlich?

HILDEBRANDT: Wenn ein Reporter sagt: Eine angeschossene Hand ist kein Beinbruch, sträuben sich mir schon die Nackenhaare.

ABENDBLATT: Vielleicht war das gerade einer von der Sorte der Lustigen, die Sie so vermissen?

HILDEBRANDT: Ich wünschte, Sie hätten recht.