Hamburg. Homosexuelle Profifußballer: Esselsgroth ist enttäuscht, dass Aktion am 17. Mai nicht durchgezogen wurde: „Fußball ist viel weiter.“

Irgendwie hatte Kai Esselsgroth schon vor dem 17. Mai ein ambivalentes Gefühl. Der Ehrenrat des HSV nahm am Tag vor dem angekündigten Gruppen-Outing im Profifußball sein Handy und schrieb eine WhatsApp-Nachricht ans Abendblatt: „Falls es wirklich ein nennenswertes Gruppen-Coming-Out geben sollte, oder aber auch gerade falls nicht, stehe ich für dieses Thema, welches für mich als offen schwuler Ehrenratsvorsitzender und Beirat des HSV schon lange eine Herzensangelegenheit ist, für eine Einordnung gerne zur Verfügung.“

Anderthalb Wochen später sitzt Esselsgroth beim Mittagessen im Gnosa, einem in der Hamburger Schwulenszene beliebten Treffpunkt auf der Langen Reihe in St. Georg, und hält Wort: Der 64-Jährige bestellt gebratene Maultaschen – und er ordnet ein. „Für unser Anliegen war das kontraproduktiv“, sagt Esselsgroth.

HSV-Ehrenratschef hätte Gruppen-Outing begrüßt

Kai Esselsgroth ist seit 40 Jahren mit seinem Mann zusammen – und noch deutlich länger mit dem HSV. Der Multifunktionär ist Ehrenratschef, Beiratsmitglied und von allen Seiten geschätzter Leiter der mitunter aufreibenden Mitgliederversammlungen. Vor allem aber ist er Fan.

„Ich glaube, dass der Fußball viel weiter ist, als das öffentlich oft antizipiert wird“, sagt Esselsgroth, der nach eigener Aussage noch nie selbst im Stadion aufgrund seiner Sexualität angefeindet wurde. Doch der Bauunternehmer weiß auch, dass auch im Volkspark nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist.

Esselsgroth meldet beleidigendes Banner

Vor zwei Jahren ist Esselsgroth beim Heimspiel gegen den Hansa Rostock aktiv geworden, als er von seinem Tribünenplatz aus ungläubig verfolgt hat, wie in der Nordkurve ein homophobes Banner ausgerollt wurde. Der Ehrenrat reagierte prompt und zeigte den Vorfall beim Ankerplatz an, wo Beleidigungen und ähnliches zu Protokoll gebracht werden.

In der Kurve hat sich viel getan, doch es muss sich noch viel mehr tun, glaubt Esselsgroth. Ein kollektives Outing, wie es vom früheren Nachwuchsnationalspieler Marcus Urban seit Monaten vorbereitet und angekündigt wurde, hätte auf diesem Weg Wunder bewirken können.

Urbans Aktion vom 17. Mai konnte Erwartungen nicht erfüllen

„Bei der angedachten Aktion vom 17. Mai finde ich sehr schade, dass man vorher sehr viel Wind gemacht hat, dadurch natürlich Erwartungen geschürt hat und diese dann im Nachhinein nicht erfüllen konnte“, sagt Esselsgroth, dessen Meinung auch vom homosexuellen HSV-Fanclub „Volksparkjunx“ geteilt wird. „Dadurch ging die ganze Aktion meiner Meinung nach leider nach hinten los.“

Trotz anderer Ankündigungen von Organisator Marcus Urban (53), der sich mit 36 Jahren in dem Buch „Versteckspieler“ outete, blieb ein Gruppen-Outing am internationalen Tag gegen Homophobie aus. „Grundsätzlich würde ich es sehr begrüßen, wenn es ein organisiertes Gruppen-Comeing-Out im Fußball geben würde“, sagt Esselsgroth, der selbst schon zweimal mit Urban zusammensaß. „Wichtig wäre, dass man so eine Aktion sehr überlegt vorbereitet.“

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Doch genau an dieser Stelle hat es aus Esselsgroths Sicht zuletzt gehapert. Urban hatte zwischenzeitlich „große Namen“ für ein kollektives Outing angekündigt, von Kontakten in die Premier League gesprochen, viel Geld von Sponsoren und auch von Bundesligaclubs eingesammelt. Sogar ein Film sollte gedreht werden. Doch am Ende blieb es bei der Ankündigung – und bei vielen Enttäuschten aus der Szene .

Immerhin: Aus Deutschland hat sich Dirk Elbrächter, Leiter Content Management bei der TSG Hoffenheim, im Rahmen der Kampange geoutet. „Ich habe zunächst niemanden erzählt, dass ich schon seit 15 Jahren glücklich mit meinem Partner zusammen bin“, sagte der TSG-Mitarbeiter auf Urbans Platform „Sports Free“. „Ich hatte zunehmend das Gefühl, dass ich etwas verstecke und einen Teil von mir verheimliche.“

HSV-Ehrenrat hofft weiterhin auf Gruppen-Outing

Esselsgroth hat nie ein Geheimnis aus seiner Sexualität gemacht, kann aber gut nachempfinden, was Elbrächter berichtet. Besonders noch aktive Fußballer bräuchten ein starkes Kreuz, glaubt Esselsgroth.

„Ich denke schon, dass es für einen einzelnen Profi, der sich outen will, schwierig werden würde. Die mediale Welle würde ihn voll erfassen, da muss man schon eine sehr gefestigte Persönlichkeit haben. Deswegen würde ich ein Gruppenouting – idealerweise mit Fußballern, Trainern und Verantwortlichen aller Geschlechter – für eine bessere Idee halten. Dann wäre dieses Thema ein für alle Male abgeräumt.“

Zu gerne hätte Esselsgroth all das am 17. Mai abgeräumt gesehen, wie er es selbst nennt. Aber ganz so weit wie erhofft, ist der Fußball eben doch nicht. „Noch nicht“, sagt Esselsgroth.