Hamburg. Anlässlich der EM ist in Hamburg eine Ausstellung zu Fußball in der NS-Zeit zu sehen. Die Initiatorin kämpft für ein Stadion ohne Nazis.

Wenn der HSV spielt, ist Paula Scholz nicht weit: Den Zweitligaclub begleitet sie sogar zu den Auswärtsspielen. Für die Europameisterschaft aber interessiert sich die Kriminologin und Politikwissenschaftlerin von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eher beruflich: Anlässlich der EM wird im Geschichtsort Stadthaus und im Mahnmal St. Nikolai die von ihr initiierte Ausstellung zum Hamburger Fußball im Nationalsozialismus gezeigt.

Im Podcast „Komplizen für die Zukunft“ spricht Scholz (32) über …

… die Idee für die Ausstellung:

„Sie war 2016 schon im Hamburger Rathaus zu sehen. Ich war damals studentische Hilfskraft in der KZ-Gedenkstätte. Die Idee kam, weil ich selbst großer Fußballfan bin und mein Bezug zum Thema schon auch sehr geprägt ist von der Frage: Was hat eigentlich mein eigener Verein, der HSV, im Nationalsozialismus gemacht? Und was wissen wir über den Fußball im Nationalsozialismus? Das Interesse an der Ausstellung war groß, auch bei den Vereinen, und deswegen dachten wir, die Europameisterschaft ist eine Supergelegenheit, sie noch einmal zu zeigen. Wir sprechen auch Fans gezielt an, zum Beispiel haben wir die Ausstellung ins Englische und ins Tschechische übersetzen lassen und einen Rundgang durch die Gedenkstätte Neuengamme auf Niederländisch angeboten.“

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"Es ist schwer zu ertragen, dass immer noch Nazis im Stadion sind"

Komplizen für die Zukunft

… die Rolle des Fußballs im Nationalsozialismus:

„Die Nazis haben relativ schnell verstanden, dass der Fußball ein Medium ist, das sie für sich nutzen können, sowohl im Sinne der Wehrertüchtigung als auch, um im Stadion die nationalsozialistische Ideologie zu präsentieren. Vor 1933 war der Fußball noch anders organisiert als heute: Es gab neben dem DFB für den sogenannten bürgerlichen Fußball auch den Arbeiter-Turn- und Sportbund, der auch eigene Meisterschaften ausgetragen hat. Er hat sich ganz klar politisch positioniert und wurde von den Nazis 1933 verboten. Dazu gab es kirchlichen Sport und auch jüdischen Sport, der ab 1933 groß wurde, weil die Vereine in vorauseilendem Gehorsam ihre jüdischen Mitglieder ausschlossen – sei es durch Satzungsänderungen oder durch antisemitische Äußerungen. Spätestens mit dem Kriegsbeginn hatte der Fußball auch eine ablenkende Funktion. Der Spielbetrieb wurde sehr lange noch aufrechterhalten. Noch kurz vor Kriegsende 1945 fanden in Hamburg reguläre Ligaspiele statt. Auch in den Konzentrationslagern durften ausgewählte Häftlinge Fußball spielen. Die SS wollte damit die Arbeitsmoral erhöhen, und für die Häftlinge war es ein Moment der Ablenkung.“

Fußballvereine haben sich mit Aufarbeitung ihrer NS-Zeit lange schwergetan

… die zögerliche Aufarbeitung der Geschichte durch den Fußball:

„Es gab im Fußball wie auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen nach der NS-Zeit krasse Kontinuitäten, da waren die gleichen Personen in den gleichen Positionen tätig. Hinzu kommt die Erzählung, dass der Sport unpolitisch sei, die sich bis heute hält. So konnten die Funktionäre sagen, sie hätten sich nicht aus ideologischen Gründen den Nationalsozialisten angeschlossen, sondern die Gleichschaltung mitgemacht, um den Sport zu erhalten. Aber der Sport ist nie ein unpolitischer Raum gewesen. Wenn es um die Frage geht, welchen Fußball wir wollen, ist das immer mit der Frage verbunden, wie wir gesellschaftlich leben wollen. Seitdem so viele Menschen Fußball lieben, ihn spielen und sich das Spiel angucken, ist das ein sehr politischer Ort.“

… die Rolle der Fans bei der Aufarbeitung durch die Vereine:

„Es hat gebraucht, das Thema zu etablieren. So richtig begonnen wurde damit erst Anfang der 2000er-Jahre. Der FC St. Pauli hat 2004 eine Gedenktafel für die Opfer der Nazidiktatur im Millerntor-Stadion aufgestellt – neben dem Gedenkstein für die im Ersten und Zweiten Weltkrieg verstorbenen Mitglieder. Beim HSV gibt es eine solche Tafel erst seit 2020. Der HSV hat aber 2007 eine große Sonderausstellung gezeigt, die schon etwas verändert hat. Der DFB hat eine Aufarbeitung in Auftrag gegeben. In der Forschung und unter engagierten Fans war es schon länger ein wichtiges Thema, aber nicht in der Breite wie jetzt. Der Fußball hat da auf öffentlichen Druck reagiert, auch von Fans: Sie stellen die kritischen Fragen, die über Marketing-Sprech hinausgehen, nämlich: Wofür steht eigentlich mein Verein?“

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… die Erinnerungsarbeit in den Vereinen:

„Häufig bleibt es auf einer sehr symbolischen Ebene, wenn etwa am Holocaust-Gedenktag 27. Januar, der auch offizieller Erinnerungstag im deutschen Fußball ist, eine Durchsage der DFL im Stadion verlesen wird. Inwiefern die Vereine selbst aktiv werden, ist sehr unterschiedlich. Beim HSV war zum Beispiel aktuell ein altes Kriegerdenkmal in der Diskussion. Das stand von 2000 bis 2020 in Norderstedt und musste dann einem Parkplatz weichen. Der HSV wollte es dann auf dem Altonaer Friedhof aufstellen – und fertig. Dann haben aber Fans unter anderem vom Netzwerk Erinnerungsarbeit gesagt: Wir können diese kriegsverherrlichende Rhetorik nicht einfach so stehen lassen, sondern müssen es irgendwie einordnen. Daraufhin hat der Verein erst mal lange nichts gemacht – nicht unbedingt wegen ideologischer Widerstände, sondern weil sich strukturell niemand zuständig fühlte. Inzwischen ist der e. V. sehr aktiv geworden und hat mit der Uni Hamburg zusammen eine Initiative gestartet, wie man mit dem Denkmal umgehen sollte. Es gibt bei den wenigsten Vereinen Menschen, die explizit für Vielfalt, Aufarbeitung, Anti-Diskriminierung zuständig sind. Das hängt sehr oft an Einzelpersonen.“

… ihre Erfahrungen mit Diskriminierung im Stadion:

„Sexismus betrifft mich als Frau natürlich noch mal anders und kann total anstrengend sein. Ich will genauso im Stadion sein können, wie die Männer hier sein können, und deswegen kämpfe ich dagegen. Es kann aber auch empowernd sein, wenn sich Räume öffnen, Dinge möglich werden, man sich mit anderen Frauen zusammenschließen kann. Man muss im Fußball viel ausblenden, um Spaß zu haben als eine Person, die weiblich ist und sich gegen Diskriminierung einsetzt. Ich finde es schwer zu ertragen, dass immer noch Nazis im Stadion sind. Gleichzeitig finde ich es toll, dass es eine Gemeinschaft ist, die so vielfältig ist und so viele politische Richtungen abdeckt. Es ist auch eine Chance, mit Leuten in Kontakt zu kommen, die die eigene politische Einstellung nicht teilen. Aber ich wünsche mir ein Stadion ohne Nazis.“

Was der Rechtsruck für die Erinnerungsarbeit bedeutet, auch darüber spricht Paula Scholz in diesem Podcast. Am 8. Juli tritt sie im Rahmen der VHS-Reihe „Komplizen für die Zukunft“ auf. Anmeldungen sind auf der Seite der Hamburger Volkshochschule möglich.