Berlin. Neue Greenpeace-Studie deckt erstaunliche Missstände auf. Warum viele Menschen in den Urlaub fliegen müssen statt bequem Bahn zu fahren

Der Reiseverkehr in Europa könnte deutlich stärker vom Flugzeug auf die Schiene verlagert werden. Zwischen den europäischen Großstädten könnten dreimal mehr Direktzüge verkehren, ohne dass nur ein einziges neues Gleis dafür gebaut werden müsste. Dies hat eine Studie der Umweltorganisation Greenpeace ergeben, die dieser Redaktion vorliegt. Untersucht wurden 990 Routen zwischen 45 Metropolen in Europa. Doch auf nur 12 Prozent dieser Strecken (114 Routen) fahren heute Direktzüge. Insgesamt wären jedoch 419 Direktverbindungen innerhalb von weniger als 18 Stunden Fahrtzeit möglich. Gleichzeitig werden heute auf 335 dieser Verbindungen Direktflüge angeboten.

„Viele Menschen wollen heute klimaschonend mit der Bahn reisen, aber viel zu oft fehlen die attraktiven Angebote”, so Lena Donat, Greenpeace Verkehrsexpertin. „Bahngesellschaften und Regierungen können das schnell ändern, ohne auch nur einen Kilometer neuer Gleise zu bauen.“ Das bestehende Netz müsse dringend kundenfreundlicher genutzt werden. Mehrfaches Umsteigen verlängerten die Reisezeiten und verteuerten zudem die Ticketpreise. „Solange verlässliche und bequeme Direktzüge fehlen, dürfen man sich nicht wundern, dass Menschen auch auf kurzen Strecken in den Flieger steigen”, so Donat

Bequem mit dem Schlafwagen ans Ziel.
Bequem mit dem Schlafwagen ans Ziel. © Unbekannt | Unbekannt

Nach Wien sind München und Berlin die Städte mit den meisten Zug-Direktverbindungen ins Ausland. Allerdings bietet die Bahn auch in diesen Städte nur halb so viele Direktzüge an, wie es eigentlich möglich wäre. Von Berlin aus ließen sich beispielsweise 28 der wichtigsten europäischen Großstädte per Zug in weniger als 18 Stunden erreichen, doch hier werden nur 14 Routen bedient. Gleichzeitig werden 24 dieser Routen per Flugzeug angeboten. Die häufigste Flugstrecke von Berlin nach London wäre laut Studie in 8 Stunden per Direktzug erreichbar. Selbst beliebte Fernziele wie Barcelona (16 Stunden) oder Rom (13:20 Stunden) wären per Nachtzug bequem erreichbar.

Der Nightjet - Im Schlafwagen durch Europa

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    Deutlich schlechter sieht es in Frankfurt, Hamburg, Stuttgart, Düsseldorf und Köln aus, wo nur rund ein Drittel aller möglichen Direktverbindungen bedient werden. So könnte ein Direktzug Köln mit London in weniger als 4 Stunden verbinden, Barcelona, Mailand, Rom oder Budapest wären in acht bis elf Stunden erreichbar. Von Hamburg aus würde ein Direktzug nach Amsterdam 4:45 Stunden, nach Paris 7:30 Stunden brauchen. In Hannover und Nürnberg gibt es noch weniger Direktangebote. Durch teils mehrfaches Umsteigen seien die Verbindungen heute unattraktiver. Aus allen neun untersuchten Städten verkehren mehr Direktflüge als Direktzüge.

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    Zu den Schlusslichtern in Europa zählen Lissabon, Athen, Pristina, Sarajevo, Skopje und Tallinn – sie bieten keinen einzigen Direktzug zu anderen europäischen Großstädten an.

    Die Hauptgründe für das fehlende Angebot sieht die Studie in zwei Ursachen: „Erstens fehlt es in fast allen Ländern Europas an politischem Willen, in die Bahn zu investieren und sie zu fördern. Zweitens denken Regierungen und die großen Bahnunternehmen bisher viel zu sehr in nationalen Grenzen.“ Hinzukomme, dass jedes Land eigene Regeln und Normen, etwa für Sicherheitssysteme, Bahnsteighöhen oder Stromsysteme entwickelt habe.

    Hier wäre eine Harmonisierung der Standards dringend erforderlich. Die Greenpeace-Expertin Donat ist überzeugt: „Zugfahren in Europa muss einfacher werden, mit besseren Verbindungen und einem einheitlichen Buchungssystem. Dann sinken auch die Emissionen.”

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