Berlin. Der Angriff im Raum Charkiw geht auf das Konto einer neuen Truppe mit einem eigenen Zeichen: Kein Z, kein V oder O, sondern eine Raute.

Seit Tagen rücken russische Einheiten in der Region Charkiw vor. Ihnen gelangen laut der US-Denkfabrik „Institute for the Study of War“ (ISW) taktisch „bedeutende Vorstöße“. ISW-Analyst George Barros sagte in CNN, dass Russland versucht habe, für den Angriff 60.000 bis 100.000 Soldaten zu mobilisieren. „Wir gehen davon aus, dass es eher 50.000 sind.“

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Die Truppenstärke ist freilich nicht der einzige Aspekt. Wichtig ist, dass sich laut dem britischen Geheimdienst neue Kräfte formiert haben. Die Offensive geht auf das Konto einer neuen Einheit: „Sewer“ (Norden). Barros hält sie für eine „operativ bedeutsamen Gruppe“; gerade im Vergleich zu den ukrainischen Soldaten, die oft viel zu lange pausenlos an der Front waren und erschöpft sind.

„Sewer“ ist kampfstark und leicht zu identifizieren. Ihr Erkennungszeichen ist eine durchgestrichene Raute, die auf allen Fahrzeugen aufgemalt ist. Dass sie bei ihrem Vorstoß relativ schnell damit begannen, Brücken über wichtige Wasserstraßen zu zerstören, lässt vermuten, dass die Russen gar nicht vorhaben, weitere größere Gebietsgewinne zu erzielen oder gar Charkiw einzunehmen. Vermutet wird, dass sie vielmehr eine „Pufferzone“ schaffen wollen.

Rätselraten über Putins Operationsziele

Der Zweck ist, die Ukrainer so weit von der Grenze fernzuhalten, dass sie nicht länger das russische Belgorod angreifen können. Angeblich mahnt Kremlchef Wladimir Putin schon seit Langem eine solche Pufferzone an. Ihre Kontrolle hätte für Russland im Gegenzug zusätzlich den Vorteil, dass die russische Artillerie ihrerseits nah genug an Charkiw herankommen würde, um die Stadt direkt unter Beschuss zu nehmen. Es gibt aber zur russischen Offensive noch weitere Annahmen. Sie soll:

  • Die ukrainischen Kräfte entlang einer fast 1000 Kilometer langen Front binden..
  • Die Frontlinie noch einmal verlängern, sodass die Ukraine Reserven auch nördlich von Charkiw einsetzen muss.
  • Die Ukraine dazu verleiten, Truppen von anderen Abschnitten abzuziehen.
  • Militärische Erfolge erzielen, solange die zugesagte Militärhilfe aus den USA noch nicht angekommen ist.
  • Ein Ablenkungsmanöver für eine ganze andere Operation darstellen.
  • Panik in der Ukraine schüren.
  • Eine spätere breit angelegte Offensive auf die Stadt Charkiw vorbereiten. Die Region in der Ostukraine gehört zweifellos zu den wichtigsten Zwischenzielen für dieses Jahr.

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Die Ukraine bescheinigt Russen „taktische Erfolge“

„Sewer“ ist jedenfalls weit gekommen. Auf ihrem Telegram-Kanal brüstete sich die neuformierte Einheit damit, dass sie neun Orte in der Region Charkiw eingenommen habe. Es kommt selten vor, dass die Ukraine solche Erfolge bestätigt. Aber in diesem Fall bescheinigte ihr selbst der ukrainische Generalstab „taktische Erfolge“.

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