Harburg. Gedruckte Hommage der Geschichtswerkstatt würdigt Harburger Kneipenkultur früherer Tage. Wie die Autoren an alte Fotos kamen.

  • Schon morgens in die Kneipe auf ein Gläschen Bier: Auch im Hamburger Süden war das vor einiger Zeit keine Seltenheit
  • Viele Arbeiter und sogar Lastwagenfahrer kehrten zum Frühschoppen im Harburger Binnenhafen ein
  • Die Geschichtswerkstatt Harburg hat dieser Ära nun ein Denkmal im Buchformat gesetzt

Sie hießen Eros Bar, Zum Donnerbesen, Gerichtslaube oder Tivoli: Die ehemalige Arbeiter- und Industriestadt Harburg hatte eine ausgeprägte Kneipenkultur. Doch wer heute durch die Straßen im Hamburger Süden zieht, sieht nur noch wenig davon. Einige Lokale schlossen, andere wechselten den Namen und blieben. Nur wenige „echte Kneipen“ überlebten.

Aufruf alle Harburger: „Teilt Eure Fotos mit uns – selbst wenn Onkel Paul im Vordergrund steht!“

Die Geschichtswerkstadt Harburg hat das Schicksal von 26 Schanklokalen recherchiert und lässt Zeitzeugen berichten. Nachzulesen in der Broschüre „Harburger Kneipen, 2. Teil“.

2021 hatte die Geschichtswerkstatt bereits eine Kneipen-Broschüre herausgegeben. „Aufgrund der großen Resonanz haben wir nun noch umfassender recherchiert“, sagt Klaus Barnick vom Vorstand der Geschichtswerkstatt. Die Autoren Ulrich Wittwer und Jürgen Meyer machten sich an die Arbeit. Ein Problem waren fehlende historische Fotos. Deshalb die Bitte der Geschichtswerkstatt: „Teilt Eure Fotos mit uns! Selbst wenn Onkel Paul im Vordergrund steht.“

Harburger Hafenkneipe in Reinkultur: das Hansa-Eck am Veritaskai.
Harburger Hafenkneipe in Reinkultur: das Hansa-Eck am Veritaskai. © Geschichtswerkstatt Harburg (GWH) | Geschichtswerkstatt Harburg (GWH)

Treffpunkt Binnenhafen: Auch Lastwagenfahrer tranken morgens Bier

Ein echter Anziehungspunkt war das Hansa-Eck im Binnenhafen. Wo sich heute die Einfahrt zum Parkhaus Veritaskai befindet, lag das Lokal, das – je nach Betreiber – mal Speisegaststätte, Kiosk oder Bierkneipe war. „Auch ich bin morgens vor Arbeitsbeginn ins Hansa-Eck gegangen“, erzählt ein Zeitzeuge. „Da war es morgens schon unglaublich voll. Die Lastwagenfahrer tranken so ihre zwei oder drei Gläser Bier, dazu noch den einen oder anderen Kurzen, und dann setzten sie sich ans Steuer.“ In den 1950er- und 60er-Jahren lag das Alkohol-Limit noch bei 1,5 Promille.

Im Rahmen der Binnenhafen-Entwicklung, speziell der Bebauung des Areals vom Güterbahnhof, wurde das Hansa-Eck 2010 abgerissen. Auch andere Hafenkneipen verschwanden. An der Ecke Nartenstraße/Hafenbezirk lag unweit der Alten Elbbrücke das Lokal Zur Elbburg.

Mal Gaststätte, mal Hafenkneipe: Das Schanklokal Zur Elbburg an der Alten Elbbrücke.
Mal Gaststätte, mal Hafenkneipe: Das Schanklokal Zur Elbburg an der Alten Elbbrücke. © Geschichtswerkstatt Harburg | Geschichtswerkstatt Harburg

Es war zunächst eine Gaststätte und existierte nachweislich schon 1901. Später wurde die Gaststätte zur „ganz normalen Hafenkneipe“, wie ein Zeitzeuge sagt. „Hier lagen die Schiffe der Polizei und Feuerwehr. Die Gäste waren gemischt: Seeleute, Hafenarbeiter, Menschen, die aus der Straßenbahn kamen oder auf sie warteten, denn die Haltestelle befand sich genau vor dem Lokal.“

Im frühreren Schloss-Eck serviert heute Sven Oliver Scharf gehobene Küche

1981 wurde auch dieses – prächtige – Gebäude abgerissen. Heute sind dort Gewerbebetriebe und eine Grünfläche. Aus der Straßenbahn- wurde eine Bushaltestelle. Von anderen Hafenkneipen stehen zumindest die Gebäude noch: An der Harburger Schloßstraße wurden aus der Eros-Bar Büroräumlichkeiten.

Die Eros Bar hieß nicht so, weil es dort frivol zugegangen wäre. Der langjährige Betreiber Stefanos war Grieche, seine Frau Sonja stand hier Abend für Abend am Tresen und verkaufte Astra und Holsten. So versorgte sie unter anderem Gäste, die in den Hinterzimmern der Kneipe eine dauerhafte Bleibe gefunden hatten. Und im ehemaligen Schloss-Eck, von dem ein Zeitzeuge berichtet, der Alkoholverbrauch sei dort enorm gewesen, serviert heute Sven Oliver Scharf im Restaurant Scharf gehobene Küche.

Hafenkneipe Bei Rosi wird gerade zum Ausflugslokal

Im Westlichen Binnenhafen, am Dampfschiffsweg, hat eine Kneipe wacker überlebt – bis Jahresende 2023: „Gunter Gabriels Stammkneipe ist verkauft“, meldete das Abendblatt Anfang Januar und berichtete über das Schicksal des Harburger Fährhauses, aus dem längst die Hafenkneipe Bei Rosi geworden war. Der Käufer Carlos Santos Mateus baut es gerade zu einem Ausflugslokal um. Die angestaubte Ausstattung und die maritime Deko flogen dabei raus.

Vor der Kneipe Treffpunkt am Markt wird mittags die Marktfläche gesäubert.
Vor der Kneipe Treffpunkt am Markt wird mittags die Marktfläche gesäubert. © Geschichtswerkstatt Harburg | Geschichtswerkstatt Harburg

Im Harburger Zentrum war der Wochenmarkt traditionell ein Anziehungspunkt für Kneipenbetreiber. Rund um den Sand gab es zahlreiche Lokale, etwa Cordes, Stadt Emden, Stadt Frankfurt, Stadt Schwerin, Kahl, Rinke.

Das Gebiet wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört. Danach siedelten sich dort die Marktklause (heute: Sushi- und Cocktailbar Die Treppe) und der Treffpunkt am Markt an, der zeitweilig Hölerklause hieß. Ein Zeitzeuge: „Der Flachbau stand da, wo später die Hölertwiete mit dem Ärztehaus erbaut wurde. Die Konzession hatte Horst Kühne.“ Der gelernte Schlachter habe im Gastraum auch als Makler gearbeitet, „wobei er hieran extrem verdiente“.

Harburgs City: Aus dem Donnerbesen wird portugiesisches Restaurant

Auch im weiteren Marktumfeld wurde eingekehrt, etwa im Donnerbesen an der Ecke Lämmertwiete/Mühlenstraße (heute Schloßmühlendamm). Aus einem Delikatessengeschäft entwickelte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg das Lokal „Zum Donnerbesen“, eine reine Bier- und Kornkneipe für Arbeiter. 1973 kaufte der Portugiese Fernando da Silva das Lokal.

Da Silva kam 1965 nach Harburg, als Arbeiter bei der Phoenix, gründete 1972 ein Lokal auf der Veddel und wechselte ein Jahr später nach Harburg. Noch immer betreibt seine Familie das Restaurant, das seinen Namen trägt.

Die Kneipe Zum Donnerbesen (ganz links) lag am heutigen Schloßmühlendamm, Ecke Lämmertwiete. Die Aufnahme um 1910 zeigt die einst durchgehende Verbindung zur Harburger Schloßstraße. 
Die Kneipe Zum Donnerbesen (ganz links) lag am heutigen Schloßmühlendamm, Ecke Lämmertwiete. Die Aufnahme um 1910 zeigt die einst durchgehende Verbindung zur Harburger Schloßstraße.  © Geschichtswerkstatt Harburg | Geschichtswerkstatt Harburg

Eine Schickeria-Kneipe funktionierte in Harburg nicht

Auch an der Schwarzenbergstraße gab es mehrere Kneipen. Darunter eine mit Anspruch: das Köpi (heute Harlekin) an der Ecke Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße. „Der Betreiber hatte vor seiner Zeit ein renommiertes Gasthaus auf der Insel Föhr“, berichtet ein Zeitzeuge. „Vornehm sollte es auch in der Arbeiterstadt Harburg weitergehen. Eintritt nur mit Schlips und Jackett für Männer. Gäste sollten eine Schickeria aus Ärzten, Anwälten, Versicherungsleuten und Läden sein. (...) Auf Dauer war dem Wirt aber das Publikum doch nicht edel genug. Er verkaufte deshalb.“

Die Gerichtslaube am Amtsgericht (Buxtehuder Straße) überdauerte die Zeit und wurde 2013 zur Kulturkneipe Komm Du. Die musste jedoch Anfang dieses Jahres schließen. Früher war es ein Mittagslokal für Gerichtsangestellte, aber auch für Menschen, die zu Verhandlungen kamen. Dienstags und donnerstags sei die Gerichtslaube besonders stark besucht gewesen, denn an diesen Tagen wurden Scheidungen verhandelt, so ein Zeitzeuge. „Vor und nach der Sitzungen waren die Eheleute im Lokal – zumeist, um sich Mut anzutrinken.“

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Fußballkneipe Löschecke ist jetzt 70 Jahre alt

Nach wie vor im Geschäft ist die Löschecke in Eißendorf. „Dies war eine zünftige Fußballkneipe für den HTB und den etwas kleineren Verein Borussia Harburg“, ist zu lesen. Hochbetrieb herrschten bei den Punktspielen der Fußballer. Im Lokal befand sich ein öffentliches Telefon, mit dem die Spieler die Ergebnisse meldeten und die Ergebnisse anderer Teams erfragten. In diesem Jahr wird das beliebte Lokal an der Marienstraße 70 Jahre alt.

Die 1954 eröffnete Löschecke existiert noch und ist eines der bekanntesten Eißendorfer Lokale.
Die 1954 eröffnete Löschecke existiert noch und ist eines der bekanntesten Eißendorfer Lokale. © Klaus Barnick | Klaus Barnick

Eine Ausnahmeerscheinung war Ende des 19./Anfangs des 20. Jahrhundert Dittmer‘s Tivoli in Wilstorf. Das romantische Gartenrestaurant an der Straße Reeseberg, in Höhe des heutigen Sitzes vom Eisenbahnbauverein, war um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert weithin bekannt.

Arbeiterkneipe in Wilstorf wurde für Straßenbau abgerissen

Dennoch wurde das Kleinod 1929 abgerissen. Gut 100 Meter weiter die Straße hinauf, an der Ecke Reeseberg/Spritzenhaus, entstand ein Lokal mit dem Namen Tivoli – nach ihm wurde dann sogar die Straße benannt: Aus Spritzenhaus wurde Tivoliweg. Später wurde das Lokal zur griechischen Taverne, dann wieder zur Tivoli-Stuben. Die Tivoli-Ära endet 2007.

Das Gartenlokal Dittmer‘s Tivoli am Reeseberg 24 verschwand schon 1929. Sein Nachfolger lag am heutigen Tivoliweg und wurde 2007 geschlossen.
Das Gartenlokal Dittmer‘s Tivoli am Reeseberg 24 verschwand schon 1929. Sein Nachfolger lag am heutigen Tivoliweg und wurde 2007 geschlossen. © Geschichtswerkstatt Harburg | Geschichtswerkstatt Harburg

Etwas mehr als einen Steinwurf vom ersten Tivoli-Standort entfernt war das Gilde-Eck (später Astra-Stuben) erste Versorgungsstation der Arbeiter der benachbarten Jute-Spinnerei und der Eisenbahner vom Bundesbahnbetriebswerk. Das prächtige Haus aus der Jahrhundertwende lag an der Ecke Jutestraße/Winsener Straße. Die sucht man heute vergebens. Die Jutestraße endet als Sackgasse vor der Wilstorfer Auffahrt auf die B75. Das alte Haus musste Anfang der 1980er Jahre dem Straßenbau weichen.

Broschüre zur Harburger Kneipenkultur: Hier ist sie zu haben

Ebenfalls vorgestellt werden in der Kneipenbroschüre: Kap Horn (Seehafenstraße), Senft und Jägerklause an der Julius-Ludowieg-Straße, Bei Victor (Femerlingstraße), Dörfel‘s Eck (Würfelstraße), Cohrs Bierstube (Am Wallgraben), Berliner/Bierakademie (Hastedtstraße),Jeverkate/Antagon (Schwarzenbergstraße), Holiday-Bar (Haakestraße), das Lokal im Unterelbbahnhof (Buxtehuder Straße, heute Freudenhaus), Rosenstübl (Anzengruber Straße), Zur Erholung (Winsener Straße), Zur Sonne (Rönneburger Straße).

Die Broschüre (58 Seiten) im DIN-A-5-Format kostet 8 Euro und ist im Buchhandel (ISBN 978-3-943560-10-7) sowie in der Geschichtswerkstatt Harburg (Kanalplatz 16, dienstags 16 bis 19 Uhr) erhältlich. Weitere Informationen unter geschichtswerkstatt-harburg.de.