Hamburg. Stadtrundgänge sind bei Touristen gefragt. Einige Anbieter setzen nur auf freiwillige Zahlungen der Gäste. Ein besonderes Geschäftsmodell.

Ein gelber Punkt leuchtet hell über den Köpfen der Menschen auf dem Hamburger Rathausmarkt. Es ist ein Regenschirm. Wie in Hamburg nicht gerade selten, könnte es jeden Moment anfangen zu regnen, doch der Schirm dient einem anderen Zweck. Schüchtern nähern sich Touristen dem Träger und fragen auf Englisch, ob sie hier für die „Free Walking Tour“ richtig seien. Ja, das sind sie, antwortet Tourguide Kalvin Brookes und grinst. Der charismatische Südafrikaner spricht neben Englisch fließend Deutsch und arbeitet für das Unternehmen Robin and the Tourguides.

Brookes’ gute Laune ist ansteckend an diesem späten Vormittag. Das ist vorteilhaft, denn die nächste Regenwolke droht bereits aufzuziehen. Manchmal beginnt es kurz vor der Tour zu regnen, und die Hälfte der Gäste dreht wieder um. „Deutsche Gäste sind da im Gegensatz zu internationalen Touristen besser vorbereitet und bleiben“, sagt Matej Kušnír.

Er ist Brookes Auftraggeber, denn die kostenlose Stadtführung wird von dem Unternehmen Robin and the Tourguides veranstaltet, dessen Gesellschafter Kušnír ist. Solange es keine amtliche Unwetterwarnung gibt, finden die Gratis-Stadtführungen zuverlässig und mehrmals täglich statt.

Gratis Sightseeing durch Hamburg – wie geht das?

Der gebürtige Slowake ist selbst Touristenführer und hat 2014 das Unternehmen mitgegründet. Namensgeber Robin, der vor neun Jahren die Website aufgebaut hatte, sowie zwei weitere Touristenführer sind heute nicht mehr dabei, sodass der 37-jährige Kušnír die Firma nun gemeinsam mit seinem Kompagnon Brent Foster betreibt. Der Umsatz von Robin and the Tourguides liege im fünfstelligen Bereich, sagt Kušnír.

Zudem erwirtschafte das Unternehmen einen Überschuss. Rund zehn bis fünfzehn Tourguides, darunter auch Brookes, arbeiten auf selbstständiger Basis, viele sogar hauptberuflich. Alle würden einem strengen Bewerbungsprozess unterzogen, bevor sie deutschen und internationalen Touristen die Stadt zeigen dürfen, so Kušnír.

Eine wichtige Rolle spielt die Persönlichkeit des potenziellen Tourguides und wie er oder sie die Geschichten über die Hansestadt vermittelt. Ob die Person ein Studium absolviert oder ein Zertifikat als offizieller Gästeführer erworben hat, welches zum Beispiel in Städten wie Wien notwendig ist, ist von keiner großen Bedeutung.

Kušnír selbst hat Stadtplanung studiert, Kompagnon Foster ist von Haus aus Musiker. Dieses persönliche Hintergrundwissen lassen sie gerne in ihre Touren mit einfließen, so wie es auch der studierte Ernährungswissenschaftler Brookes heute macht, als er über Hamburger Restaurants redet.

Gratis Sightseeing: Der freiwillige Obolus ist entscheidend

Free Walking Touren folgen einem anderen Prinzip als herkömmliche Stadtführungen. Touristen müssen im Vorfeld keinen festen Preis bezahlen, die Anmeldung ist kostenlos. Der Clou: Am Ende der Tour honorieren die Kunden den Tourguide mit einem selbst bestimmten Obolus. Das sorge dafür, dass man sich als Guide noch mehr Mühe gebe, sagt Kušnír.

Die Motivation, Touristen die eigene Stadt auf unterhaltsame Weise näherzubringen, sei eine ganz andere, wenn man im Vorfeld noch kein Geld verdient habe. „Man könnte auch nur Fakten vorlesen, das ist aber nicht unsere Philosophie. Wir möchten Touren anbieten, wie wir sie auch selbst gerne besuchen würden“, so Kušnír. Da Touristen mitunter kein Bargeld dabei haben, gibt es die Möglichkeit der Kartenzahlung.

Unterdessen führt Brookes die Touristengruppe zur Trostbrücke mit dem Standort des alten Rathauses und weiter zum Mahnmal Sankt Nikolai. Dabei erzählt er vom Großbrand und Bombenangriff, aber auch von Alsterschwänen und den Kosten für den Bau der Elbphilharmonie. Dazu gibt es Empfehlungen des Tourguides, etwa zu lohnenden Museen, Restaurants oder Stadtteilen.

Gratis-Touren in Hamburg beliebt

Ein Teilnehmer der heutigen Touristengruppe ist Alexander Puttkamer aus Hannover. Der 32-jährige studierte Betriebswirt kenne Hamburg bisher nur von Fußballspielen, erzählt der Paderborn-Fan. Er habe das 49-Euro-Ticket zum Anlass genommen, um Hamburg noch besser kennenzulernen. Dass er sich heute für eine Stadtbesichtigung mit Robin and the Tourguides entschieden hat, liegt an Erfahrungen aus der Vergangenheit. Während einer Reise nach Südostasien hatte Puttkamer an einer Free Walking Tour in Singapur teilgenommen – er war begeistert.

Puttkamer gehört zu einer Minderheit der diesjährigen Besucher der Free Walking Touren. Eigentlich sind 80 Prozent der Teilnehmer deutschsprachig, doch das hat sich geändert. Noch im vergangenen Jahr hatte es in den Sommermonaten im Vergleich zu den Corona-Jahren einen regelrechten Ansturm von deutschsprachigen Buchungen bei Robin and the Tourguides gegeben.

Kušnír vermutet das Neun-Euro-Ticket als Grund. Damals waren viele preisbewusste deutsche Touristen in ihrem Heimatland unterwegs. „In diesem Jahr fliegen die Leute lieber nach Mallorca und holen Erfahrungen im Ausland nach, was ich auch verstehen kann.“ Aus diesem Grund gebe es im Sommer 2023 weniger Buchungen der deutschen Free Walking Touren.

Weniger deutsche Teilnehmer bei den Touren

Insgesamt hätte sich der Tourismus in der Hansestadt von den Corona-Beschränkungen der vergangenen Jahre aber gut erholt, sagt Ulrike von Albedyll, Landesgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga. Bisher liegen nur Übernachtungszahlen von Januar bis einschließlich Mai 2023 vor – hier sei ein Zuwachs von knapp 27 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum zu verbuchen.

Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die Corona-Beschränkungen erst im Mai 2022 weitestgehend aufgehoben wurden und zu einer Normalisierung für den Tourismus geführt haben. Mit mehr als 5,5 Millionen Übernachtungen seit Januar 2023 seien die Hotels in Hamburg zufrieden, sagt von Albedyll.

Die Tour von Brookes endet nach zwei Stunden vor dem Michel. Diese Zeitspanne sei auch das Maximum, das Robin and the Tourguides den Gästen zumuten möchten. „Wenn es sehr heiß oder sehr kalt ist, machen wir nach einer Stunde eine Pause, sodass die Teilnehmer sich erfrischen oder aufwärmen können“, so Kušnír. Zum Abschluss bedankt sich Brookes für die Aufmerksamkeit und bittet seine Gäste darum, selbst einzuschätzen, wie viel ihnen die Tour wert gewesen ist. Während die Teilnehmer sich bedanken drücken sie ihm Geldscheine in die Hand. Man sieht 5-, 10- und 20-Euro-Scheine.

Tourguides behalten nur Teil der Einnahmen

Für jeden Tourteilnehmer muss der selbstständige Guide an Robin and the Tourguides eine Provision entrichten. Zur genauen Höhe will sich Kušnír nicht öffentlich äußern. Die Konkurrenz lese schließlich mit. Da er selbst schon lange in dem Beruf arbeite, lege er aber Wert auf faire Konditionen. Manchmal gehen Guide und Unternehmen auch leer aus. Nämlich wenn Teilnehmer die Tour vor dem letzten Stopp verlassen. „Damit muss man rechnen, es passiert aber eher selten. Am Anfang ist man als Guide darüber noch ein bisschen gekränkt“, sagt er. „Mit der Zeit legt sich das aber – und es zählt mehr die Tatsache, den Leuten die Stadt zeigen zu können.“

Im Durchschnitt bezahlen Gäste freiwillig sechs bis zehn Euro pro Person. Dies sei jedoch weniger als der Preis für ein offizielles Tourticket bei anderen Anbietern, weiß Kušnír. Bei einer maximalen Gruppengröße von 35 Personen und durchschnittlich vier Touren am Tag würden Gesellschafter und Guides von ihrer Tätigkeit leben können.

Zudem fielen für das Unternehmen geringere Kosten an: „Die Leute suchen bewusst nach dem Modell ‚Free Tours‘, weil sie es schon kennen. Dadurch können wir diesen riesigen Marketing-Aufwand sparen, den andere Unternehmen betreiben.“ Außerdem vertraut Kušnír darauf, dass Teilnehmer das Prinzip verstehen und den geringeren Obolus anderer, sozial schwächerer Touristen mit einer großzügigeren Zahlung ausgleichen.

Es gibt auch Bier-Tasting-Touren zu einem festen Preis

Einige Anbieter von Free Walking Touren geben auf ihren Internetseiten an, welcher freiwilligen Betrag sie für angemessen halten. Bei Robin and the Tourguides findet man einen solchen Hinweis nicht. Neben der gut gebuchten, historischen Altstadttour setzt das Unternehmen auch auf eine Führung durch den Hafen und über die Reeperbahn.

Des Weiteren gibt es eine sogenannte Craft Beer Tasting Tour, für die jedoch ein vorgegebener Preis in Höhe von 44 Euro pro Person verlangt wird – sieben Bierproben inklusive. Diese Führungen, wie sie beispielsweise auch Eat the World offeriert, seien deutlich aufwendiger in der Planung, sagt Kušnír: „Es kam zum Beispiel einmal vor, dass eine Gaststätte kurzfristig abgesagt hat, obwohl die Gruppe vorher angemeldet war. Da muss der Guide dann improvisieren.“

Darüber hinaus können Privatpersonen, Schulklassen oder Firmen auch private Führungen bei Robin and the Tourguides buchen. Auch hier wird der Preis für die Gruppe im Vorfeld vereinbart. Diese Touren seien dann auch in anderen Stadtteilen oder Sprachen möglich.

Neben englisch- und deutschsprachigen Führungen hat Kušnír, der unter anderem in Frankreich studiert hat, auch schon Gäste auf Französisch oder Slowakisch durch Hamburg geführt. Und selbst Freunde und Bekannte kommen oft in den Genuss einer eher „unfreiwilligen“ Tour, wenn sie den Eppendorfer in seiner Wahlheimat privat besuchen. „Ich muss dann aufpassen, bei Spaziergängen nicht in meine Rolle als Tourguide zu verfallen. Doch das passiert eigentlich immer.“