Warum tun die sich das an? Warum muss man Deutschlands höchsten Berg jetzt im Laufschritt bewältigen?, fragen sich viele.

Genauso kann man fragen: Warum gibt es Apnoe-Taucher? Warum schwimmen Menschen durch den Ärmelkanal? Warum will der Kanadier Michel Fournier (64) aus 40 Kilometer Höhe mit dem Fallschirm abspringen und dabei mit 1150 km/h die Schallmauer durchbrechen?

Die einfachste Antwort lautet: Weil Menschen so ticken. Würden wir uns immer nur mit dem Möglichen begnügen, säßen wir heute noch in Höhlen ums Reisigfeuer. Die Geschichte des Flugverkehrs beginnt mit waghalsigen Postfliegern von Paris nach Dakar. Und die Geschichte der Nasa mit tollkühnen US-Airforce-Piloten, die mit Jagdflugzeugen zu Kurzzeit-Parabeln in den Weltraum starteten. Diese Männer standen allerdings unter ökonomischem und Konkurrenzdruck.

Wenn Wilfried Erdmann oder Rüdiger Nehberg heute allein die Welt umsegeln, zwingt sie keiner. Extreme Belastungen und Extremsport haben heute eine andere Bedeutung: Sie gelten als ein selbst auferlegter Persönlichkeitstest. Mentales Wachstum durch die Überschreitung der eigenen Grenzen - diese Idee ist heute zu einer Massenfaszination geworden. Unsere bürozentrierte Dienstleistungsgesellschaft kann extrem reizarm sein für Menschen, die sich körperlich fit und leistungsstark fühlen.

Aber nun verschwimmen zwei Dinge: Was kann sich ein normaler Freizeitsportler zumuten? Heutige 50-Jährige, die keine Hungerjahre erlebt haben, können durchaus nach entsprechendem Training am Stadtmarathon teilnehmen - vor 20 Jahren hätten Ärzte dieser Altersstufe dringend abgeraten. Aber welche Leistung schaffen auch heute nur überdurchschnittlich trainierte Ausnahmesportler?

Viele Menschen suchen gerade in mittleren Jahren eine Herausforderung, "weil die Gleichförmigkeit des risikolosen Versichertendaseins sie nicht befriedigt", sagt der Stuttgarter Sportpsychologe Wolfgang Schlicht. "Jeder strebt heute danach, sich als möglichst leistungsfähiges, dynamisches, junges und fortschrittliches Individuum darzustellen." Klar, keiner möchte als Couch-Potato gelten. Allerdings setzt Extremsport nicht den alten Satz "Ohne Schweiß kein Preis" außer Kraft. Ohne monatelanges Vortraining würde niemand zum Beispiel den alljährlichen "Treppenlauf im Empire State Building" überleben.

Der Weg ist das Ziel. Das Training ist eine permanente körperliche und seelische Eigenveränderung. Wer eine Höchstleistung anvisiert, darf sich zwar himmelstürmend auf ein Ziel hin fokussieren. Er muss aber gleichzeitig bodenständig bleiben: Schmerzen und Erschöpfung ernst nehmen, sich mit negativen emotionalen Mustern und Formtiefs auseinandersetzen. Er muss also den Mut haben, seine Grenzen zu erkennen. Das ist schwer und störanfällig. Und keine reine Willensfrage. Denn gerade Lauftrainer wissen: Die Sucht, weiter zu laufen, ist stärker als Schmerz. Deshalb haben Hochleistungssportler Sportpsychologen oder Coaches an ihrer Seite, die im Notfall Stopp sagen.

Anders als Bergsteiger, die mit einer eingespielten Seilschaft einen Gipfel bezwingen wollen, agieren viele Extremläufer leider im freien Selbstversuch. Auf der Zugspitze hat sich gezeigt, wie extrem riskant das ist.