“Ideologien und verschiedene Denkweisen“ erschüttern den Glauben vieler Christen

Rom. Abgeschottet von der Außenwelt, haben 115 Kardinäle aus 52 Ländern beim größten Konklave der Geschichte ihre Suche nach einem neuen Papst aufgenommen. In einer feierlichen Prozession zogen sie gestern zur Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Dort legte jeder Geistliche seine Hand auf das Evangelium und verpflichtete sich in einem Eid zu strengster Verschwiegenheit. Nach dem traditionellen Ruf "Extra omnes" - alle hinaus - mit dem alle Nichtwahlberechtigten aufgefordert wurden, die Sixtina zu verlassen, wurden die dicken Eichentüren geschlossen.

Das Konklave dauert so lange, bis mit der Zweidrittelmehrheit von 77 Stimmen ein Nachfolger von Johannes Paul II. bestimmt ist. Ein erster Wahlgang am Abend brachte noch kein Ergebnis: Aus dem Schornstein der Sixtina stieg schwarzer Rauch auf. Weißer Rauch hätte eine erfolgreiche Papstwahl signalisiert. Der verstorbene Johannes Paul II. hatte sich einen Wahlgang schon am ersten Tag gewünscht. Die Wahl gilt als völlig offen. Zu den rund zehn Favoriten gehört der deutsche Kurienkardinal Joseph Ratzinger.

Die feierliche Prozession zur Sixtinischen Kapelle begann mit einem Gebet Ratzingers, der als Dekan der Kardinäle das Konklave leitet. Angeführt von Altardienern mit weißen Kerzen und einem Kruzifix, legten die Geistlichen in ihren Purpurgewändern den kurzen Weg aus dem Apostolischen Palast zurück. Dabei sangen sie die Litanei der Heiligen. Ratzinger betrat die Kapelle als letzter. Wegen seiner Bedeutung für die Papstwahl - als Dekan, "Königsmacher" und Favorit - hatte die italienische Zeitung "Il Tempo" mit der Schlagzeile aufgemacht: "Ratzingers Tag".

Am Morgen hatte Ratzinger ein Pontifikalamt im Petersdom zelebriert, an dem die 115 wahlberechtigten Kardinäle teilnahmen. Ratzinger betete, daß Gott einen "Seelsorger nach seinem Herzen" bestimmen möge. In ungewöhnlich deutlichen Worten umriß Ratzinger in seiner Predigt die Aufgaben des neuen Papstes. Der 78jährige wandte sich gegen den Relativismus, eine Philosophie, nach der es keine absoluten Wahrheiten gibt.

"Einen klaren Glauben auf der Grundlage des Glaubensbekenntnisses der Kirche zu haben wird oft als Fundamentalismus bezeichnet", sagte er. "Wir gehen auf eine Diktatur des Relativismus zu, die nichts als sicher anerkennt und als ihr höchstes Ziel das eigene Ego und die eigenen Wünsche hat." Der Relativismus lasse es zu, daß man sich von jeder Richtungsänderung der Lehrmeinung mitreißen lasse, mahnte Ratzinger.

Der deutsche Kardinal erinnerte daran, daß sich die katholische Kirche zu Beginn des neuen Jahrtausends in einer schwierigen Lage befinde. Der Glaube vieler Christen werde durch "viele Strömungen, Ideologien und verschiedene Denkweisen" erschüttert. Zudem stünden die Katholiken vor einer ungewissen Zukunft, da ihre Kirche durch aufkommende christliche Sekten bedroht sei. Wer angesichts dieser Umstände einen klaren Glauben vertrete, werde aber oft mit dem Etikett eines Fundamentalisten versehen, sagte Ratzinger.

Beim Einzug in die Sixtinische Kapelle unterlief dem sonst so perfekten Kardinaldekan ein kleiner Lapsus. Ratzinger, der als letzter der 115 katholischen Würdenträger in die Sixtina einzog, blieb bei dem in der Mitte des Raumes aufgeschlagenen Evangelium stehen - was an dieser Stelle der Zeremonie aber noch gar nicht vorgesehen war.

Diskret knuffte ihn Zeremonienmeister Piero Marini in die Seite, um ihn auf den Fehler hinzuweisen. Ratzinger fiel daraufhin der richtige Ablauf des Rituals sofort wieder ein.